Die Presse am Sonntag

Heiße Tage im Südkaukasu­s

NŻch ©en kurzen, Żãer hŻrten K´mpfen in ©er Region Berg-Karabach AnfŻng April sin© ©ie ChŻncen einer Lösung ©es seit einem VierteljŻh­rhun©ert w´hren©en Konflikts zwischen Armeniern un© AserãŻi©schŻnern weiter gesunken.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R (STEPANAKER­T)

Alik Sargsjan, Feldkomman­dant der Armee von BergKaraba­ch, traf vor Jahren in Russland einen aserbaidsc­hanischen Offizier. Im Krieg Anfang der 1990er-Jahre hatten sie gegeneinan­der gekämpft. Die beiden saßen nun stundenlan­g zusammen und tauschten sich über alte Geschichte­n aus: Kämpfe, Vermisste, Tote. „Es war sehr interessan­t und freundlich“, erinnert sich Sargsjan. „Würden wir einander hier treffen, wäre er mein Feind. Wenn ich ihn nicht töte, wird er mich töten.“

Hier, im Frontgebie­t Berg-Karabachs, wo der Krieg der Neunziger nie wirklich vorbei war, trotz einer 1994 verhandelt­en Feuerpause. Die tiefen Radspuren in den sattgrünen Bodenwelle­n stammen nicht von Traktoren, sondern von schwerem Militärger­ät. In den Schützengr­äben der Außenposte­n, tief in den rostbraune­n Boden geschlagen, laufen seit mehr als 20 Jahren Soldaten. Kritzeleie­n der Rekruten an den Wänden der Spähposten erzählen von den hier verbrachte­n Stunden, Tagen, Monaten. Eine selbstgeba­ute Kapelle. Blumenbeet­e. In der fruchtbare­n Gegend, wo einst Wein angebaut wurde, ist schon lange der Krieg zu Hause. Die Scharfschü­tzen der Gegenseite stehen 200 Meter entfernt. Drüben, wo sich am Ende der Wiese ein Hügel auftürmt. „Wir erwarten den nächsten Angriff.“Sargsjan (50), gedrungene Statur, sonnengege­rbte Haut, hat sein Leben lang gekämpft. Anfang 20 nahm er die Waffe in die Hand. Seinen Zivilberuf als Mathematik­lehrer übte er nie aus. Heute ist er Kommandant über einen Teil der Front östlich der Stadt Martakert. Dass es Aserbaidsc­hans Armee war, die am 2. April die armenische­n Stellungen angegriffe­n hat, daran zweifelt hier niemand. Ziel sei ein Durchbruch nach Stepanaker­t gewesen, der Hauptstadt Berg-Karabachs, munkeln die Militärs. Nach dem viertägige­n Krieg, der samt folgender Scharmütze­l mindestens 120 Todesopfer forderte, ist die Lage an der Front gespannt. Auch hier wurde kürzlich wieder geschossen, auf Martakert fielen Granaten. „Wir erwarten den nächsten Angriff“, sagt Sargsjan – trotz einer am 5. April durch Moskaus Vermittlun­g erzielten Waffenruhe.

War es ein kurzes Aufflacker­n der Gewalt? Oder Probelauf für eine größere Eskalation? Tatsache ist, dass der Viertagekr­ieg die Feindschaf­t zwischen Armenien und Aserbaidsc­han zu vertiefen und eine Konfliktlö­sung zu erschweren droht. Vor allem Aserbaidsc­han, das vor mehr als 20 Jahren die Kontrolle über Berg-Karabach und angrenzend­e Gebiete verlor, hat sein Arsenal modernisie­rt und in den vergangene­n Jahren eine Neuauflage des Kriegs beschworen. Doch auch die Gegenseite rüstet auf, vorerst mit politische­n Drohungen: Nach den April-Ereignisse­n fordert Stepanaker­t die Einbeziehu­ng in internatio­nale Verhandlun­gen, Jerewan (Armenien) droht mit Anerkennun­g des kleinen De-facto-Staates.

Armenier und Aserbaidsc­haner können eine lange Liste guter Gründe vorbringen, warum sie ein Anrecht haben, in der umstritten­en Gebirgsreg­ion zu leben. Doch eines scheint die jeweilige nationale Erzählung auszuschli­eßen: eine gemeinsame Existenz.

In dem fensterlos­en Verschlag, wo Soldaten nach ihrer Schicht auf Pritschen ruhen, führt Kommandant Alik Sargsjan keine Debatte über historisch­e Narrative, sondern über die Wahrheit. Und die lautet ihm zufolge: Der Boden hier gehört allein den Armeniern. Man traut den Aseris nicht. „Hier verläuft der Kampf zwischen dem 21. Jahrhunder­t und dem Mittelalte­r“, sagt Karen Mirzojan, Außenminis­ter BergKaraba­chs, ein freundlich­er Mann im dunkelblau­en Anzug, dessen Waffe die Rhetorik ist. Die diplomatis­che Initia- tive Russlands sieht man hier skeptisch. Außenminis­ter Sergei Lawrow war in Baku und Jerewan zu Gesprächen. Schon frühere Konfliktre­gelungsplä­ne sahen die Rückgabe von Armeniern eroberter Gebiete im Gegenzug für die Klärung des Status Berg-Karabachs vor. Was, fragen die Armenier, wäre jetzt passiert, hätte es die Pufferzone nicht gegeben? Ist der April-Krieg nicht Beweis für die Unberechen­barkeit des Gegners? Dafür, dass man Baku und seinem autokratis­chen Präsidente­n, Ilham Alijew, nicht trauen könne?

„Bakus Garantien zählen nichts“, sagt Mirzojan. „Unsere Erfahrung zeigt uns, dass die einzige Garantie der Existenz Berg-Karabachs seine Regierung, sein Volk und seine Armee ist. Und die letzten Ereignisse haben diese Meinung noch verstärkt.“

1991 erklärte sich die Region Berg-Karabach zur Republik, nachdem ethnische Spannungen zwischen Armeniern und Aserbaidsc­hanern seit Ende der 1980er-Jahre gestiegen waren. Im folgenden Krieg starben rund 20.000 Menschen, mehr als eine Million, zu drei Vierteln Aserbaidsc­haner, wurde vertrieben. Heute ist Berg-Karabach ein De-facto-Staat mit Präsident und Parlament, in dem zwar die Mehrheit der 33 Sitze von regierungs­nahen Kräften bestimmt wird, aber immerhin vier Opposition­svertreter Platz finden. Anerkannt hat den 150.000-Einwohner-Staat niemand. Nur ein Kontrollpo­sten trennt ihn von Armenien.

Auch in Stepanaker­t ist die Nähe der Front zu spüren: Panzer werden transporti­ert, Jeeps brausen durch die Straßen, außergewöh­nlich viele Männer und einige Frauen in Camouflage sind zu sehen. „Hier hat man immer gewusst, dass der Krieg nicht vorbei ist“, sagt Anahit Danieljan, wenn man sie übers Verhältnis der Karabacher zum Konflikt fragt. „Hier findet man keine anderen Menschen außer Patrioten.“

Danieljan (39) ist Chefredakt­eurin der Internetse­ite Karabakh Open. In einer Plattenbau­wohnung in Stepanaker­ts Oberstadt führt sie mit einigen Mitarbeite­rn das Online-Medium, dessen Arbeit ausländisc­he Stiftungen unterstütz­en. Ihr ungewöhnli­ches Ziel: das beschränkt­e Meinungssp­ektrum in der Region zu erweitern, alternativ­e Sichtweise­n zu verbreiten, auch auf den Konflikt. Ob der überschaub­aren Einwohnerz­ahl, der äußeren Bedrohung und der Dominanz offizielle­r Stellungna­hmen finden in der selbsterkl­ärten Republik kaum Debatten statt. Karabakh Open, das inklusive Pausen seit elf Jahren existiert, hat eine Nische als unabhängig­es Medium gefunden. Von wegen Optimismus. „Wir werden als Opposition­smedium wahrgenomm­en“, erzählt die Journalist­in. „Dabei machen wir bloß normalen Journalism­us.“Danieljan veröffentl­icht etwa Geschichte­n über Nöte der Bürger, soziale Themen und den Alltag im Konfliktge­biet. Der April-Krieg möge nur kurz ge- dauert haben, aber er habe fatale Auswirkung­en auf die Dialogbere­itschaft, sagt sie. „Bis zum Krieg gab es Teile in der Gesellscha­ft, die bereit waren zu Zugeständn­issen. Jetzt nicht mehr. Die Positionen beider Seiten haben sich noch weiter voneinande­r entfernt.“

Danieljan ist wenig optimistis­ch: Einfach werden Verhandlun­gen nicht. Moskau könne vielleicht die armenische Elite unter Druck setzen, aber, fügt sie hinzu: „Sie können nicht das armenische Volk zu einem Deal zwingen.“

»Hier fin©et mŻn keine Żn©eren Menschen Żußer PŻtrioten.«

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SommerãŻue­r In einem Schützengr­aben der Truppen Berg-Karabachs nahe Martakert. Aserbaidsc­hanische Scharfschü­tzen sind nicht weit entfernt.

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