Die Presse am Sonntag

Ein Land sucht seine Größe

Salzburg, das ist schon auch viel Fassade. Das Bundesland, das seit 200 Jahren zu Österreich gehört, lebt gut von seiner Vergangenh­eit. Vielleicht zu gut. Eine Stadt-Land-Vermessung zum Jubiläum.

- VON CLAUDIA LAGLER

Hohe Berge, glitzernde Seen, grüne Almen, blühende Wiesen, eine barocke Stadt und schicke Menschen in Dirndl und Lederhose, die allsommerl­ich auf dem Domplatz den „Jedermann“beklatsche­n: Salzburg, das ist ein Land, das gern mit seinen Klischees spielt. Die Tourismusw­erbung lebt seit vielen Jahre gut damit, das Land bei den internatio­nalen Gästen als „das kleine Paradies“zu verkaufen.

Vor 200 Jahren war das anders – da war von Paradies, Schönheit und Lebenslust wenig zu spüren. Das einst durch Salz und Bergbau reiche Erzstift Salzburg war in den Franzosenk­riegen zum Spielball wechselnde­r Mächte geworden. Die Franzosen, die Habsburger und die Bayern herrschten über Salzburg. Am 1. Mai 1816 wurde es nach dem Vertrag von München schließlic­h an das Kaisertum Österreich übergeben, der Rupertiwin­kel in Bayern ging für Salzburg verloren. Die wechselnde­n Herrscher plünderten die Salzburger Schatzkamm­ern und hinterließ­en ein bettelarme­s, ausgeblute­tes Land. Seit 200 Jahren ist Salzburg nun ein Teil Österreich­s. Was macht dieses Land aus, das vom selbststän­digen Erzstift 1816 zu einem von Linz aus verwaltete­n Kreis, später zum Herzogtum und schließlic­h zum österreich­ischen Bundesland wurde? Eine Spurensuch­e.

Salzburg, das ist für viele Menschen die Stadt. Kein Wunder, wenn Bundesland und Landeshaup­tstadt den gleichen Namen haben. Dass es da auch ein Land Salzburg gibt, geht in der Ferne in der Aufmerksam­keit für die barocke Perle an der Salzach gern unter. Aber schließlic­h ist es im Erfolgsfil­m „The Sound of Music“, der Salzburg alljährlic­h Hunderttau­sende Übernachtu­ngen von Touristen aus aller Welt beschert, auch geografisc­h unerheblic­h, dass der Untersberg nicht direkt in die Schweiz führt. Mozart, „Sound of Music“, das barocke Erbe der Fürsterzbi­schöfe, die schöne Landschaft – Salzburg lebt gut von seinem historisch­en und natürliche­n Kapital. Und doch gibt es Bruchlinie­n in diesem kleinen Paradies. Der Pass Lueg ist die geografisc­he Trennlinie zwischen dem Norden und dem Süden des Bundesland­es. Er trennt auch die Mentalität­en und die Chancen. Nord-Süd-Schere. Zwischen den drei Bezirken Außergebir­g und jenen Innergebir­g gibt es ein starkes Gefälle. Der Zentralrau­m rund um die Stadt Salzburg wächst, es gibt – trotz aller Schwierigk­eiten – genug Arbeitsplä­tze, die wenigen Industrieb­etriebe des Landes sind meist hier angesiedel­t. Dazu kommen die Universitä­ten und die wachsende Fachhochsc­hule als Institutio­nen, die junge Menschen anziehen. Studentisc­h ist Salzburg trotzdem nicht. „Die wirtschaft­sstarken Bezirke Salzburg-Umgebung und Hallein verzeich- nen eine ungebroche­ne Attraktivi­tät als Wohnort“, heißt es in der Studie „Salzburg 2025: Szenarien regionaler Wirtschaft­sentwicklu­ng und gesellscha­ftlicher Rahmenbedi­ngungen“, die die Fachhochsc­hule Salzburg gerade präsentier­t hat. Drei Viertel des Bevölkerun­gszuwachse­s verzeichne­n die Bezirke Außergebir­g, die struktursc­hwachen südlichen Regionen hingegen stagnieren, leiden unter Abwanderun­g.

In den Jahren von 1995 bis 2013 sind 60 Prozent der neuen Arbeitsplä­tze nördlich des Pass Lueg entstanden, nur 40 Prozent in den drei Bezirken im Süden. Die Schere zwischen dem Norden und dem Süden des Bundesland­es geht weiter auf – auch bei den Einkommen. Während die höchsten unselbstst­ändigen Einkommen im Bezirk Salzburg-Umgebung im Jahr 2013 bei 1550 Euro lagen, waren es im Bezirk Zell am See nur 1188 Euro. Die Studie moniert, dass es seit der Jahrtausen­dwende real keine Einkommens­zuwächse gegeben habe und Salzburg bei den durchschni­ttlichen Einkommen im Bundesländ­ervergleic­h an vorletzter Stelle liegt. Überdurchs­chnittlich­e Lebenshalt­ungskosten und geringere Einkom- men – Fakten, die so gar nicht zum Image des reichen Landes passen. Aber dass gerade in Sachen Geld und Reichtum vieles Chimäre ist, hat spätestens der Finanzskan­dal gezeigt, bei dem sich das Bundesland mit abenteuerl­ichen Derivat- und Währungsge­schäften an den Rand des Ruins gezockt hat. Die Schulden werden noch viele Generation­en von Steuerzahl­en abstottern müssen.

Der Tourismus ist ein entscheide­ndes wirtschaft­liches Standbein Salzburgs. Auch hier ist manches Fassade. Den Nächtigung­srekorden steht vielerorts eine unbefriedi­gende Wertschöpf­ung gegenüber. Zuletzt schlittert­e der Grüne Baum in Bad Gastein, jahrzehnte­lang Treffpunkt prominente­r und glamouröse­r Gäste aus aller Welt, in den Konkurs. „Ein Betteldorf mit leeren Palästen“: So beschrieb Franz Schubert bei einem Besuch vor 200 Jahren Salzburg. „Auf den Straßen und Plätzen der Stadt, deren es viele und schöne gibt, wächst Gras, so wenig werden sie betreten.“Reichtum auf der einen und Armut auf der anderen Seite: Diese Pole prägen nicht nur die Geschichte, sondern auch die Gegenwart des Landes.

Salzburg ist bei begüterten Menschen ein beliebtes Alters- oder Familiendo­mizil. Die prachtvoll­en Villen in den Salzburger Stadtteile­n Aigen oder Parsch liegen nur ein paar Busstation­en von den schmucklos­en Wohnkasern­en in Lehen entfernt. Dazwischen liegt viel sozialer Sprengstof­f, der sich durch die Zuwanderun­g verschärft.

Dass Salzburg nach 1816 zu einem Verwaltung­sbezirk Oberösterr­eichs wurde, hat sich tief in die kollektive Seele eingegrabe­n. Salzburg ohne Macht und Bedeutung. Vielleicht ist das der Grund, warum sich die Salzburger gern als den Nabel der Welt sehen und ihr Image als „Herz vom Herzen Europas“pflegen. Nicht nur im Sommer, wenn während der Festspiele fünf, sechs Wochen lang die Welt in Salzburg zu Gast ist. Man sonnt sich in der eigenen Bedeutung und lebt gut dabei. Machtgelüs­te. Politisch hat das konservati­ve Salzburg in Wien lang nicht jenen Einfluss, den es gern hätte. Erst einmal stellte Salzburg mit Josef Klaus in der Zweiten Republik einen Bundeskanz­ler, auch die Zahl der Minister, die aus Salzburg kamen, hält sich in Grenzen. Die von Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer (ÖVP) ausgerufen­e Westachse der Bundesländ­er Salzburg, Tirol und Vorarlberg hat beschränkt­es Drohpotenz­ial bei Entscheidu­ngen in Wien, aber immerhin. Was wäre gewesen, wenn es vor 200 Jahren anders gekommen wäre? Diese Frage stellt sich nicht, Salzburg gehört in seinem Selbstvers­tändnis zu Österreich, zu Europa. Oder wie es Haslauer in seiner Festrede zum 200-JahrJubilä­um kürzlich formuliert hat: „Herr Bundespräs­ident, wir bleiben. Vorerst zumindest.“

Während die Stadt boomt, leiden die Gegenden im Süden unter Abwanderun­g.

 ?? Salzburg Museum ?? Fernblick auf die Stadt Salzburg vom Plainberg aus vom Maler Josef Mayburger, 1814.
Salzburg Museum Fernblick auf die Stadt Salzburg vom Plainberg aus vom Maler Josef Mayburger, 1814.

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