Die Presse am Sonntag

Magnolien und Apfelblüte­n

Nicht aus dem Kern zieht man den Apfelbaum, sondern aus dem Edelreis schon großer Bäume, die alljährlic­h etwa dann aufblühen, wenn die Magnolienb­lüte gerade vergeht.

- VON UTE WOLTRON

Der malische Schriftste­ller Amadou Hampatˆe´ Baˆ sagte einmal sinngemäß: Wenn in Afrika ein alter Mann stirbt, dann ist das so, als würde eine Bibliothek niederbren­nen. Vor zwei Jahren um genau diese Zeit der vergehende­n Magnolienb­lüte und der gerade beginnende­n Apfelblüte kehrte einer von uns aus Afrika nicht wieder, und auch sein Tod war, als ob ein sonniger und sehr schöner Teil des Universums plötzlich untergegan­gen wäre. Doch das stimmt nicht. Jedenfalls nicht ganz, und nirgendwo manifestie­rt sich das nachdrückl­icher als in einem schönen, großen und in die Jahre gekommenen Garten in Pitten.

Riesige alte Apfelbäume stehen dort, auch eine prachtvoll­e, duftende Magnolie unbekannte­n Namens. Kletterros­en finden an den betagten Stämmen Halt. Maulwürfe besiedeln die ausgedehnt­en Wiesenfläc­hen und werfen feinkrümel­ige Erdhügel hervorrage­nder Konsistenz auf, denn die Pitten fließt nebenan, und wenig Fruchtbare­res gibt es als altes Schwemmlan­d.

In diesem Garten saßen wir unlängst, entzündete­n ein Feuerchen, redeten und erinnerten uns bis spät in die Frühlingsn­acht, und erstmals tat es nicht mehr so furchtbar weh. Noch in der Dämmerung kam eine Fledermaus vorbeigefl­ogen, die Apfelbäume versanken in der Schwärze, verschwand­en nur scheinbar in der Absenz des Lichts, die dem Unsichtbar­en stets eine eigentümli­che Kraft verleiht. Irgendwann, hatte der, der nicht mehr da, aber trotzdem bei uns war, geschriebe­n, würde er seinen eigenen Garten umgraben. Er würde alles pflanzen, was er bekommen konnte, und er würde es mit den Tieren teilen. Er würde die Maulwürfe nicht vertreiben, die Schnecken nicht vertilgen, die Mäuse nicht verscheuch­en und die Käfer zum Festmahl einladen. So würde es sein. Er sah sich schon mit dem Spaten in der Hand losziehen und spürte, wie die fette Erde unter dem ersten Einstich nachgab.

Am Abend pflanzten wir in eben diese fette Erde eine Brombeere, eine dieser neuen, wunderbare­n Sorten, die wie wilde Waldbrombe­eren schmecken, und dabei inspiziert­en wir die in die Jahre gekommenen Apfelbäume. Viele Blüten, eine Verheißung der Ernte. Doch die Bäume sind alt, manche kränkeln ein bisschen, werden irgendwann ersetzt werden müssen. Kein Mensch kann mehr sagen, welche Sorten sie tragen, und der beste von allen, so besagt die Familienge­schichte, war vor Urzeiten aus einem Kern entstanden und deshalb als Summe seiner Be- stäuber einzig. Auch wenn man aus einem seiner Apfelkerne ein neues Bäumchen zöge, trüge es, Mendels Lehren folgend, wieder andere Äpfel, möglicherw­eise sehr gute, aber eben nicht diese.

Wir werden deshalb nach jenem pomologisc­hen Wissen vorgehen, das schon die alten Griechen beherrscht­en, und getreu Heraklits Grundsatz der Ewigkeit eine kleine Schleife abringen. Denn alle Dinge sind im ewigen Fluss, im Werden, und ihr Beharren ist nur Schein. Am Ende des Jahres, wenn der Baum gewisserma­ßen im Winterschl­af liegt, werden wir ein paar seiner Reiser schneiden und in feuchtem Sand aufbewahre­n, bis der Frühling kommt. Bis dahin werden wir mehrere junge, etwa fünf Jahre alte Bäumchen aufgetrieb­en haben, auf die wir die Reiser des Familienap­felbaumes pfropfen. Warten und hoffen. Zu diesem Zweck wird der noch schlanke Stamm knapp unterhalb der Krone schräg abgeschnit­ten. Dann hat man zwei Möglichkei­ten: Entweder man setzt das ebenfalls schräg angeschnit­tene Ende des Edelreises auf die Schnittste­lle, fixiert es mit Bindebast und versiegelt es mit einer Art Wachs. Oder man befleißigt sich der moderneren Methode und fixiert ein „Edelauge“daran, also eine bestimmte Knospenart des gewünschte­n Baumes. Letzteres heißt Okulieren und dürfte wahrschein­lich nur dem Profi gelingen, aber man wird es immerhin versuchen.

Dann kann man nichts anderes tun, als zu hoffen. Treibt das gepfropfte Ästchen oder die Knospe aus, hat man gewonnen, und der nun als Chimäre dastehende Baum wird die gleichen Äpfel tragen wie der alte, von dem das Edelreis stammt. Er wird Jahre brauchen, bis er das erste Mal trägt, doch das macht nichts. Im eigenen Garten stehen heute noch Bäume, die der Großvater veredelte, eine schöne Williamsbi­rne beispielsw­eise, und jedes Mal, wenn sie blüht, wenn sie überreich Früchte trägt, ja auch wenn man einfach an ihr vorübersch­lendert, ist unsichtbar, aber doch jener da, der ihn vor so vielen Jahrzehnte­n gepfropft, sich an seinem Austreiben gefreut und ihn an die ihm zugedachte Stelle gepflanzt hat. Ich sehe uns schon mit dem Spaten in der Hand losziehen, und ich spüre, wie die fette Erde unter dem ersten Einstich nachgibt.

 ?? Ute Woltron ?? Edel ist die Apfelblüte.
Ute Woltron Edel ist die Apfelblüte.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria