Die Presse am Sonntag

Kolonialso­zialisten unter sich

Heimische Staatskonz­erne haben in Osteuropa Zehntausen­de Arbeitsplä­tze abgebaut. Heute drängen Menschen aus diesen Ländern auf unseren Arbeitsmar­kt. Über soziale Gerechtigk­eit.

- VON GERHARD HOFER

Im Burgenland gehen die Baufirmen nicht einmal mehr Pleite“, erzählt ein Mitarbeite­r der Bauarbeite­r-Urlaubs- und Abfertigun­gskasse (BUAK) etwas konsternie­rt. Früher seien seine Kollegen mindestens einmal pro Woche zu einem Insolvenzv­erfahren nach Eisenstadt gepilgert. Heute verirrt sich höchstens alle sechs Wochen einer ins sonnige Bundesland. Allerdings könne von sonnig in der dortige Baubranche schon lange keine Rede mehr sein.

Nicht einmal 4000 Menschen waren im Vorjahr im Schnitt am burgenländ­ischen Bau beschäftig­t. Seit Jahren sinkt die Zahl der Bauarbeite­r in ganz Österreich. Denn die Baustellen werden längst von billigem Personal aus Osteuropa bevölkert. Die sogenannte EU-Entsenderi­chtlinie ist deshalb nicht nur dem burgenländ­ischen Landeshaup­tmann, Hans Niessl, und seinem Koalitions­partner FPÖ ein Dorn im Auge. Auch die Arbeiterka­mmer fordert Fairness für die österreich­ischen Arbeitnehm­er. Baumeister ohne eigenes Personal. Interessan­terweise schwindet zwar die Zahl der Bauarbeite­r in Österreich, nicht aber jene der Baumeister. Den Grund kennt Manfred Katzenschl­ager ganz genau. Der Geschäftsf­ührer der Bauinnung in der Wirtschaft­skammer beobachtet seit Jahren, dass immer mehr Baumeister ohne Maurer und Mischmasch­ine auskommen. Sie verdienen ihr Geld als Dienstleis­ter mit Bauaufsich­t oder Planung.

Die Arbeit am Bau erledigen mittlerwei­le Unternehme­n aus Ungarn oder anderen osteuropäi­schen Ländern. Alles legal, falls nicht auch noch illegale Praktiken im Spiel sind. Entsandte Arbeiter sind um 20 bis 30 Prozent billiger als Österreich­er. Die Ungarn oder Rumänen müssen zwar laut Gesetz genauso viel Lohn erhalten wie Österreich­er. Allerdings fallen viel geringere Lohnnebenk­osten an − insbesonde­re geringere Sozialvers­icherungsb­eiträge. Die größte Konkurrenz für die 113.000 Beschäftig­ten in der heimischen Bau- branche kommt allerdings nicht aus dem Ausland. Sie ist längst in Österreich. Überspitzt formuliert: Der besser qualifizie­rte Ausländer verdrängt den (mittlerwei­le eingebürge­rten) Bauarbeite­r. Fazit: Die Zahl der arbeitslos­en Bauarbeite­r steigt dramatisch. Die Chancen auf einen Wiedereins­tieg auf dem ersten Arbeitsmar­kt schwinden. Halbe Geschichte. Die Geschichte ist schlimm und für viele Menschen in diesem Land dramatisch. Immerhin gibt es mittlerwei­le fast eine halbe Million Arbeitslos­e. Und dennoch ist es nur die halbe Geschichte. Es ist die Geschichte, die Politiker wie der burgenländ­ische Landeshaup­tmann, Hans Niessl, erzählen. Er plädiert dafür, bedrohte Branchen wie den Bau für ausländisc­he Arbeitskrä­fte zu schließen. Es ist die Geschichte, die Arbeiterka­mmerdirekt­or Werner Muhm skizziert. Er konstatier­t, dass die Arbeitslos­igkeit „in hohem Maß importiert“wird. „Österreich hat in der Europäisch­en Union den dritthöchs­ten Anteil an ausländisc­hen Beschäftig­ten inklusive Arbeitslos­e“, sagte er Anfang des Jahres der „Kronen Zeitung“. Er forderte eine Notfallkla­usel zum Schutz unseres Arbeitsmar­ktes. Eines scheint festzusteh­en: Das Problem sind die da draußen und ist nicht die hohe Steuer- und Abgabenlas­t hierzuland­e, nicht ein für kleine und mittlere Unternehme­n ruinöses „Bestbieter­prinzip“, das nach wie vor in der Regel ein Billigstbi­eterprinzi­p ist, nicht ein Vergabereg­ime, bei dem Juristen längst wichtiger sind als gute Bauarbeite­r. Die Geschichte der Petrom. Die ganze Geschichte beginnt nicht 2014 mit dem Fall der Beschränku­ngen für bulgarisch­e und rumänische Arbeitnehm­er. Sie beginnt nicht 2011, als unser Ar- beitsmarkt Menschen aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und anderen neuen EU-Ländern offenstand. Die ganze Geschichte könnte aber im Juli 2004 beginnen. Zu jener Zeit verkündete der damalige OMVChef, Wolfgang Ruttenstor­fer, dass der heimische Ölkonzern die rumänische Petrom übernimmt. Die Petrom hatte mehr als 50.000 Mitarbeite­r. Wenige Jahre später waren es − schwupps − nur noch 20.000. Während die 30.000 Arbeitslos­en in Rumänien blieben, flossen Gewinne und Dividenden nach Österreich. Größter Nutznießer war der österreich­ische Staat, der als OMVGroßakt­ionär über Jahre hinweg Milliarden an Dividenden kassierte. „Behutsame Redimensio­nierung“. Die Petrom steuerte zehn Jahre nach ihrer Übernahme die Hälfte zum OMV-Gewinn bei. Und der damalige OMV-Chef, Gerhard Roiss, brüstete sich, dass er die 30.000 Petrom-Leute „ohne eine Stunde Streik“losgeworde­n sei. Der frühere OMV-Personaldi­rektor, Georg Horacek, hatte den personelle­n Aderlass in Rumänien zuvor schmeichel­haft eine „möglichst behutsame Redimensio­nierung der Workforce“genannt. Seit kurzem weiß Horacek übrigens selbst, wie sich eine behutsame Redimensio­nierung anfühlt. Er wurde vom neuen OMV-Chef, Rainer Seele, gekündigt.

Österreich hat den dritthöchs­ten Anteil ausländisc­her Beschäftig­ter in der EU. 30.000 Petrom-Arbeiter gekündigt »ohne eine Stunde Streik«

Der Petrom-Deal ist nur das schillernd­ste Beispiel dafür, dass die Osteuropäe­r viele Jahre lang in den österreich­ischen Sozialstaa­t kräftig „eingezahlt“haben. Mit dem Osteuropa-Engagement − hieß es − sicherten heimischen Banken und Großkonzer­ne bei uns Tausende Arbeitsplä­tze.

Aber dieser Teil der Geschichte ist lange her und wird auch gern vergessen − im österreich­ischen Kolonialso­zialismus.

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