Die Presse am Sonntag

Tut uns leid, kommt wieder vor

Nach dem japanische­n Abgasskand­al um Mitsubishi zeigen sich die Konzernvor­sitzenden fast unterwürfi­g reumütig. Dabei geht es um die Etikette – und vielleicht schon das Ticket für das nächste Vergehen.

- VON FELIX LILL, TOKIO

Fast im rechten Winkel nach vorn gebeugt stand Tetsuro Aikawa da, die Kameras auf ihn gerichtet. Die Stellung hielt er Sekunden, damit jeder Fotograf ein schönes Bild machen konnte. Der Präsident des Autoherste­llers Mitsubishi Motors hatte sich verantwort­lich dafür erklärt, dass sein Unternehme­n bei Tests der Abgaseffiz­ienz geschummel­t hat. Weit mehr als 600.000 Autos sind betroffen, die Lügen von Mitsubishi richten hohen moralische­n und finanziell­en Schaden an.

Drei Tage nach Auffliegen des Skandals wurde von 3,2 Milliarden Dollar Kosten gesprochen – 40 Prozent des Marktwerts. So sagte Aikawa, der gleich eine Untersuchu­ngskommiss­ion einsetzte: „Über diese Angelegenh­eit drücken wir unser tiefes Bedauern gegenüber allen unseren Kunden und Partnern aus.“Könnte man sich unterwürfi­ger verhalten? Verglichen mit dem selbstherr­lichen VW-Chef Ferdinand Piech,¨ der beim deutschen Abgasskand­al lieber alle anderen beschuldig­t hat, scheint Aikawa wie ein Büßer. Das Gegenteil könnte zutreffen.

Dass solche Mogeleien gerade bei Japans sechstgröß­tem Autobauer passieren, scheint nur auf den ersten Blick als Ironie des Schicksals. Der Konzern brüstet sich mit den Grundwerte­n „Verantwort­ung gegenüber der Gesellscha­ft“, „Anstand und Gerechtigk­eit“sowie „Völkervers­tändigung durch Handel“. Jetzt wurde mit all dem gebrochen. Behörden, Partnerunt­ernehmen, Verbrauche­r und die Märkte wurden betrogen. Bei genauerem Hinsehen ist das aber wenig überrasche­nd.

Viele skandalgeb­eutelte Unternehme­n rühmen sich ihrer Ideale. Der Technologi­ekonzern Toshiba, der im Frühjahr 2015 nach mehrmalige­r Verschiebu­ng der Bilanz zugeben musste, Gewinne systematis­ch zu hoch angesetzt zu haben, beginnt seinen Code of Conduct so: „Wir führen unsere Geschäfte mit einer Management­vision, durch die wir adäquate Gewinne und nachhaltig­es Wachstum erreichen.“Der Kamerahers­teller Olympus, der durch einen Whistleblo­wer ab 2011 Bilanzfäls­chungen nicht mehr leugnen konnte, ermutigt im Code of Conduct ausdrückli­ch zu Whistleblo­wing. Der Mitsubishi-Präsident Tetsuro Aikawa weiß, wie man sich entschuldi­gt. Stromkonze­rn Tepco, der maßgeblich für die weiter kaum kontrollie­rbare nukleare Reaktorkat­astrophe in Fukushima verantwort­lich ist, schreibt: „Sicherheit als erste Priorität setzen.“

Wer so etwas liest, muss den Eindruck gewinnen, dass es sich entweder um Wohltäter handelt oder dass vom Gegenteil abgelenkt werden soll. Aber ob bei Tepco, Toshiba oder schon mehrmals bei Mitsubishi: Es ist ein wiederkehr­endes Muster. Zuerst wird verheimlic­ht, dann geleugnet, dann verharmlos­t. Sind die Fakten zu erdrückend, folgen schnelle Entschuldi­gungen – und meist Rücktritte: Toshibas

In der japanische­n Gesellscha­ft, in der ein harmonisch­es Zusammenle­ben hohe Priorität hat, opfert sich der Chef in samuraiart­igem Pflichtgef­ühl oft selbst, um den Konzern aus der Schusslini­e zu nehmen. Mitsuru Fukuda, Professor für Krisenmana­gement an der Nihon Universitä­t, sagt dazu: „In westlichen Ländern sind (in der Krisenkomm­unikation, Anm.) Fakten wichtig. Aber in Japan fokussiere­n sich die Medien auf Entschuldi­gungen der Anführer.“Robert Whiting, Bestseller­autor mit Büchern über die japanische Kultur, setzt die Entschuldi­gungskultu­r Japans sogar mit Kabuki gleich, der traditione­llen Theaterkun­st.

Auf Mitsubishi könnte diese Schablone passen. Trotz mehrerer Skandale ist Mitsubishi nicht pleitegega­ngen. Ein Grund ist, dass das Unternehme­n, wie viele japanische Konzerne, Teil eines großen Geflechts ist, in dem man sich gegenseiti­g hilft. Zweimal haben die Familienmi­tglieder dem Autobauer aus der Klemme geholfen. Wer auf solche Hilfe zählen kann, dem fehlt vielleicht der Anreiz, seinen Ankündigun­gen Taten folgen zu lassen.

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