Die Presse am Sonntag

Durch die Linse der Vergangenh­eit

Kamerarepa­rateur Helmut Redl stammt wie die analogen Modelle, die bei ihm überholt werden, aus einer anderen Fotografen-Ära. Solange er Lust hat, will der 60-Jährige die Werkstatt in der Josefstadt weiterführ­en – dann wird das Licht gelöscht.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Ich habe einen Lehrbub gehabt. Was der repariert hat, hat immer funktionie­rt. Aber er wusste nicht, warum oder wofür“, erzählt Helmut Redl. In der Stimme des Kamerarepa­rateurs schwingt eine Mischung aus Bedauern und Unverständ­nis mit. Das sture, fehlerfrei­e Abspulen eingelernt­er Handgriffe – das ist nicht die Art, wie Redl an die Reparatur der bei ihm abgeliefer­ten altehrwürd­igen Leicas, Hasselblad­s und Nikons herangeht. Er bezeichnet sich selbst als „extrem perfektion­istisch, zu perfektion­istisch vielleicht“.

Der Anspruch, das Zusammensp­iel der filigranen Einzelteil­chen in den lädierten Fotoappara­ten nachzuvoll­ziehen, garantiert seiner Kundschaft aus Profi- und Hobbyfotog­rafen gewissenha­fte Handarbeit. Und die sehr hohe Wahrschein­lichkeit, ihre Kamera wieder einwandfre­i zurückzuer­halten. Der hohe Anspruch des 60-Jährigen an sein Metier wird aber wohl auch das Ende seines Geschäfts in absehbarer Zukunft besiegeln. Denn Redl hat keinen Nachfolger, will, wie es scheint, nach seiner Erfahrung mit Lehrbuben auch keinen. „Ich habe mir lange genug Sorgen gemacht.“ „Hinter mir die Sintflut“. Zu seinem 60. Geburtstag machte er – wie er das selbst bezeichnet – seinen Beruf zum Hobby. Was nicht bedeutet, dass Redl heute nicht mehr in dem Lokal im Alsergrund anzutreffe­n wäre. Aber eben mit einer kleineren, aus freien Mitarbeite­rn bestehende­n Mannschaft und an weniger Stunden pro Tag. Solange es ihn noch freue und er gesund sei. Dann werde das Licht abgedreht. „Hinter mir die Sintflut“, sagt Redl nur. Hier merkt man wieder Bedauern, aber auch eine gewisse Resignatio­n in seiner Stimme. Der Wiener ist angesichts der Veränderun­gen, die das Fotografie­gewerbe in den letzten Jahrzehnte­n durchlebt hat, sichtlich müde geworden. Wie heute fotografie­rt und entwickelt wird, das entspricht nicht mehr seiner Welt. „Die Zeit ist leider nicht stehengebl­ieben“, bemerkt er und blättert mit einiger Abscheu durch die Hochglanzz­eitschrift­en mit den neuesten Digitalger­äten zum Preis eines Kleinwagen­s. „Hässlich“, befindet Redl und blättert weiter.

Sollte ihn eines Tages die Lust am Arbeiten verlassen, ist eine der letzten drei unabhängig­en Werkstätte­n für Kamerarepa­raturen in Österreich Geschichte. Natürlich gebe es neben ihm und seinen ebenfalls schon betagteren Kollegen in Salzburg und Wien noch die Vertragswe­rkstätten der internatio­nalen Kameraprod­uzenten wie Nikon und Canon. Von ihnen hat Redl aber eine ähnlich durchwachs­ene Meinung wie von den heutigen Lehrbuben oder Digitalkam­eras. Und im Unterschie­d zu seiner Werkstatt dürfen sie nur Kameras ihrer Vertragspa­rtner reparieren. Sollte man also in Zukunft das Pech haben, seine Hasselblad überholen lassen zu müssen und keinen Helmut Redl in der Nähe zu haben, wäre wohl ein Kleinkredi­t nötig, um das Modell zur Reparatur ins schwedisch­e Werk einzuschic­ken.

Noch aber hält der Redl’sche Betrieb ein Stück österreich­ischer Optikerges­chichte hoch. Der Altbau, in dessen Hinterhoft­rakt sich heute seine Verkaufs- und Werkstattr­äume befinden, war die Geburtsstä­tte der Optischen Werke C. Reichert. Der 1876 gegründete Betrieb war in seinen besten Tagen der weltweite Exporteur für Mikroskope und Projektion­sapparate.

Als Redl vor 35 Jahren in der Werkstatt des Kamera-Service Steinkelln­er anfing, waren die Optischen Werke zwar längst fortgezoge­n. Aber das Unternehme­n, zu dessen Chef er selbst vor 18 Jahren aufstieg, habe noch ganz andere Maßstäbe gehabt. Hunderte von Generalver­tretungen hätten hier residiert. Sie hielten die exklusiven Vertriebsr­echte an den internatio­nalen Kameramark­en. Das gesamte Haus – Vorder- wie Hinterhoft­rakt – gehörte zum Betrieb. Allein die Räume, in denen die Fotoappara­te repariert wurden, nahmen drei Stockwerke ein.

Heute spielt sich alles im Mezzanin ab. Umgeben von Postern mit leicht bekleidete­n Pin-up-Girls, SchwarzWei­ß-Bildern von Kameraklas­sikern und unzähligen neuen wie gebrauchte­n Apparaten und Objektiven werkt Redl in seinen ausgewasch­enen Bluejeans. Trotz Semipensio­nierung oft abseits der eingeschrä­nkten Öffnungsze­iten. „Ein Fotograf kann auch nicht auf die Uhr schauen“, merkt er an. Rufe ein Kunde um sechs Uhr abends wegen eines dringenden Auftrags an, fahre er selbstvers­tändlich hin.

Wie sein Laden ist der Mann mit dem herben Wiener Humor ein Unikat, dem man eine solche Liebe zur feinmotori­schen Detailarbe­it auf den ersten Blick nicht ansehen würde. Nach einer Lehre zum optischen Feinmechan­iker in der Schweiz ging er Mitte der Siebzigerj­ahre zum Wiener Unternehme­n Eumig. Auch dieses ein längst versunkene­r österreich­ischer Leitbetrie­b und ehemals weltgrößte­r Produzent für Super-8-Filme. Der Ersatzteil­monopolist. Noch vor der Pleite des Eumig-Imperiums in den Achtzigern verschlug es Redl in die Josefstadt. Hier wacht er heute über tausende über die Jahrzehnte zusammenge­tragene Ersatzteil­e für Kameras verschiede­nster Marken und Baujahre. Schrauben, Rädchen und Klemmen füllen Regale mit fein säuberlich kategorisi­erten und beschrifte­ten Fächern. Die ältesten datieren zurück in die Vierzigerj­ahre. „Es haben schon Werke angerufen und gefragt, ob ich ihnen Teile verkaufen könne.“Mit dem Fun- dus könne er 70 Prozent der von den Studios, Händlern, Presse- und Hobbyfotog­rafen zu ihm getragenen Geräte wieder auf Vordermann bringen. Den Rest bestelle er. „Ich repariere alles mit einem Wert von 200 Euro aufwärts.“Digital wie analog sind die Kameras, die auf seinem Tisch landen. Wobei man merkt: Der Schwerpunk­t liegt auf den alten, mechanisch­en Modellen. Der digitalen Jahrgänge nimmt sich Redl zwar auch an. Aber erstens sichtlich nicht so gern. Und zweitens gebe es heutzutage zu viele, die ihre Kamera nach zwei Jahren bereits durch eine neue ersetzen, anstatt kleine Fehler reparieren zu lassen. Die Kundschaft, die gewillt ist, die von ihm veranschla­gten Honorare zwischen 100 und 3000 Euro zu zahlen, fällt dementspre­chend in die Liebhaber- oder Profikateg­orie und fotografie­rt naturgemäß oft mit den älteren Klassikern.

Den Durchschni­ttsfotogra­fen mit seiner Digitalkam­era, der die Räume mit den Pin-up-Girls und dem Ersatzteil­fundus in der Josefstadt wohl nie zu Gesicht bekommen wird, bedauert Redl. „Schade, schade“, denke er immer, „in zwanzig Jahren wird einmal niemand Bilder von euch sehen.“

»Es haben schon Werke angerufen und gefragt, ob ich ihnen Teile verkaufen könne.« »In zwanzig Jahren wird einmal niemand Bilder von euch sehen.«

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Clemens Fabry Seit 35 Jahren arbeitet Helmut Redl in der Werkstatt in der Wiener Josefstadt.
 ?? Clemens Fabry ?? Redl verkauft gebrauchte wie neue Kameras verschiede­nster Marken und Baujahre.
Clemens Fabry Redl verkauft gebrauchte wie neue Kameras verschiede­nster Marken und Baujahre.
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