Nicht so kleines Genom
Wir haben Gene nicht nur im Zellkern, sondern auch in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien. Ihr Einfluss wurde lang unterschätzt.
Jeder von uns hat zwei Genome, ein großes im Zellkern (nukleare DNA, um die 20.000 Gene), ein kleines in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien (mitochondriale DNA, mtDNA, exakt 37 Gene). Vom großen haben wir zwei Sätze in jeder Zelle, einen von der Mutter, einen vom Vater. Das kleine wird nur von den Müttern vererbt, kommt aber auf enorme Zahlen, oft sind Tausende in einer Zelle, es hängt von deren Energiebedarf ab. So ist das seit etwa zwei Milliarden Jahren, und bislang stellte man sich den Ursprung ganz amikal vor, als Endosymbiose: Ein Einzeller bezog in einem anderen Quartier, im Gegenzug übernahm er die Energieversorgung bzw. die Umwandlung von Zucker und Sauerstoff in die in Zellen übliche Münze der Energie: Adenosintriphosphat, ATP.
Zuletzt gab es allerdings Zweifel an der Harmonie: Der Eindringling sei nicht zum Kooperieren gekommen, sondern zum Stehlen von ATP, allmählich erst hätten die beiden zusammengefunden, schloss Martin Wu (University of Virginia) aus Genanalysen (PLoS ONE 9 e110685). Wie auch immer, nukleare und mtDNA hatten Zeit genug, sich aufeinander einzuspielen, und zwar, wieder nach traditioneller Sicht, in strikter Arbeitsteilung: Die mtDNA war für Energie zuständig, sonst für nichts, nichts im Körper, nichts in der Evolution. Bei der dient sie allenfalls als kleines feines Archiv: Ihre paar Gene sind leicht zu analysieren, und weil sie rascher mutieren als die der nuklearen DNA, konnten an ihnen etwa Wanderungsbewegungen der frühen Menschheit detailliert rekonstruiert werden.
Aber die Trennung in einen aktiven und einen neutralen Teil des Gesamtgenoms war künstlich: Viel in der Embryonalentwicklung hängt daran, wie viel Energie den einzelnen Zelltypen zur Verfügung steht, etwa denen des Gehirns. Dort gibt es sog. Interneuronen, sie müssen nach ihrer Entstehung weit wandern. Das schaffen sie aber nur unzureichend, wenn eines ihrer mitochondrialen Gene geschädigt ist, Ant1, dann stockt die Hirnentwicklung, Jef- frey Goldon (Harvard) hat es gerade bemerkt, an Mäusen (Cell Reports 31. 3.). Goldon vermutet, dass das bei Menschen nicht anders ist und dass diese Mutation hinter vielen Leiden des Gehirns steht, von Epilepsie bis Autismus.
Falls das stimmt, gehören diese Krankheiten zu denen, die einen von fünftausend Menschen überfallen und von mtDNA mit Fehlern herrühren, seien sie ererbt, seien sie im Lauf des Lebens gekommen. Ursächliche Therapien gibt es nicht, aber bei ererbten Fehlern könnte es sie bald geben: Man könnte die Schäden im Embryo beheben, indem man die kranke mtDNA der Mutter durch die gesunde einer anderen Frau ersetzt. Technisch ist das machbar, moralisch bringt es die übliche Rhetorik – „Gott spielen?!“, „Kind von drei Elternteilen?!“–, juristisch ist es seit vergangenem Jahr in Großbritannien zugelassen, jenem Land, das in der Reproduktionsmedizin immer voraneilt, angefangen beim Retortenbaby. Einfluss auf Verhalten. Aber wäre eine Reparatur der mtDNA wirklich so einfach und risikolos? 2003 fiel Pierre Roubertoux (CNRS Orleans)´ etwas auf, an Mäusen: Er hatte zwei Stämme, H und N, sie hatten leicht unterschiedliche mtDNA. Roubertoux brachte sie in mühsamen Kreuzungen von den einen auf die anderen – er brauchte zwölf Jahre –, dann sah er die Folgen mit bloßem Auge: H-Mäuse fanden rascher durch Labyrinthe, aber nur, solange sie H-Mitochondrien hatten. Mit N-Mitochondrien lernten sie weniger rasch, und umgekehrt: N-Mäuse taten sich mit H-Mitochondrien beim Orientieren leichter als mit ihren eigenen (Nature Genetics 1, S. 65).
Eine ähnliche Überraschung hatte schon David Rand (Brown University Provenance) bei Fruchtfliegen erlebt. Auch er hat zwei Arten gekreuzt – bei ihnen geht es rascher –, aber die Populationen immer gemeinsam gehalten: Die mit der einen mtDNA dominierten rasch, ganz gleich, welche nukleare DNA sie hatten (Genetics 140, S. 537). Nun ja, Mäuse wie Fliegen waren Inzuchtstämme in Labors. Aber das Phänomen zeigte sich auch an Tieren in der freien Natur, Ruderfußkrebsen von der pazifischen Küste. Diesmal kreuzte Ron Burdon (La Jolla), wieder schwächte falsche mtDNA, und ihr Ersetzen durch gesunde half (PLoS Ge- netics 10 e1004369). Burton vermutete, dass es nicht nur und einfach um mtDNA ging, sondern um ihr Zusammenspiel mit der nuklearen. Dem ist auch so, es hat sich oft bestätigt.
Und deshalb blieb die Zulassung des Kindes mit den drei Eltern in Großbritannien nicht ohne Widerspruch, Forscher wie Klaus Reinhard (Tübingen) fürchteten unabsehbare Konsequenzen für den Nachwuchs (Science 341, S. 1345). Der Schlagabtausch war kurz und heftig, die Zulassung kam, eng begrenzt auf Kinder mit absehbaren mtDNA-Schäden, ein paar Hundert in Großbritannien im Jahr. Was allerdings in Hinterzimmern vor sich geht, weiß man nicht: Vor allem in den USA werden mtDNA-Kuren für Frauen angeboten, die bzw. deren Eizellen unfruchtbar sind, die fremde mtDNA soll helfen.
Kann man manche Erbleiden heilen, indem man DNA der Mutter durch andere ersetzt? Würden in Transplantaten aus verjüngten Zellen Krankheiten des Alters mitgeschleppt?
Das hat niemand im Blick, und Erfahrungen aus Großbritannien liegen noch nicht vor, erlaubt ist der Genaustausch seit vorigen Herbst. Inzwischen macht die mtDNA aber in einem ganz anderen Bereich Sorgen, bei den induzierten pluripotenten Stammzellen, ipS. Das sind Zellen, die man etwa der Haut eines Erwachsenen entnimmt und sie dann verjüngt. Aus den Ergebnissen kann man dann wieder Zellen jedes Typs gewinnen, vielleicht auch einmal ganze Organe: Sie wären ideale Transplantate, da sie vom Empfänger selbst stammen und keine Abstoßungsprobleme machen sollten.
Das ist Zukunftsmusik, bisher wohltönende, aber jetzt kommt ein Missklang hinein (Cell Stem Cell 14. 4.): Was an den Zellen verjüngt wird, ist die nukleare DNA, nicht die mitochondriale. Aber auch die altert, und sie mutiert eben sehr rasch, beides steht im Verdacht, an einer breiten Palette von Leiden mitzuwirken, die sich im Lauf des Lebens einstellen können, von Diabetes und Krebs über Herzleiden bis Alzheimer. Die kämen dann mit den Implantaten. Taosheng Huang (Cincinatti) hat das Problem gerade in aller Breite aufgezeigt und sieht die Lösung in rigorosen Kontrollen der mtDNA bei induzierten Stammzellen.