Die Spiele der Cariocas
NachN der Fußball-WM 2014 trägt Brasilien im August die Olympischen Sommerspiele aus. Doch in Rio de Janeiro trüben Politik, Korruption und Zika-Virus das Glücksgefühl.
Vor ein paar Tagen hatte Dilma Rousseff endlich einmal wieder einen Termin der angenehmeren Art. Sie eröffnete das fertiggestellte Schmuckkästchen im Olympia-Park von Rio de Janeiro, das neue Schwimmstadion. „Welch überraschend frische Brise hier“, meinte Brasiliens Präsidentin angesichts eines ausgeklügelten, energiesparenden Systems zur Luftzirkulation. Rousseff lächelte, neben ihr der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes. Doch zu lachen hat sie nun gar nichts mehr – aller Voraussicht nach wird sie die Olympischen Spiele am 5. August nicht eröffnen können. Die Rio-Organisatoren dürften aufatmen, dass das Politdrama nicht schon früher auf diesen Höhepunkt zugesteuert ist. Denn regiert wird das Land derzeit kaum noch. Aber die Finanzierung ist gesichert.
Immer wieder sagen die Bürger in Rio: „Alles hat mit dem 1:7-Debakel gegen Deutschland angefangen.“Die bittere Halbfinal-Pleite bei der FußballWM 2014 wird vielfach als Menetekel gesehen: tiefe Rezession, 9,6 Millionen Menschen sind mittlerweile arbeitslos. Dann ist noch die mysteriöse Zika-Epidemie gekommen und irgendwann hat die Stimmung Oberhand gewonnen: Dilma muss weg. Ende April wird der Senat die 68-Jährige, die seit 2011 im Amt ist, wahrscheinlich für zunächst 180 Tage suspendieren, in dieser Zeit werden dann die Vorwürfe wie Kredite ohne Erlaubnis des Kongresses und Tricksereien beim Haushalt geprüft. Die Intrigen und Ränkespiele in Brasilia erinnern an eine Telenovela.
Statt ihrer könnte Vizepräsident Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) die Spiele für eröffnet erklären, der 75-Jährige ist kaum minder umstritten, we- gen einer WhatsApp-Panne hat schon der Entwurf einer Ansprache an das Volk die Runde gemacht, wenn er an die Staatsspitze aufrückt. Auch Paes gehört der PMDB an, bis zuletzt hat der Rio-Flügel der Partei zu Rousseff gehalten. Kritiker meinen, sie sei daher erpressbar gewesen, wenn es um weitere Gelder für Olympia gegangen ist. Zwischen Vorfreude und Protest. Eine optimale Vorbereitung im Gastgeberland sieht anders aus, aber was bedeutet das Politdrama für die Sommerspiele? Olympia-Fieber will noch nicht recht aufkommen, das Land ist paralysiert, Millionen demonstrieren. Bereits die Parlamentssitzung, bei der mit deutlicher Mehrheit die Amtsenthebung auf den Weg gebracht wurde, schauten sich Tausende Menschen im Public Viewing auf der Copacabana an. Jede Stimme für die Absetzung wurde dabei wie ein Tor oder eine Goldmedaille für Brasilien bejubelt. Die verhaltene Vorfreude zeigt sich auch im schleppenden Ticketverkauf: Von insgesamt 7,4 Millionen Karten für olympische und paralympische Spiele sind rund 62 Prozent verkauft.
Bisher gibt es keine Protestbewegung, die explizit die Spiele ins Visier nimmt, aber die Sozialproteste vor der Fußball-WM sind ebenfalls überraschend entstanden. Auch deshalb gibt es einen enormen Spardruck – in verschiedenen Sportstätten wird es weit weniger Zuschauerplätze geben als zunächst geplant, ebenso Tausende Freiwillige weniger; und die Sportler müssen Abstriche beim Komfort machen. Zudem wird bei der Eröffnungs- und Schlussfeier gespart.
Die Organisation sei nicht davon betroffen, werden die Rio-2016-Sprecher nicht müde zu betonen. „Alles ist zu 98 Prozent fertig.“Sogar das wichtigste Infrastrukturprojekt der Spiele, eine Metrolinie in das weit außerhalb liegende Barra, wo sich der OlympiaPark mit den meisten Sportstätten befindet, könnte fertig werden. Es hat gute Fortschritte bei Tunnelarbeiten gegeben, wenn alles klappt, soll Anfang Juli ein Testbetrieb starten. Ohne die 16 Kilometer lange Linie drohen nervtötende Anreisen mit Bussen.
Wenn die Cariocas, wie die Bewohner von Rio genannt werden, sich eines nicht verderben lassen, dann ist es die gute Laune. Paes setzt auf heitere Spiele wie 1992 in Barcelona, die einen Touristenboom auslösen. Die Macht der Bilder aus einer der spektakulärsten Städte der Welt soll die Probleme übertünchen – und die Brasilianer einen, indem gezeigt wird, dass man dieses Megaereignis trotz Krise gestemmt bekommt. IOC noch unbesorgt. Von Seiten des Internationalen Olympischen Komitees macht man sich (noch) keine Sorgen. Die zehnte und letzte Inspektionsreise wurde gerade beendet, das Fazit fiel positiv aus. Die Vorbereitungen seien jetzt in eine operative Phase eingetreten, „in der diese Art von politischen Problemen viel weniger Einfluss hat“, erklärte ein IOC-Sprecher. Bleibt zu hoffen, dass die Lage friedlich bleibt – Rousseff vergleicht das Vorgehen gegen sie schließlich mit einem „Staatsstreich“.
Jede Stimme für Präsidentin Rousseffs Absetzung wurde wie ein Tor bejubelt. Nach dem Zika-Virus bereitet nun auch ein Ausbruch der Schweinegrippe Sorgen.
Im Fokus stehen vielmehr potenzielle Gesundheitsrisken in Brasilien. Zusätzlich zum grassierenden Zika-Virus bereitet nun auch ein Ausbruch der Schweinegrippe Sorgen. Wie das Gesundheitsministerium mitgeteilt hat, sind in weniger als zwei Monaten 46 Menschen durch den Typ A des H1N1-Virus ums Leben gekommen – zehnmal so viele wie im ganzen vergangenen Jahr. In Rio wurde der erste Todesfall im Zusammenhang mit der Krankheit bestätigt. Bis Mitte März wurden in diesem Jahr bereits 305 Krankheitsfälle gemeldet, 2015 gab es insgesamt 141. Am stärksten betroffen ist die Region Sao˜ Paulo. Nicht unbedingt die beste Werbung für einen Besuch in Brasilien.