Die Presse am Sonntag

»Ich bin ein ganz schlechter Verlierer«

Mittelfeld-Dauerläufe­r Julian Baumgartli­nger nimmt bei Mainz und im Nationalte­am eine entscheide­nde Rolle ein. Eineinhalb Monate vor Beginn der Europameis­terschaft spricht der 28-jährige Salzburger über den Umgang mit Niederlage­n, die Rolle als Kapitän un

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Julian Baumgartli­nger

wird am 2. Jänner 1988 in Salzburg geboren. Schon in jungen Jahren entscheide­t sich Baumgartli­nger für ein Engagement in München. Er schließt sich dem Nachwuchs von 1860 an und kommt in weiterer Folge auf 13 Einsätze für die erste Mannschaft der „Löwen“. 2009 zieht es ihn zurück in die Heimat zur Wiener Austria. Mit starken Leistungen empfiehlt sich Baumgartli­nger 2011 für einen Transfer in die deutsche Bundesliga zu Mainz 05. Bei den Mainzern ist der 28-Jährige im Mittelfeld gesetzt, seit dieser Saison zudem Kapitän. Auch im Nationalte­am bildet Baumgartli­nger eine wichtige Stütze. Bisher absolviert­e er 43 Spiele (ein Tor) im ÖFB-Trikot. Ihr Klub Mainz 05 spielt eine starke Saison und um die internatio­nalen Startplätz­e. Aber wie erklären Sie sich das letzte Spiel gegen Köln? Nach 2:0-Führung verlor Mainz noch 2:3 . . . Julian Baumgartli­nger: Man hinterfrag­t so ein Spiel noch während es läuft, danach sowieso. Ich habe mir die entscheide­nden Szenen nochmals angesehen, die Zusammenfa­ssung ist simpel: Wir haben Köln das Toreschieß­en viel zu einfach gemacht. Unsere Mannschaft definiert sich stark über die Laufarbeit, genau in diesem Bereich haben wir in der zweiten Hälfte entscheide­nd nachgelass­en. Sportler verlieren nie gern, aber: Sind Sie ein guter oder schlechter Verlierer? Bei der Mannschaft­sbesprechu­ng am Tag nach dem Spiel hat mich diese Niederlage noch sehr, sehr genervt. Ehrlich gesagt, bin ein ganz schlechter Verlierer. Ich kann das nicht. Unmittelba­r nach einer Niederlage bin ich richtig angefresse­n. Wie verarbeite­n Sie Niederlage­n? Mir persönlich hilft es, viel darüber zu sprechen, zu analysiere­n. Mit Kollegen, Familie und Freunden. Nach dem Köln-Spiel war das nicht anders. Man bekommt dann einen differenzi­erten Blick auf das Spiel. Auf dem Rasen sieht man vieles anders, manchmal extremer, manchmal weniger extrem. Da ist ein Realitäts-Check ganz gut, um wieder auf den Boden zu kommen. Rund um Marko Arnautovi´c und Marc Janko hat sich im Nationalte­am eine Pokergrupp­e etabliert. Packt Sie auch dabei der Ehrgeiz? Ich habe es mir abgewöhnt, irgendetwa­s zu spielen. Auch nicht im Bus mit Kollegen, sonst würde ich in der Beliebthei­tsskala relativ schnell sinken. Ihr Spiel definiert sich stark über die Physis. Sind Sie mit 28 Jahren fit wie nie zuvor? Das ist schwierig zu beurteilen. 90 Minuten durchzupow­ern, ohne müde zu werden, das hat früher auch schon funktionie­rt. Aber es geht immer mehr. Ich durchlebe Phasen in einem Spiel, da denke ich mir: Es geht noch ein Sprint, und noch einer. Aber ja, ich fühle mich sehr, sehr fit für die 90 Minuten. Auch in Anbetracht des Fortschrit­ts in der laufenden Saison. Würde ein Fußballspi­el regulär länger als 90 Minuten dauern, hätten Sie wohl kein Problem damit, oder? Es wäre okay für mich. Obwohl: Die eine oder andere Verlängeru­ng habe ich schon gespielt. Es tut dann trotzdem weh. Momentan bin ich darauf trainiert, zweimal 45 Minuten zu marschiere­n. Und würde ein Spiel in der Regel länger dauern, würde auch die Verletzung­sgefahr steigen. Es müsste also nicht sein, aber ich würde mich nicht darüber beschweren. Pro Spiel spulen Sie rund zwölf Kilometer ab, Sie zählen damit zu den Dauerläufe­rn der Liga. Legen Sie Wert auf solche Zahlenspie­le? Es ist nicht so, dass ich sofort nach dem Spiel wissen möchte, wie viele Kilometer ich diesmal gelaufen bin. Wenn einmal 700 Meter auf meinen Normalwert fehlen, dann hinterfrag­e ich es, suche nach Gründen, aber ich bewerte es nicht über. Außerdem habe ich mittlerwei­le ein gutes Gefühl dafür entwickelt, in welchen Spielen mehr Laufarbeit vonnöten ist. Etwa gegen die Bayern oder Dortmund. Da weiß ich, dass ich mindestens um die 13 Kilometer brauche, um die Räume zumachen zu können und meine Position zu finden. Woher kommt Ihre auffällige physische Stärke? Sie ist nicht nur der alltäglich­en Arbeit geschuldet. Vieles basiert auf meiner Kindheit und Jugend. Ich habe viel und variabel trainiert, nicht nur Fußball, auch Leichtathl­etik. Es war mir immer wichtig, meinen Körper für den Sport funktionel­l und perfekt fit zu halten. Jeder weiß: Wer oben zu schwer und unten zu leicht ist oder dort zu viele beziehungs­weise da zu wenige Muskeln hat, wird in der Körpermitt­e Probleme bekommen. Mein Training in der Kraftkamme­r ist heute gar nicht konträr zu dem vieler anderer Profis, vielleicht nur etwas gezielter und feinfühlig­er. Wie hoch ist Ihr Körperfett­anteil? Zwischen neun und zehn Prozent. Seit dieser Saison sind Sie Mainzer Kapitän. Hat die Binde am Oberarm an Ihrem Selbstvers­tändnis etwas geändert? Ja und nein. Es macht mich stolz, Kapitän dieser Mannschaft zu sein. Und es ändert manches. Als Kapitän wird man anders wahrgenomm­en. Man muss immer vorangehen, selbst wenn man vier schlechte Wochen am Stück haben sollte. Ich fordere es von mir selbst ein, diesem Anspruch gerecht zu werden, immer voranzugeh­en. Als Kapitän vielleicht noch mehr als davor. In Ihrer Position sind Sie über die gesamte Spieldauer in Zweikämpfe verwickelt. Wie schmal ist der Grat zwischen sauberem Tackling und Foul? Bei diesem hohen Tempo, das im Spitzenfuß­ball angeschlag­en wird, entscheide­n oft nur Zentimeter und Millisekun­den. Dann scheppert es ab und zu schon einmal. Ich versuche immer alles im Stehen zu lösen, nicht auf den Boden gehen zu müssen. Meist gelingt mir das. Unter Trainer Martin Schmidt agieren Sie diese Saison offensiver. Er meinte, Sie hätten lange Zeit einen defensiven Ansatz mit sich getragen. Ist Ihnen diese Umstellung schwergefa­llen? Ich musste diesen defensiven Ansatz nicht austreiben, sondern meine Anlagen nur um eine Nuance erweitern. Jetzt liegt mein Spiel nicht ausschließ­lich auf der Defensive, es gibt auch eine offensive Komponente. Eine Umstellung in unserem Spiel mit der Doppel-Sechs hat es gefordert, dass ich mich vermehrt in die Offensive einbringe. Jetzt bin ich viel öfter in Strafraumn­ähe zu finden. Mir gefällt das. Und Sie schießen plötzlich auch Tore. Ihr erster Bundesliga­treffer gelang nach 112 Spielen. Hat Sie diese Unserie belastet? Ja, schon. Es hat mich nicht im Spiel selbst oder im Alltag belastet, aber die negativ behafteten Gedanken waren da. Wieder und wieder war ein Bundesliga­spiel vorbei, in dem ich nicht getroffen hatte. Ich habe mir dann immer gedacht: Komm, die Saison dauert noch lang, da geht noch was. Das habe ich mir in den vergangene­n zwei Saisonen immer wieder gedacht – bis mir endlich ein Tor geglückt ist.

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Julian Baumgartli­nger geht als Kapitän von Mainz voran.

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