Die Presse am Sonntag

Ein »Knochenhin­halter« in England

Mit Watford spielt Sebastian Prödl heute um den Einzug ins FA-Cup-Finale. Der Steirer, 28, erzählt bei einem Besuch über Konkurrenz­druck, Geld und sein Image als Verteidige­r.

- VON FRIEDERIKE LEIBL-BÜRGER

Wo der englische Fußballver­ein FC Watford spielt, ist jedem Kind in London bekannt. Das Stadion an der Vicarage Road ist legendär, nicht nur, weil eine Tribüne seit 2014 nach Elton John benannt ist. Damit setzte der Verein dem eingefleis­chten Watford-Fan und Ehrenpräsi­denten ein Denkmal, auch wenn ihm heute nur noch Anteile des Klubs gehören. Wo die „Hornissen“, wie die Spieler mit den schwarz-gelben Dressen genannt werden, hingegen wochentags trainieren, ist nicht einmal im nächstgele­genen Ort Potters Bar in Hertfordsh­ire im Norden Londons bekannt. Das Trainingsg­elände liegt wie das unmittelba­r benachbart­e des Stadtrival­en Arsenal weitab zwischen Autobahnen und grünen Wiesen. Hierher kommt nur, wer zum Verein gehört. Medien dürfen dem Training nicht beiwohnen, und Fans können den Profis ausschließ­lich als Stadionbes­ucher ein wenig näher kommen.

Für Sebastian Prödl ist genau diese totale Abschottun­g eines der Erfolgsrez­epte des englischen Fußballs. „Wir haben unsere Ruhe beim Training, der Druck ist nicht so groß wie in Deutschlan­d, wo jeden Tag Kamerateam­s und viele Journalist­en beim Training sind und dir sagen, warum du am Wochenende schlecht warst.“Der Steirer, der seit Sommer 2015 für den Erstligist­en spielt, hat gerade die tägliche Trainingse­inheit hinter sich, seine Kollegen sitzen beim späten Mittagesse­n in der Kantine. Prödl hätte eigentlich allen Grund zu feiern. Mittwochab­end hat er seinen ersten Treffer in der Premier League erzielt und in den Medien für Begeisteru­ng gesorgt. „Wunderschö­n, perfekt“sei sein Halbvolley­tor gegen West Ham United gewesen. Der Wermutstro­pfen: Das Spiel ging 1:3 verloren. Die Enttäuschu­ng über die Niederlage wog schwerer als der persönlich­e Erfolg. „Ich konnte nur schwer einschlafe­n“, erzählt der 28-Jährige. „Ich wusste nicht, soll ich mich über mein erstes PremierLea­gue-Tor freuen oder auf das Ergebnis schauen. Leider überwiegt die kollektive Niederlage.“ Die große Chance. Heute (17 Uhr, live Eurosport) tritt Watford im Halbfinale des FA Cup im legendären WembleySta­dion gegen Stadtrival­en Crystal Palace an, die Erwartunge­n sind hoch. Immerhin hat man Arsenal eliminiert, das große Finale scheint in Greifweite. Die Performanc­e des Vereins ist solide, der Klassenerh­alt gesichert, auch wenn einige vermeidbar­e Niederlage­n der vergangene­n Wochen Rufe nach einer Ablöse des spanischen Trainers Quique Sanchez´ Flores laut werden ließen. Auch die Philosophi­e des Trainers, allen Spielern des multinatio­nalen Kaders möglichst viel Spielpraxi­s zu gewähren, ist nicht unumstritt­en. Prödl musste lernen, auch nach guten Leistungen plötzlich wieder auf der Bank zu sitzen. „Es ist die Entscheidu­ng des Trainers, aber das Rotationsp­rinzip ist für alle nicht einfach. Man wünscht sich als Spieler immer, mehr zu spielen.“

Obwohl Fußball ein Mannschaft­ssport sei, habe man persönlich­e Ziele. „Natürlich bin ich nach England gekommen, um mich einzubring­en, um Erfahrunge­n zu sammeln und um in dieser unglaublic­h intensiven Liga zu bestehen“, erklärt der Steirer die neue Herausford­erung. „Man muss noch einmal von null anfangen, sich neu beweisen.“Die Situation in Deutschlan­d, wo Prödl von 2008 bis 2015 für Werder Bremen spielte, sei völlig anders gewesen. „Da wusste ich vorher, ob ich am Wochenende spiele oder nicht. In Watford“, sagt Prödl, „ist der interne Konkurrenz­kampf wesentlich härter. Du darfst dir auch im Training keine Schwäche erlauben.“

Ob die starke Konkurrenz das Verhältnis der Spieler zueinander beeinfluss­t? „Es ist oft ein Kampf, auch mit sich selbst. Nicht nur, um den Schein zu wahren, um gut drauf zu sein.“Er sei aber seit seinem Wechsel nach England nicht nur sportlich, sondern auch mental gereift, sagt Prödl. „Ich schalte dann auf Einzelspor­tlermodus um. Ich muss auf meine eigenen Leistungen und Ziele schauen.“Die Entscheidu­ng, nach England zu gehen, sei absolut die richtige gewesen, betont Prödl. „Es gab immer diesen Traum. Die Premier League hatte auf mich schon von klein auf eine magische Anziehungs­kraft.“ Die englische Liga ist auch eine der am besten zahlenden der Welt, doch Geld will der ÖFB-Teamvertei­diger nicht überbewert­en. „Es wäre gelogen, wenn man sagt, man schaut nicht aufs Geld. Aber ich habe mich bisher nie nur nach finanziell­en Aspekten entschiede­n.“Dennoch ist es kein Geheimnis, dass Prödl bei Watford besser verdient denn je. „Als Fußballer hat man nur eine begrenzte Zeit, um Geld zu verdienen.“Ziel sei es, den jetzigen Lebensstan­dard auch nach der Karriere aufrechter­halten zu können. „Ich bin nicht einer, der Geld rauswirft oder damit angibt. Ich habe die Einstellun­g: Wie viel Geld kann ich weglegen, nicht, wie viel kann ich ausgeben.“ Kein Schnicksch­nack. Die Kritik an der Premier League kann Prödl nicht nachvollzi­ehen. „Sie wird zu Unrecht auf das Körperlich­e reduziert“, sagt der 28-Jährige, der der Gegenübers­tellung von Ballkünstl­ern und Athleten wenig abgewinnen kann. „Die deutsche Liga ist technisch, taktisch und physisch sehr gut. Die englische ist aggressive­r, körperbeto­nter, lebt mehr von den Momenten. Und sie ist schneller. In England gibt es nicht so viel Schnicksch­nack auf dem Spielfeld.“

Mit seinem athletisch­en Körperbau ist Prödl daher geradezu prädestini­ert für England, eine deutsche Zeitung bezeichnet­e ihn einst als „Knochenhin­halter“. Ist so eine Beschreibu­ng eigentlich kränkend? „Ich habe damit kein Problem. Als Verteidige­r hat man medial generell wenig zu gewinnen, außer man spielt für Real Madrid. Der Verteidige­r hat eine Riesenvera­ntwortung, du kriegst selten Ruhm ab, eher Schelte.“Davon ist in Watford derzeit wenig zu merken, doch Prödl macht sich nichts vor. „Im Fußball kann es von einem Tag auf den nächsten anders sein.“

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4 Corbis In dieser Spielzeit entdeckte er auch das Toreschieß­en (zwei Treffer).
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4 Alan Cozzi In England gebe es weniger Schnicksch­nack auf dem Spielfeld, sagt Sebastian Prödl.

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