Mord am Wahltag
Sonntag. Sieben Uhr morgens. Müde betrat Denk den Stadtpark. Das Erste, was ihm auffiel, waren die unzähligen Ansichtskarten, die auf der Wiese verstreut lagen. Sie zeigten das Konterfei eines der Präsidentschaftskandidaten. Sofort kam Denk die Warnung seines Vorgesetzten in den Sinn.
„Das Schlimmste, was uns während des Wahlkampfs passieren kann, ist eine politisch motivierte Tat. So etwas gilt es mit aller Macht zu verhindern.“Zwar wusste er noch nicht, ob die Autogrammkarten überhaupt etwas mit dem Verbrechen zu tun hatten, aber auszuschließen war es nicht. Auf dem Hinterkopf des Toten klaffte eine grässliche Wunde. Offenbar war er mit dem Pflasterstein neben ihm erschlagen worden. „Wissen wir schon, mit wem wir es hier zu tun haben?“
Mayr schüttelte den Kopf. „Die Geldtasche fehlt. Möglicherweise handelt es sich um Raubmord.“Denk atmete erleichtert auf. „Also ein ganz normales Verbrechen.“Doch sein Assistent raubte ihm schnell wieder diese Hoffnung. „Da wäre ich mir nicht so sicher. Auf den Autogrammkarten befinden sich nämlich die Fingerabdrücke des Toten und Blutspuren, was den Schluss nahelegt, dass der Mörder diese nach der Tat absichtlich über die Wiese verteilt hat.“
Denk besorgte sich ein Foto des Opfers und fuhr zur Wahlkampfzentrale des Kandidaten, dessen Werbematerial der Mann bei sich gehabt hatte. Dort herrschte bereits trotz der frühen Stunde Hochbetrieb. Er zeigte dem Wahlkampfleiter das Bild des Toten. „Das ist Peter Wurm. Er war bis gestern einer unserer Mitarbeiter. Was ist mit ihm?“– „Er ist Opfer eines Gewaltverbrechens geworden.“– „Aber das gibt es doch nicht!“– „Sie sagten gerade, dass er bis gestern einer Ihrer Mitarbeiter war. Wie ist das zu verstehen?“
„Wir haben den Abschluss des Wahlkampfs in einem Lokal auf dem Linzer Hauptplatz gefeiert. Dabei sorgte Wurm für einen Eklat, worauf ich mich gezwungen sah, ihn mit sofortiger Wirkung zu entlassen.“– „Das müssen Sie mir schon genauer erklären!“– „Peter hat zu viel getrunken und lautstark über unseren Kandidaten zu schimpfen begonnen. Schließlich ist Ralf Mack, meinem Stellvertre- HONIGWABE ter, der Kragen geplatzt. Er hat sich auf Wurm gestürzt. Die Folge war eine handfeste Rauferei zwischen den beiden. Leider waren wir nicht allein im Lokal. Was für eine blamable Situation! Ich habe die Streithähne getrennt und ihnen zu verstehen gegeben, dass ihre weitere Anwesenheit nicht länger erwünscht ist.“
„Wie haben die beiden darauf reagiert?“– „Ralf hat sich entschuldigt und beschämt das Lokal verlassen.“– „Und Wurm?“– „Ist schimpfend in die Gaststube getorkelt und hat dort mit einem Paar zu streiten begonnen. Wer das war, kann ich Ihnen allerdings nicht sagen. Das müssten Sie schon seine Freundin fragen.“– „Er war also nicht allein.“– „Nein, die Angehörigen unserer Mitarbeiter waren auch zu dem Fest eingeladen.“
„Sie können mir sicher Auskunft geben, wo Herr Mack wohnt.“– „Das wird nicht nötig sein. Ralf ist hier. Nachdem er an diesem Streit keine Schuld trug, sah ich keinen Grund, ihn nicht weiter mitarbeiten zu lassen.“Denk begab sich mit Mack in ein freies Büro und setzte ihn von Wurms Tod in Kenntnis. „Peter tot? Aber das gibt es doch nicht!“Seine Betroffenheit schien echt. „Stimmt es, dass Sie gestern mit Wurm eine Auseinandersetzung hatten?“– „Sie glauben doch nicht, dass ich etwas mit dieser Sache zu tun habe?“
„Um das herauszufinden, bin ich hier. Was haben Sie nach dem Verlassen des Lokals gemacht?“– „Ich war völlig durcheinander und bin ziellos durch die Stadt gelaufen. Gegen eins war ich dann zu Hause.“
„Kann das jemand bezeugen?“Mack schüttelte den Kopf. „Ich lebe allein. Aber Sie müssen mir glauben, ich habe nichts mit Peters Tod zu tun.“Denk bat ihn, sich zur Verfügung zu halten, und suchte Wurms Freundin auf. Sie wohnte in Urfahr.
„Frau Weiß, ich muss Ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen. Ihr Freund ist tot.“Die junge Frau stieß einen erschütterten Schrei aus und begann zu weinen. Denk wartete, bis sie sich etwas gefasst hatte. „Können Sie mir noch einmal schildern, was gestern passiert ist?“– „Es war ein furchtbarer Abend“, erzählte sie mit gebrochener Stimme. „Peter hat zu viel getrunken und schließlich ist alles aufgebrochen, was sich im Lauf des Wahlkampfs in BUCHSTABENBUND ihm aufgestaut hat. Ich habe zwar versucht, ihn zu beruhigen, aber er war so in Rage, dass er nicht auf mich gehört hat.“Plötzlich hielt sie inne und schaute Denk zweifelnd an.
„Warum diese Fragen? Es war doch ein Unfall.“Denk schüttelte den Kopf. „Ihr Freund ist ermordet worden. Wer war eigentlich das Paar, mit dem er in der Wirtsstube zu streiten begonnen hat?“– „Das war seine Exfrau. Als Peter sie und ihren neuen Freund gesehen hat, war er nicht mehr zu halten. Er hat die beiden aufs Wüsteste beschimpft. Irgendwie ist es mir gelungen, ihn ins Freie zu bugsieren, aber er hat sich standhaft geweigert, mit mir nach Hause zu gehen, und angefangen, auch mich zu beleidigen. Da hat es mir gereicht, und ich habe mich allein auf den Heimweg gemacht.“Plötzlich verdüsterte sich ihr Blick. „Das muss Mack gewesen sein. Er hat Peter gedroht, ihm das noch heimzuzahlen. Aber . . .“
Sie hielt noch einmal kurz inne. „Wissen Sie, was mich irritiert? Der Stadtpark liegt nicht auf dem Weg zu unserer Wohnung. Was hat Peter dort gemacht? Obwohl, wenn ich mich recht erinnere, wohnt seine Exfrau in der Sattlerstraße. Das ist nur einen Steinwurf von diesem Park entfernt.“
Denk machte sich sofort auf den Weg zu Wurms Exfrau. Er traf sie und ihren Freund beim Frühstück an. Beide beteuerten, nichts mit dem Mord zu tun zu haben, und gaben sich gegenseitig ein Alibi. Da für ihn trotzdem dringender Tatverdacht bestand, forderte er sie auf, sich anzuziehen und ihn auf das Präsidium zu begleiten, damit er sie getrennt befragen konnte. Während er auf sie wartete, schaute er aus dem Fenster. Sein Blick fiel auf ein Wahlplakat. Mittlerweile war er sicher, dass das Verbrechen nichts mit dieser Wahl zu tun hatte. Der Täter hatte sich nämlich längst selbst verraten. Wer hat Wurm erschlagen? KINDER-SYMBOL-SUDOKU