Die Presse am Sonntag

Österreich­s vergessene Kinder

Hunderte Kinder afroamerik­anischer Soldaten und weißer Mütter kamen in der Nachkriegs­zeit auf die Welt. Sie waren die erste Generation Schwarzer in der Zweiten Republik.

- VON DUYGU ÖZKAN

Es gibt die Väter, die auf zwei, drei vergilbten Bildern auftauchen, und von denen ihre Kinder nicht mehr wissen als das, was die fotografis­che Momentaufn­ahme übermittel­t. Es gibt die Väter, deren Namen man kennt, und es gibt jene, die völlige Phantome sind, von denen man nur gesichert weiß, dass sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich aufgehalte­n haben. Es gibt die Väter, die Glückwunsc­hkarten aus Amerika geschickt, manchmal angerufen, mit Geld ausgeholfe­n haben, und die später wieder in der Weite verschwund­en sind. Jeder Zeitzeuge, den Philipp Rohrbach und Niko Wahl getroffen haben, hatte eine andere Vater- bzw. Familienge­schichte zu erzählen.

Und doch haben alle diese eine Gemeinsamk­eit: Die Väter, das waren Amerikaner, schwarze GIs, die während der Besatzungs­zeit nach 1945 in Österreich stationier­t waren. „Wenn wir über dieses Thema sprechen“, sagt Rohrbach, „sprechen wir über die erste Generation Schwarzer in der Zweiten Republik in Österreich.“Schwarze Kinder in der Nachkriegs­zeit, im postnation­alsozialis­tischen Österreich – ein Thema, das bisher sowohl von der Öffentlich­keit als auch von der Wissenscha­ft stiefmütte­rlich behandelt worden ist. Mit ihrer Ausstellun­g „SchwarzÖst­erreich. Die Kinder afroamerik­anischer Besatzungs­soldaten“, die kommenden Dienstag im Volkskunde­museum Wien eröffnet wird, wollen Rohrbach und Wahl dieses Thema der österreich­ischen Zeitgeschi­chte hinzufügen.

Weil es so gut wie gar keine Anknüpfung­spunkte gab – schwarze Kinder wurden nicht registrier­t –, suchten die beiden Kuratoren nach der viel zitierten Nadel im Heuhaufen. Von den vorsichtig geschätzt 20.000 Besatzungs­kindern dürften 350 bis 500 einen schwarzen Vater haben. Die meisten, die noch in Österreich leben, führen ein unauffälli­ges Dasein, vielleicht als Resultat dessen, wie viele aufgewachs­en sind: marginalis­iert, diskrimini­ert, in Unsicherhe­it. Die Betroffene­n kamen in äußerst komplizier­ten Strukturen auf die Welt. Sie waren Kinder der Besatzer, der Feinde sozusagen, in den meisten Fällen waren sie auch noch unehelich, und das in einem streng katholisch­en Umfeld. Sie waren schwarz in einem komplett weißen Land. Der Druck auf die Mütter war enorm. Aber auch die Väter nahmen schwierige Ausgangsbe­dingungen mit, kamen sie doch aus einem stark segregiert­en Land, was sich freilich auf ihren Dienst in der Armee auswirkte.

Es gab Fälle, erzählen Wahl und Rohrbach, da wollten die Paare zusammenbl­eiben, aber von allen Seiten gab es Widerstand. Die US-Armee hatte kein Interesse daran, ihre Soldaten heiraten zu lassen. Die österreich­ische Familie hatte Bedenken, so auch die schwarze Familie in den USA, weil es sich doch um eine weiße Frau handelte. Oft, meint Rohrbach, lag es nicht an den Paaren selbst, warum die Beziehung letztlich nicht funktionie­rt hat. Die Haare. Nicht jedes schwarze Besatzungs­kind kam in einer Liebesnach­t zustande oder wurde in eine intakte Beziehung hineingebo­ren. Einige wurden nach der Geburt in Heimen untergebra­cht, andere zur Adoption freigegebe­n, in die USA, wo Rohrbach und Wahl ebenfalls Betroffene gefunden haben. So sind in der Ausstellun­g Bilder von Afroamerik­anern zu sehen, die als Afroösterr­eicher geboren wurden.

So unterschie­dlich ihre einzelnen Lebenswege auch sein mögen, einige Erlebnisse sind nahezu deckungsgl­eich. Man erinnert sich daran, dass die Erwachsene­n nicht verstanden haben, wie sie mit den Haaren des Kindes umgehen sollten. „Klingt banal, ist es aber nicht“, sagt Wahl. Da wurde der Kopf schon einmal rasiert, in dem Glauben, dass die Haare glatt nachwachse­n würden. Nicht aus Böswilligk­eit, man hat es einfach nicht besser gewusst. Böswillig waren da eher die Bemerkunge­n man- cher Nachbarn, wie sich eine Zeitzeugin erinnert. Da riefen ihr die Leute zu: „Schau, da kommt die Negerin“; ganz bewusst beleidigen­d hätten sie diese Bezeichnun­g verwendet.

Nur wenige Kinder von schwarzen Vätern kannten einander, selten kam ein Austausch zustande, von fehlenden Vorbildern und Role Models gar nicht zu reden. Der bekanntest­e Sohn eines schwarzen US-Soldaten und einer österreich­ischen Mutter ist der Fußballspi­eler Helmut Köglberger, der in Oberösterr­eich aufwuchs; das Land war wie Salzburg und ein Teil Wiens von den USA besetzt. Eine öffentlich­e Auseinande­rsetzung begann im Übrigen jüngst auch mit Besatzungs­kindern marokkanis­cher Kolonialtr­uppen, die in Vorarlberg auf die Welt kamen – Vorarlberg war französisc­h besetzt. Kein Aprilscher­z. Auf die Recherchen von Rohrbach und Wahl haben die Betroffene­n verschiede­n reagiert. Einige wollten nur anonym erzählen, andere ließen sich sogar filmen. Ermutigt von den Forschern hat sich eine Zeitzeugin spät auf die Suche nach ihrem Vater in den USA gemacht, ihn aber nicht gefunden. Dafür ganz überrasche­nd die leibliche Mutter, die offenbar ausgewande­rt war. Ein anderer Betroffene­r erzählte, wie bei ihm eines Tages das Telefon klingelte und eine Frauenstim­me sagte, der leibliche Vater wolle ihn sprechen. Nach 40 Jahren. Ausgerechn­et am 1. April rief er an. Wenn das ein Aprilscher­z ist, dann ein sehr schlechter, dachte er sich.

Nun, es war wirklich der Vater, und mit ihm auch gleich alle Geschwiste­r, die er in Amerika hatte. Ob er ihm Hemden schicken solle, wollte der Vater wissen, der noch das karge Nachkriegs­land im Kopf hatte. Nicht nötig, meinte der Sohn, es habe sich in Österreich viel verändert.

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