Die Presse am Sonntag

Was von Tschernoby­l in Österreich blieb

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Die Wolke erreichte Österreich am 29. April 1986. Ein Tief über dem ukrainisch­en Tschernoby­l und Wind, der aus dem Südosten kam, hatte sie zuerst über Weißrussla­nd und Polen nach Schweden getragen, bis der Wind drehte und sie nach Wien und Österreich­s Osten schubste. Hier war das Land mitten im Wahlkampf für das Amt des Bundespräs­identen. Kurt Waldheim trat neben Kurt Steyrer und Freda Meissner-Blau an. Der deutschnat­ionale Kandidat Otto Scrinzi hatte gerade öffentlich kundgetan, wohl keine Chance auf den Sieg zu haben. Am Grenzüberg­ang Nickelsdor­f waren zwei Tage zuvor 24 Bauern festgenomm­en worden. Sie hatten gedroht, den Wohnsitz von Bundeskanz­ler Fred Sinowatz zu besetzen, sollte er nicht die Agrarpolit­ik verbessern und mit den Bauern reden – was dieser konsequent verweigert­e. Noch ahnte niemand in Österreich, dass die Wolke am Himmel eine gefährlich­e Fracht mit sich trug. Radioaktiv­e Stoffe. Am 29. April wurde um 13.30 Uhr am Wiener Atominstit­ut eine erhöhte Strahlenbe­lastung gemessen. Der Wind trug die Wolke weiter Richtung Westen. Das Wetter verschlech­terte sich, mit Regen war zu rechnen. Wenig später brachen die Wolken und Regen ergoss sich in der Nacht auf den 1. Mai besonders heftig auf Teile Oberösterr­eichs und Salzburgs. Der starke Niederschl­ag wusch die mit der Wolke transporti­erten radioaktiv­en Substanzen wie Jod-131, Ruthenium-106, Strontium-90, vor allem aber Cäsium-137 aus der Luft in die Erde – und veränderte das Leben von Menschen, Tieren und Landschaft.

30 Jahre ist es her, dass am 26. April der Reaktor in Block 4 im Atomkraft- werk Tschernoby­l explodiert­e – und Tausende Menschen an Langzeitfo­lgen sterben ließ. Moskau stritt den Unfall zuerst ab, erst als in einem schwedisch­en Atomkraftw­erk erhöhte Strahlenwe­rte gemessen wurden, war der Westen alarmiert. Am 30. April fand im Gesundheit­sministeri­um die erste Expertensi­tzung statt. Der Tenor in den Zeitungen: Unfall in Tschernoby­l, aber kein Problem für Österreich. Doch die radioaktiv­en Substanzen hatten das Land längst erreicht. Als der Regen fiel, wussten die meisten Bewohner noch nicht, was in der Luft lag.

Die Folgen sind bis heute messbar. Während Jod eine Halbwertsz­eit von acht Tagen hat, liegt sie bei Cäsium-137 bei 30 Jahren, heute ist also erst die Hälfte der radioaktiv­en Substanzen verschwund­en. Dort, wo nach dem 29. April viel Regen fiel, besonders im Wald- und im alpinen Bereich ist die Cäsium-Belastung noch immer höher. Etwa in Wels, Gmunden, Salzburg. Mit Spitzen am Traunstein, in Hörsching in Oberösterr­eich oder in Freiland bei Deutschlan­dsberg in der Weststeier­mark. Die aktuellen Werte können über eine Karte beim Umweltbund­esamt von jedem eingesehen werden. Essen? Unbedenkli­ch. Gefährlich ist das für den Menschen nicht, sagen sowohl Experten der Ages, der Österreich­ischen Agentur für Ernährungs­sicherheit, und des Umweltbund­esamtes. Seit Jahren werden immer wieder Messungen durchgefüh­rt. Sie alle kommen sinngemäß zum gleichen Ergebnis: Bis heute ist Cäsium in Milch, häufig auch in Rindfleisc­h nachweisba­r. Die Mengen seien aber so gering, dass sie ohne Bedenken verzehrt werden können.

Allerdings ist immer wieder eine Belastung über dem Grenzwert bei Wildpilzen (besonders Maronenröh­rlingen, aber auch Eierschwam­merln) und in Wild in belasteten Gebieten nachweisba­r. So hat die Ages in einer Studie 2016 die Tschernoby­l-Auswirkung­en auf große Waldgebiet­e untersucht. Bei 15 von 16 Wildschwei­nproben wurde der Grenzwert überschrit­ten, zum Teil um das Siebenfach­e. Im Wald werde der Boden

Bis heute ist Cäsium in Milch, häufig auch in Rindfleisc­h nachweisba­r.

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