Die Presse am Sonntag

Der Lärm der Strahlen

Feuerwehrm­änner gehen Garten für Garten ab. Die Geigerzähl­er schlagen überall aus.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

Schöne, warme Tage Ende April in Krems. Die Eltern stehen knietief im schmutzige­n Wasser des Schwimmbad­s im Garten und schrubben die Wände sauber. Neues Wasser wird eingelasse­n. Am Abend liegt die Mutter mit fast 40 Grad Fieber im Bett. Sie glaubt, einen Sonnenstic­h zu haben. Ein Arzt wird später von Strahlenfi­eber sprechen. Doch zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand irgendetwa­s. In den Nachrichte­n ist erstmals von erhöhter Radioaktiv­ität in Teilen Skandinavi­ens zu hören. Die Ursache ist unklar.

Am nächsten Tag gehen wir mit der Klasse auf den Sportplatz. Es hat geregnet, wir würden lieber drinnen Volleyball spielen, aber wir sollen Weitspring­en üben. Wir finden den nassen Sand ekelig. Einige Tage später wird der gesamte Sand aus der Grube ausgehoben und entsorgt. Nicht nur auf den Sportplätz­en. Spielplätz­e werden gesperrt, Sandkisten dekontamin­iert. Dazwischen liegen Tage, die sich in unser Gedächtnis eingebrann­t haben.

Es regnet, teilweise heftig. Am 1. Mai ist der Himmel wieder blau. Im Radio heißt es, Kinder sollen nicht im Freien spielen. Weitere Empfehlung­en für den Feiertag kommen im Stundentak­t: keine Wäsche draußen aufhängen, keinen Salat aus dem Garten essen. Die Stimmung ist gedrückt. Am nächsten Tag kaufen die Eltern Konserven und Trockenmil­ch und stapeln sie im Keller. Der Gesundheit­sminister sagt: „Esst’s, was euch schmeckt.“

Feuerwehrl­eute aus dem Ort kommen mit Geigerzähl­ern und gehen Garten für Garten ab. Der Lärm ist unglaublic­h, so laut schlagen die Messgeräte aus. Wir können von der Gefahr nichts sehen, nichts riechen, nichts schmecken. Die Bedrohung ist unsichtbar und dennoch seltsam körperlich. Wir sind dreizehn Jahre alt.

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