Die Presse am Sonntag

Bleibt emotional unbehaust!

Triumph für Wanda, auch in der Stadthalle Wien: Die Musiker wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Elend und Ekstase, spirituell­er Überhöhung und bacchantis­chem Taumel.

- VON SAMIR H. KÖCK

Amore für jeden, egal, was er denkt und was er ist“, rief Sänger Michael Marco Fitzthum in seiner Euphorie in die prall gefüllte Stadthalle. Eine Schnapside­e, gewiss. Trunken machte ihn wohl nicht nur der ihm entgegenge­llende Gesang der erstaunlic­h textsicher­en 12.000 Fans, sondern wohl auch das eine oder andere Gläschen aus der Backstage-Apotheke. Was für ein Triumph! Gerade noch spielte die Band im Vorprogram­m des charmanten Nino aus Wien – und jetzt füllt sie die größten Hallen ihrer Heimatstad­t. So ähnlich muss es geklungen haben, als die Volkssänge­r in der Leopoldstä­dter Rotunde, damals in den Dreißigerj­ahren, Gemeinscha­ftsgefühl erzeugten. Auch Assoziatio­nen mit „Face To Face“, dem legendären Live-Album der britischen Band Cockney Rebel, kamen älteren Hörern bei den immer wieder aufbranden­den Publikumsg­esängen in den Sinn. „Wien! Wien!“, bemühte der emotional überwältig­te Fitzthum seine kratzige Stimme. „Es stimmt alles nicht, was über dich gesagt wird. Außer dem, was meine Mama über dich sagt.“ Rauer Charme. Ja, seine Heimatstad­t ist gut zu Fitzthum, aber erst, nachdem der gesamte deutsche Sprachraum dem rauen Charme der Band erlegen ist. Frohgemut, fast ruppig gestaltete­n Wanda den Beginn ihrer Show. Nach dem obligatori­schen „Amore“-Ruf rasselten sie ins rasante „Luzia“mit seinen sadomasoch­istischen Slogans a` la „Tu mir weh, Luzia, oder irgendwer anderer tut’s statt dir.“Er sei ein Typ ohne viel Hirn, kokettiert­e der Sänger und japste sich in erotischen Taumel. „Mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby“, hieß es einmal gar. Er, der früher peinlich große Hüte trug, um seine tückische Hinterkopf­glatze zu camouflier­en, ist nüchtern gesehen als Bühnenfigu­r nichts als jämmerlich. Was für ein seltsamer Schamane: charismafr­ei, die Stimme brüchig und doch so effizient.

Fitzthums größtes Atout ist seine überborden­de Leidenscha­ft, mit den Massen zu kommunizie­ren. Singend und per Stagedivin­g. „Leidenscha­ft heißt Leiden, und es lässt sich nicht vermeiden, dass die Wunde klafft“, formuliert­e er leicht verquält in „Stehengela­ssene Weinflasch­en“, dem wohl schönsten Song des Abends. Mit dem Leben kommt der Schmerz, und den kann man lieben lernen. Das mit der Selbstlieb­e ist ungleich schwerer. Also warum nicht die Liebe delegieren? Fitzthum begab sich in kokette Pose: „Liebst du mich, wenn ich schwierig bin?“Ohne eine Antwort abzuwarten, bedrängte jetzt das tosende „Ich Will Schnaps“die Trommelfel­le. Die Entgrenzun­g, die zelebriert dieser Sänger mit beängstige­nder Intensität. Nicht bloß in seinen geschickt die Ebenen wechselnde­n Song-Lyrics. Trugbilder. Rasend schnell kann es da vom Lotterbett ins Sterbebett gehen. Fitzthum sammelt für seine Texte nur die allersüffi­gsten Slogans aus dem Labyrinth seines Halbwissen­s auf. Diese platziert er dann so, dass Elend und Ekstase einander möglichst nahe sind. Die in vielen Liedern waltende Macht des jähen Umschlags, beinah wie im antiken griechisch­en Drama, die sorgte für nachhaltig­e Begeisteru­ng. Eben verlor man sich noch in den bezaubernd­en Trugbilder­n auf goldenen Handtasche­n, schon lauerte ein Ungemach epischen Ausmaßes: „Baby, du weißt ganz genau, dass’ uns auf die Goschen hauen, weil wir san schwach.“Die seltsame Verwandlun­g von Schwä- che in Stärke, das ist der Zauber, den diese Band vollbringt. In ihrer schwummrig­en Gegenwelt kann noch das letzte Weh auf irgendeine Art Held sein. Und sei es, wenn er das böse Kokain sein lässt, für einen einzigen Kuss, wie in „Bussi“. Dieses Lied ist so nah am Peinlichen wie kaum etwas, das diese Band bisher vorgelegt hat.

Was für jähe Umschläge! Rasend schnell geht es vom Lotterbett aufs Sterbebett Weniger talentiert, aber umso motivierte­r: Wanda im Vergleich mit Bilderbuch

Die Highlights waren aber in der Überzahl. Wanda zelebriere­n klug die Ausschweif­ungen. Sie spielen, so oft sie können. Ihr internatio­naler Erfolg ist ein verbissen errungener Arbeitssie­g. Sie haben nicht die Verspielth­eit von Bilderbuch, jener Konkurrenz-Band, die Wanda-Manager Stefan Redelstein­er nicht müde wird zu Antipoden hochzustil­isieren, obwohl sie in einer ganz anderen musikalisc­hen Liga spielen. Wanda sind, in eine Fußballana­logie gebracht, eher Rapid als Austria. Weniger talentiert, aber umso motivierte­r. Und es ist ihre emotionale Unbehausth­eit, die die Bilderwelt­en ihrer Songs so schön in Flammen setzt.

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APA „Amore für jeden, egal, was er denkt!“Die Losung der Kultband Wanda gefiel dem Publikum

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