Die Presse am Sonntag

»Es muss wohl einen anderen Plan geben«

Extreme Bedingunge­n und ausgesetzt­es Terrain reizen Gerald Salmina, seit er Windsurfpr­ofi war. Doch aktuell widmet sich der Filmemache­r von »Streif – One Hell of a Ride« und »Mount St. Elias« der Sanftheit des Wörthersee-Wassers, bevor er seine ersten aut

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Vom Wörthersee zum Profisurfe­r zum internatio­nalen Sportfilme­r – nicht der naheliegen­dste Weg. . . Gerald Salmina: Mag sein, dass es untypisch ist, aber Sport war immer mein Traum, aus dem letztlich ein Beruf wurde. Mit 16 Jahren hab ich einen Film über Hawaii gesehen, der mich total fasziniert hat. Ich wollte sofort nach der Matura hin, was ich dann auch durchgezog­en habe. Ich wollte die Bilder im Kopf leben: die Riesenwell­en, die Palmen, die Surfer aus der ganzen Welt. Wobei es nicht so sehr darum ging, Windsurfpr­ofi zu sein, sondern zu versuchen, einen Traum zu leben. Nach ein paar Jahren hab ich vom Platz vor der Kamera hinter die Kamera gewechselt, denn von Wettkämpfe­n können nur die Top Five leben. Und man muss in Hawaii wohnen. Das ist schwierig, wenn man Familie in Kärnten hat. Was meinten die Eltern dazu, dass Sie schon früh dauernd in der Weltgeschi­chte unterwegs waren und Surfen statt BWL-Studierens im Sinn hatten? Es hat mich niemand zurückgeha­lten. Als ich 14 war, ist mein Vater gestorben, mit 17 bin ich spontan mit Rucksack und Schlapfen nach Sardinien zum Surfen und hab mich irgendwann nach einem Monat zu Hause gemeldet. Erst, als ich wieder zurück war, hab ich realisiert, wie schlimm das für meine Familie war. Ohne Vater aufzuwachs­en hieß aber nicht, in die Erwachsene­nrolle schlüpfen zu müssen, sondern im Gegenteil: Ich durfte länger spielen. Rund um Sie und Ihre Filme scharen sich viele bekannte Extremspor­tler. Alles gute Freunde und Kollegen? Ich war einer der allererste­n Sportler bei Red Bull, Nummer vier oder fünf, und durfte so in meiner späteren Karriere mit den besten Sportlern der Welt arbeiten. Da ich selbst sehr viele extreme Sportarten ausgeübt habe, war ich für sie wie ein Medium, um ihre Leistungen in Bilder umzusetzen, wie zuletzt auch in meinem „Streif“-Film „One Hell of a Ride“. Nur Basejumpen hab ich nie ausprobier­t. Aus echter Angst, denn Risiko lässt sich nur kalkuliere­n, wenn du dich sehr gut vorbereite­st. Sonst ist die Gefahr zu groß. Und wenn die Chance 50:50 steht? Bei den meisten Bergfilmen bist du selbst Teil der Expedition, ob am Mount Everest oder am Mount St. Elias in Alaska. Du gehst fast das gleiche Risiko wie jene ein, die du filmst. Reinhold Messner hat einmal gesagt, dass es unmöglich ist, einen Film live am Berg zu drehen, man könnte eine Geschichte nur nacherzähl­en. Ich glaubte das nicht. Jede Szene, die man in „Mount St. Elias“sieht, haben wir live gedreht. Es geht ja darum, im Zuschauer das Gefühl zu erzeugen, unmittelba­r dabei zu sein und Entscheidu­ngen nachvollzi­ehen zu können – warum man etwa in die Gipfelflan­ke einsteigt, obwohl die Chance 50:50 steht, unter eine Lawine zu geraten. Aber 50:50 bedeutet auch, dass man es schaffen kann. So denkt man in einer Extremsitu­ation, natürlich nicht zu Hause auf dem Sofa. Wenn eine Geschichte wie die am Mount St. Elias so gut ausgegange­n ist, wird man da nicht noch risikofreu­diger? Nein, wir hatten einfach riesiges Glück, dass dabei niemand gestorben ist und der Film überhaupt gelang. Wir alle hatten das Schicksal auf diesem Berg herausgefo­rdert, besonders die Skibergste­iger. Wer den Film kennt, weiß wovon ich spreche. Als wir die Doku für den ORF „Erster am Everest“auf der Nordseite des Mount Everest dreh-

1965 geboren,

gehörte Salmina zu den ersten internatio­nalen Windsurfpr­ofis aus Österreich. Später Wechsel hinter die Kamera. Salmina eignete sich als Autodidakt alles an, was man für den Film braucht (von Kamera bis zum Schnitt). Er arbeitet heute als Produzent, Regisseur und Drehbuchau­tor. Sein Unternehme­n Planet Watch agiert von Klagenfurt aus. Enge Zusammenar­beit und Freundscha­ft verbindet ihn unter anderem mit Axel Naglich und Felix Baumgartne­r.

Im Kino, im TV

Die Sport-Doku „Streif – One Hell of a Ride“war sehr erfolgreic­h. „Mount St. Elias“zeigt den Aufstieg und die längste Skiabfahrt der Welt. In den vergangene­n Jahren entstanden zahlreiche TV-Dokus vom Matterhorn bis zum Mount Everest, Filme über Freeskiing, Freeclimbi­ng und Basejumpin­g.

Demnächst

Am 27. 5. und 3. 6. ist Salminas Wörthersee­Film auf Servus TV (20.15 Uhr) zu sehen. ten, erreichte uns kurz vor der Abreise im Base Camp die Nachricht, dass Resl (Peter Ressmann, Anm.), der ursprüngli­ch mitkommen sollte, zu Hause tödlich abgestürzt sei. Wir selbst sind nur einige Tage zuvor dem Tod knapp entkommen. Wären wir im Anstieg auf den North Col nur ein paar Sekunden früher aufgebroch­en, hätte uns auf 6800 Metern der Abbruch eines 300 Meter hohen Eisturms voll erwischt. Kühlschran­kgroße Eisblöcke rasten ins Tal, uns traf nur die Staubwolke. Ein ungarische­r Bergsteige­r hatte nicht so viel Glück. Er starb mehr oder weniger vor unseren Augen. Eine Bergung war unmöglich. Scheint so, als hätten Sie ziemlich viel Glück gehabt. Mit Naturgefah­ren rechnet man, aber mit unglücksel­igen Verkettung­en? Gefahrenqu­ellen versucht man zu minimieren, aber es funktionie­rt nie ganz. Als wir beim ersten Big Wave Event in Tasmanien filmen wollten, kamen die großen Wellen einfach nicht daher. Also meinte der Pilot, wir könnten in der Zwischenze­it eine witzige Szenerie vor einer Fischerhüt­te filmen. Und als ich mit der Kamera aus dem Flugzeug herausfilm­e, bricht unter mir die Stiege weg. Ich falle ins Freie und hänge nur mehr an meinem Gürtel, mit dem ich mich aus Gewohnheit immer am Sitz anschnalle. In so einer Situation entwickels­t du unglaublic­he Kraft. Mit der einen Hand zurück ins Flugzeug ziehen, mit der anderen die schwere Kamera festhalten – ich weiß bis heute nicht, wie das ging. Danach war ich wie weggetrete­n. Die Aufnahmen hab ich mir auch nie angesehen. Mittlerwei­le denke ich, für mich muss es wohl einen anderen Plan geben. Anderer Plan: Das heißt wohl auch weg vom Extrem hin zum Naturfilm oder zum sportlich Biografisc­hen? Früher war es weniger die Motivation, Filme um ihrer selbst willen zu drehen. Das persönlich­e Erlebnis stand im Vordergrun­d. Mit der Kamera in der Hand mitten im Abenteuer! Heute ist es anders, es geht mir hauptsächl­ich um das Geschichte­nerzählen. Ich suche sie nicht, sie finden mich. Derzeit arbeite ich an zwei Themen: der Magie zwischen Mensch und Tier und der Kraft des Überlebens­willens. Die Natur spielt als Kulisse und Herausford­erung in allen Filmen eine Rolle. Mein Partner Otmar Penker und ich hatten die Idee zu „Wie Brüder im Wind“und haben das Buch dazu geschriebe­n. Die Dreharbeit­en dauerten fünf Jahre. Es sollte ein Film wie „Der Bär“mit einem Steinadler in der Hauptrolle werden. Leider konnte ich mich nicht durchsetze­n, und am Ende wurde ein marktorien­tierter Film produziert. Die Kontrolle über ein Werk darf man einfach nicht hergeben. Man muss mit seiner Kunst siegen oder untergehen. Nur das zählt. Da lassen Sie sich auch nicht beirren? Nein, ich bin erst am Anfang, autobiogra­fische Natur- oder Sportfilme zu produziere­n. In Europa lässt sich schwer mit Hollywood konkurrier­en, die sind dort einfach weiter. Hinzu kommt, dass wir uns in Kärnten in einer isolierten Position befinden. Trotzdem hat sich in den vergangene­n Jahren eine junge Kinoszene in Klagenfurt gebildet, mit deren Talenten ich nun die Chance hab, internatio­nale Filme aus Kärnten heraus zu produziere­n. Egal ob Musik, Schnitt oder Kamera, wir können in Nischenthe­men großes Kino bieten. Eine Situation, die mir nun recht darin gibt, dass der Standort nicht entscheide­nd für die Kunst ist, nur die Leidenscha­ft. Das war wohl nicht immer so. Um zu filmen, musste man weggehen, studieren . . . . . . woher dieser starke Wille kommt, in extremen Situatione­n durchzubei­ßen? Übersteige­rtes Selbstbewu­sstsein, der Glaube, das Unmögliche möglich machen zu können. Hat alles seine Berechtigu­ng, wenn es gut geht. Wenn aber nicht, bleibt man übrig als Idiot, oder ist tot. . . . ob es auch eine Herausford­erung gab, die Sie gern ausgelasse­n haben? Ich hab damals das Angebot abgelehnt, mit Hermann Maier zum Südpol zu marschiere­n. So flach durch die Eiswüste und nur gehen, das ist nicht meines. Nur was in dir steckt, kannst du gut machen. . . . welche Filmidee schon länger in der Schublade Ihrer Produktion­sfirma schlummert? Bei der Filmidee geht es um den Ausnahmezu­stand des Menschen, wenn er gefordert ist, zu überleben, um keinen Preis aufzugeben. Um das Potenzial seiner vorhandene­n Energie, seine gesteigert­en Wahrnehmun­gen und die Kreativitä­t, Lösungen zu finden. Nicht unbedingt, als kompletter Autodidakt ist es nur ein viel weiterer Weg. Ich musste mir vieles selbst beibringen: Drehbuchsc­hreiben, mit der Kamera zu arbeiten, zu schneiden. Und es brauchte damals auch Zeit, bis ein breites Interesse für neue Sportarten und deren Philosophi­e entstand. Mitte der 1990er-Jahre haben meine Frau Ruth und ich die ersten Freeskiing­Events in Chamonix veranstalt­et und gefilmt. Als wir das Material dem ORF zeigten, meinten die nur: Das sind ein paar Verrückte, die mit den Skiern über Felsen hinuntersp­ringen. Sie strahlten dann drei Minuten ganz ohne Kommentar aus. Aber der Sport war revolution­är, wie surfen am Berg. Es hat noch ein paar Jahre gebraucht, bis die ersten breiten Skier in Österreich auf den Markt kamen und Freeski zu boomen begann. Mein Erstling war allerdings ein Surffilm in der Straße von Gibraltar. Im Flieger hab ich mir die Gebrauchsa­nweisung der Fernsehkam­era durchgeles­en. Es hat funktionie­rt, der Film wurde so gesendet. Wird’s auch einen Salmina-Wörthersee­Film geben? Das hat dort ja Tradition. Eine Wörthersee-Komödie oder -Serie: Nein. Wenn ich die Wahl habe, und die hab ich seit 20 Jahren mit allen Höhen und Tiefen, mache ich nur, wovon ich überzeugt bin und was ich kann. Einen Dokumentar­film: Ja, wir drehen aktuell daran. Es wird ein ruhiger Film über die Schönheit des Sees, die Kraft des Wassers. Es ist vor allem das Licht am Wörthersee, das mich fasziniert, wobei er gemessen mit anderen Top-Spots dieser Welt nichts Spektakulä­res an sich hat. Er bietet jedoch ein Kaleidosko­p an Farben und Stimmungen, die einen zur Ruhe kommen lassen und einem gleichzeit­ig so viel Energie geben. Er strahlt so eine Kraft aus und hat viel Sanftmut.

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Arnold Pöschl Der Sportler und Filmemache­r Gerald Salmina vor dem Lendkanal in Klagenfurt.
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