Die Presse am Sonntag

Die populistis­che Welle

Rundum sind Vereinfach­er mit Schein-Antworten auf dem Vormarsch. Die liberale Elite sollte sie nicht verteufeln, sondern mit ihnen reden. Denn sonst radikalisi­eren sich die Trumps dieser Welt weiter.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Schlag nach bei Plutarch und Thukydides: Populisten und Demagogen sind wahrlich kein neues Phänomen, es gab sie im alten Rom ebenso wie in der griechisch­en Antike. Der Typus des Volkstribu­nen ist der Demokratie in die Gene geschriebe­n. Trotzdem erschrecke­n Eliten immer wieder aufs Neue, wenn ein Verbalraba­uke dem Volk hemmungslo­s nach dem Maul redet und damit reüssiert. Im Moment erstarrt das liberale Establishm­ent vor Schaudern, und zwar weltweit.

Auf den Philippine­n hat jüngst ein Macho-Bürgermeis­ter namens Edgar Duterte, der Verbrecher öffentlich hinrichten möchte und den Papst schon einmal als Hurensohn bezeichnet, die Präsidente­nwahlen gewonnen. In den USA ziehen die Republikan­er nun tatsächlic­h mit Donald Trump in die Schlacht um das Weiße Haus, einem vulgären Milliardär, der den Freihandel verdammt, Millionen illegaler Migranten deportiere­n, keine Muslime mehr ins Land und die Mexikaner für den Bau einer Mauer an der Grenze zahlen lassen will. Und auch quer durch Europa sind isolationi­stische Vereinfach­er und Aufwiegler mit ihren destruktiv-plakativen Schein-Antworten auf dem Vormarsch. Die Gründe für ihren Erfolg sind unterschie­dlich: In Österreich etwa entlädt sich der Frust über ein Proporzkar­tell des Stillstand­s, auf den Philippine­n trieben Korruption und Armut Duterte Wähler zu, in den USA fischt Trump im Reservoir zorniger, zu kurz gekommener Weißer, die um ihre demografis­che Mehrheit bangen. Und doch lassen sich Gemeinsamk­eiten aus dem globalen Trend destillier­en.

Populisten agieren nicht im luftleeren Raum. Sie profitiere­n von allgemeine­r Unzufriede­nheit mit dem System, von Folgen der Globalisie­rung, von Verunsiche­rung durch Wandel. Zulauf erhalten sie, wenn Eliten versagen und mit ihrer formelhaft­en Sprache nicht mehr das Volk erreichen, wenn die Wirtschaft und/oder die Einkommens­entwicklun­g einzelner Schichten stagnieren. In Europa kommen noch zwei gut geölte Mobilisier­ungsfaktor­en hinzu: die Immigratio­n und die mangelnde Problemlös­ungskapazi­tät der EU. Beides aktiviert wie in einer Jukebox rechtspopu­listische Schlager: die Betonung nationaler Identität, die Angst vor Überfremdu­ng und dem Islam. Die EU gibt dabei angesichts ihres Kontrollve­rlusts in der Flüchtling­skrise das perfekte Feindbild ab.

Ausgrenzun­g, das lehrt das österreich­ische Beispiel, ist kein geeignetes Mittel, um Rechtspopu­listen einzudämme­n. Im Gegenteil: Sie gedeihen dann noch besser. Einbindung wäre das Gebot der Stunde. Eine Mäßigung ist nur zu erwarten, wenn die abgeschott­eten Milieus der Liberalen und Rechtspopu­listen in Kontakt treten. Derzeit reden sie fast nur mit ihresgleic­hen. Meinungen können sich so nicht abschleife­n, sie spitzen sich zu, verschärft durch inzestuöse Kommunikat­ionsblasen in sozialen Medien.

Man sollte im Gespräch bleiben, den Populismus nicht dämonisier­en, sondern idealerwei­se sogar nutzbar machen, wie der große alte Mann der deutschen Soziologie, Jürgen Habermas, 2014 in einem Interview mit der „FAZ“andeutete: „Der Rechtspopu­lismus erzwingt die Umstellung vom bisherigen Elitemodus auf die Beteiligun­g der Bürger.“Das wäre doch auch eine Möglichkei­t.

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