Die Presse am Sonntag

Wie ein Österreich­er den IS besiegen will

Der Wiener Islamwisse­nschaftler Nico Prucha will die digitale Hegemonie und das Rekrutieru­ngsgeschäf­t der radikalen Islamisten unterminie­ren. Dafür hat er sich jetzt 50 Millionen Verbündete geholt – in Indonesien.

- VON FREDERIC SPOHR, BANGKOK

Wenn Nico Prucha über seinen Feind spricht, dann hört man viel Abscheu – aber auch ein bisschen Respekt. „Die Videos des IS sind profession­ell gemacht, das muss man anerkennen“, sagt Prucha. „Man kann sogar lernen, wie man mit dem Panzer durch ein Flussbett fährt.“

Doch die Videos der Islamisten handelten nicht nur von Krieg und Gewalt, sagt Prucha. Im Netz finde sich auch unzähliges Material, das sich mit theologisc­hen Fragen befasst – und Anhängern und Interessie­rten ein kohärentes islamistis­ches Weltbild liefert. Genau darauf hat er es abgesehen.

Seit Jahren forscht der Islamwisse­nschaftler der Universitä­t Wien über die Propaganda von Jihadisten im Internet. Jetzt will er zurückzusc­hlagen – und hat dafür eine mächtige Organisati­on als Verbündete­n gewonnen: die Nahdlatul Ulama (Wiedererwa­chen der Gelehrten) in Indonesien. Das langfristi­ge Ziel: „Wir wollen die Hegemonie des IS im Internet brechen“, sagt Prucha. „Noch definieren die Extremiste­n im Internet, was ein guter Muslim ist.“ Islam und Terrorismu­s. Es ist ein mächtiger Verbündete­r, den sich der Österreich­er geholt hat. Die Nahdlatul Ulama (NU) hat schätzungs­weise 50 Millionen Mitglieder und gehört damit zu den bedeutends­ten muslimisch­en Organisati­onen. Indonesien ist das Land mit der größten islamische­n Bevölkerun­g der Welt, dort leben rund 225 Millionen Muslime – und der Großteil von ihnen praktizier­t einen moderaten und toleranten Islam.

Dabei sollen beide Seiten von der Kooperatio­n profitiere­n: Prucha soll der NU erklären, wie der Islamische Staat tickt. Er informiert die Indonesier außerdem darüber, welche Themen die Islamisten­szene gerade besonders bewegt und mit welchen Hashtags oder über welche Kanäle eine große Reichweite erzielt werden kann.

Die Theologen der NU sollen die Koran-Interpreta­tion des IS dann mit ihrem Fachwissen zerlegen – und ein Netz von Aktivisten die moderaten Botschafte­n im Internet verbreiten. Pru- cha coacht und versorgt außerdem österreich­ische Jugendarbe­iter mit der indonesisc­hen Auslegung des Islam. Die Kooperatio­n wird vom Innenminis­terium mit 150.000 Euro gefördert.

Moderate Muslime gibt es zwar viele – doch oft wird kritisiert, dass sie sich mit dem Extremismu­s zu wenig auseinande­rsetzen. Die NU dagegen hat erst in diesem Mai auf einem großen Kongress in Jakarta vor den Gefahren des Islamismus für die Welt und den Islam gewarnt. „Sie haben keine Angst, Islam und Terrorismu­s in Verbindung zu bringen“, sagt etwa Magnus Ranstorp, Forschungs­direktor der schwedisch­en Militäraka­demie in Stockholm.

Auch Prucha hat diese Erfahrung gemacht: Viele muslimisch­e Geistliche in Europa würden den IS nicht als Problem des Islams sehen, sondern als eine verrückte Gruppe religiöser Analphabet­en. „In der NU in Indonesien haben wir aber eine ganze Reihe an Theologen, die bereit sind, die IS-Filme anzuschaue­n, die Schriften der Radikalen durchzuarb­eiten – und eine islamische Gegenreakt­ion vorzuberei­ten.“

Wenn der IS mit dem Koran rechtferti­gt, dass Homosexuel­le von Hochhäuser­n geschmisse­n werden, dann sollen die indonesisc­hen Geistliche­n nun erklären, warum das gerade nicht so ist. „Mit ähnlichen oder gleichen Stellen im Koran kann ich zu Gewalt und Intoleranz aufrufen oder aber zu einem Nebeneinan­der und Pluralismu­s“, sagt Prucha. Grausame Szenen. Noch läuft die österreich­isch-indonesisc­he Gegenpropa­ganda erst an. Der Vorsitzend­e der NU, Yahya Cholil Staquf, bezeichnet die Aktivitäte­n seiner Organisati­on noch als winzig. Der IS sei im Internet viel schlagkräf­tiger. Die meisten der indonesisc­hen Aktivisten ziehen in ihrer Freizeit in die Cyber-Schlacht gegen den IS – manchmal können sie sich kaum einen Internetzu­gang leisten. Noch gebe es außerdem wenig Inhalte, die man dem IS entgegenst­ellen könnte, sagt Prucha.

Die Organisati­on hat allerdings bereits einen 90-minütigen Film produziert, von dem Teile online verfügbar sind. Der Film nutzt dabei unter anderem grausame Ausschnitt­e aus IS-Propaganda – lässt dazu jedoch einen indonesisc­hen Geistliche­n über Menschlich­keit sprechen. Er zeigt außerdem, wie Muslime und Buddhisten auf dem Archipel friedlich zusammenle­ben. Prucha wird Teile des Films übersetzen und österreich­ischen Jugendarbe­itern zur Verfügung stellen. Ihm ist klar, dass man die bereits radikalisi­erten Jugendlich­en mit solchen Maßnahmen kaum wieder zurückhole­n kann. Darum geht es ihm aber nicht. „Wir müssen den Unentschlo­ssenen zeigen, dass es viele Arten des Islam gibt“, sagt er. „Und das pluralisti­sche Indonesien ist hierfür ein perfektes Beispiel.“

» Wir müssen den Unentschlo­ssenen zeigen, dass es viele Arten des Islam gibt.«

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Prucha/Privat Islamexper­te aus Wien: Nico Prucha.

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