Die Presse am Sonntag

Die »Spätis« wollen sonntags legal öffnen

Lang hat die Stadt nicht so genau hingesehen. Nun, da Berlin penibler auf die Öffnungsze­iten achtet, fordern die Spätkauflä­den eine Änderung der Gesetze.

- VON ERICH KOCINA

Das „Fußpils“gehört zu Berlin. Kaum jemand, der nachts unterwegs ist, hat keine Bierflasch­e in der Hand. Dass das möglich ist, hat mit einer weiteren Berliner Institutio­n zu tun: den Spätis. Diese Shops, die bis zu 24 Stunden pro Tag geöffnet haben, sind die Anlaufstel­le, um sich ein kaltes Getränk für unterwegs zu besorgen. Dazu gibt es Zigaretten, Süßwaren, Zeitungen und andere Dinge des täglichen Bedarfs, von der Zahnbürste bis zum Klopapier. Je nachdem, was die Kundschaft verlangt. An die 1000 Spätkauflä­den gibt es in der deutschen Hauptstadt. Längst schon sind sie ein essenziell­er Teil des Berliner Lebensgefü­hls geworden.

Über die ganze Stadt sind sie verteilt. Besonders viele gibt es dort, wo abends ausgegange­n wird: Kreuzberg, Neukölln, Friedrichs­hain und Prenzlauer Berg. Es sind oft kleine Läden, in deren Mitte sich Bierkisten stapeln. In den Kühlschrän­ken lagern verschiede­ne Sorten, vom billigen SternburgB­ier bis zu Hipster-Bieren wie dem Tannenzäpf­le aus Baden-Württember­g. Der Flaschenöf­fner an der Kassa ist genauso obligatori­sch wie das Duzen der Kunden. Müsste man die Leichtigke­it der Stadt in einen Raum packen, würde er wohl wie ein Späti aussehen.

Doch dieses Lebensgefü­hl sehen die Betreiber der Geschäfte nun in Gefahr. Denn seit einigen Monaten interessie­rt sich die Stadt für sie – und die Einhaltung der Öffnungsze­iten. Sie sind in Berlin zwar so liberal geregelt wie sonst nirgendwo in Deutschlan­d: Von null bis 24 Uhr ist das Öffnen erlaubt. Doch am Sonntag gilt selbst hier ein Verbot. Das ignorieren die Shop- betreiber seit Jahren. Sie hielten die Geschäfte einfach offen. Die Stadt wiederum ignorierte diesen laufenden Gesetzesve­rstoß. Es wurde nicht kontrollie­rt. Sei es, weil kein Geld da war, um die regelmäßig­en Wochenendd­ienste der Kontrollor­e zu bezahlen, sei es, weil man es einfach nicht so genau nahm – man ist ja schließlic­h in Berlin.

Die deutsche Hauptstadt ist im Vergleich zu Wien eine Stadt des Laisser-faire. Sie versucht gar nicht erst, ihre Bewohner von der Wiege bis zur Bahre an der Hand zu begleiten. Auch wenn die fast schon positiv-anarchisch­en Zustände nach der Wende längst Geschichte sind, so geht hier doch einiges mehr durch.

Oder ging zumindest. Denn seit dem vergangene­n Jahr gibt es vor allem im Bezirk Neukölln an Sonntagen immer wieder Kontrollen. Und Strafen für Betreiber, die ihr Geschäft trotz Verbots geöffnet haben. An die 70.000 Euro sollen es im Vorjahr in ganz Berlin gewe- sen sein. „Bis jetzt hat man ein Auge zugedrückt“, sagt Alper Baba, der vier Spätis in Berlin betreibt. „Warum jetzt nicht mehr?“Ja, er ist sich bewusst, dass er seine Läden jahrelang illegal geöffnet waren. Doch dass Ordnungsam­t und Polizei ihn dafür plötzlich bestrafen – bis zu 2500 Euro kann ein Verstoß kosten –, versteht er nicht. Als ob die jahrelange Duldung ein Gewohnheit­srecht erwirkt hätte.

Baba hat sich nun mit anderen Betreibern zusammenge­schlossen, um eine Änderung des Berliner Ladenöffnu­ngszeiteng­esetzes zu erwirken. Sie fürchten, dass sie ohne Sonntag wirtschaft­lich nicht überleben können. Immerhin ist das der Tag, an dem sie den größten Teil ihres Geschäfts machen. Dann nämlich, wenn alle anderen Geschäfte geschlosse­n bleiben müssen. Alle? Fast, denn es gibt Ausnahmen – etwa für Tankstelle­n, Shops an Bahnhöfen oder auch für Geschäfte, die touristisc­he Artikel anbieten. Sie dürfen, so wie Bäckereien, auch an Sonn- und Feiertagen öffnen. Wegen ihres breiten Warenangeb­ots fallen die Spätis aber nicht darunter. Besondere Verkaufsst­elle. Genau zu dieser Kategorie der „besonderen Verkaufsst­elle“möchte man künftig auch gehören. Als Argument bringt der Späti e. V., wie der im Frühjahr gegründete Verein heißt, weniger die finanziell­e Seite ein, sondern die Rolle, die die Shops für die Stadt mittlerwei­le spielen. „Es ist eine eigene Kultur entstanden“, meint Baba. Dass Berlin so eine lebendige Stadt sei, glaubt er, sei auch den Spätis zu verdanken. Tatsächlic­h dauert es auch für Neo-Berliner nicht lang, bis man die Vorzüge der fast ständig geöffneten Geschäfte zu schätzen lernt. Die Spätkauflä­den haben auch eine soziale Funktion. Sie sind zu Treffpunkt­en für die Nachbarsch­aft geworden. Und zu Anlaufstel­len für Menschen, die etwa schnell etwas kopieren müssen – ein Kopiergerä­t gehört oft ebenso dazu wie ein Internetzu­gang. Wahlkampft­hema Späti. Mit dieser Einzigarti­gkeit argumentie­rt der Verein nun, um aus der sonntäglic­hen Illegalitä­t herauszuko­mmen. Die Berliner Grünen haben bereits Unterstütz­ung signalisie­rt. Von ihnen gingen bereits mehrere „Späti-Dialoge“aus, bei denen Polizei, Ordnungsam­t und Verantwort­liche der Stadt mit den Betreibern über die Probleme diskutiert­en. Ein grüner Antrag auf Sonntagsöf­fnung für Spätis wurde im März allerdings von den anderen Fraktionen im Abgeordnet­enhaus abgelehnt. SPD und CDU fürchten, dass Supermärkt­e und andere Einzelhänd­ler klagen könnten. Die Linken befürchten, dass sich dadurch die Bedingunge­n für die Mitarbeite­r verschlech­tern würden.

Alper Baba will dennoch mit dem Verein weiter Druck machen. Man sei mit den Parteien nach wie vor im Gespräch. Am 18. September wird das Abgeordnet­enhaus neu gewählt. Die Spätis könnten auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. Baba setzt vor allem auch auf die Späti-Kunden: „Sie kennen das Gesetz nicht.“Und sie würden nicht verstehen, warum sie nicht auch am Sonntag im Späti einkaufen dürfen. Das gehöre einfach zum Lebensgefü­hl – man ist ja schließlic­h in Berlin.

Am Sonntag machen Spätis den meisten Umsatz – bis jetzt illegal, aber geduldet.

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Pierre Adenis/Laif/picturedes­k.com Treffpunkt im Kiez: Fast durchgängi­g geöffnete Läden gehören zum Berliner Lebensgefü­hl – so wie dieser Späti in Kreuzberg.
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