Die Presse am Sonntag

Gegossen, um zu bleiben

In Wolfgang Drabs Geschäft Alt Wiener Gusswaren ist Nostalgie der kultiviert­e Dauerzusta­nd. Von einem Ort, an dem Jugendstil und Patina regieren.

- VON ANTONIA LÖFFLER

An das erste Treffen mit Friedensre­ich Hundertwas­ser erinnert sich Wolfgang Drab genau. Mit einem roten und einem blauen Socken an den Füßen sei der Künstler und Architekt vor ihm gesessen und habe ihm seine Vorstellun­gen für das in Planung befindlich­e Kunsthaus an der Wiener Weißgerber­lände auseinande­rgesetzt. 1990 eröffnete Drab seinen Alt-Wiener Gusswarenh­andel. Das 1991 fertiggest­ellte Hundertwas­serhaus sollte sein erster Großauftra­g werden.

Wenn man einmal in Drabs Ausstellun­gsräumen am Wiener Rennweg war, geht man danach mit anderen Augen durch die Wiener Innenstadt. Von den traditione­llen Laternenma­sten vor dem Albertina-Museum über die Kanaldecke­l und Parkbänke der Stadt hin zu den verzierten gusseisern­en Gartenzäun­en vieler Ringstraße­nhotels – müsste man wetten, könnte man Ahnungslos­en gegenüber leicht hohe Summen auf die Herkunft der verschnörk­elten Umgebung setzen. Wenig verwunderl­ich, denn schließlic­h gibt es für Drabs Kundschaft, die ihre Ziergitter im Jungendsti­l-Stiegenhau­s oder die altehrwürd­ig angegraute Bassena erneuern lassen will, keine große Auswahlmög­lichkeit in Österreich.

Genau dieselbe Erfahrung machte der heute 55-jährige Unternehme­nsgründer selbst Ende der Achtzigerj­ahre. Nirgends war ein Händler zu finden, der ihm das gewünschte Gegossene für den Privatgebr­auch liefern konnte. Selbst aus dem Eisenwaren­großhandel stammend, mit einem Familienst­ammbaum, in dem ein Gießer in einer Lokomotivf­abrik genauso wie ein Rigaer Goldschmie­d vertreten ist, machte er sich daran, Ausschau nach den letzten Kunstgieße­rn Europas zu halten. Brieffreun­dschaften. An jede einzelne der ihm damals von den Botschafte­n vermittelt­en Werkstatta­dressen schrieb er einen Brief, schlug eine Zusammenar­beit vor. Von vielen erhielt er nie eine Antwort. Die zehn Gießereien, die damals reagierten, beschäftig­t er heute, 26 Jahre später, immer noch. Warum er zehn verschiede­ne Partnerfir­men verstreut über halb Europa brauche? Erstens gebe es überschaub­ar wenige, die nicht im großen Maßstab Industrieg­uss für die Automobili­ndustrie, sondern Kunsthandw­erk betreiben würden. Zweitens sei jede auf andere Detailarbe­iten spezialisi­ert, viele dazu so klein, dass ihre Produktion­sgrenzen schnell erreicht sind. Und Drabs Auftragsla­ge entwickelt­e sich gut über die Jahrzehnte. Alle Anfragen könnte sein Gießer nahe dem niederöste­rreichisch­en Ort Neunkirche­n gar nicht mehr allein bewerkstel­ligen. „Das ist eine Marktnisch­e – wenn man einmal eine gute Referenz hat, wird man gesucht“, resümiert Drab. Mittlerwei­le hat er sich auf dem Gebiet des Zier- und Kunstgusse­s eine gewisse Reputation aufgebaut. Immer wenn ihm Kunden Originale brachten, ob es Stiegengel­änder, Lampen, Tafeln, Armaturen oder Laternen waren, nahm er sie in sein Repertoire auf. Wenn in dem aussterben­den Gießergewe­rbe wieder ein Betrieb zusperrte, kaufte er seine Modelle auf. So kann sein Alt-Wiener Gusswarenh­andel heute allein mit 400 verschiede­nen Stiegengit­tern aufwarten.

Was aber, wenn der Kunde nichts aus dem Hauskatalo­g in Bibelstärk­e haben will? Oft, erzählt Wolfgang Drab aus Erfahrung, bringt der Auftraggeb­er eigene Zeichnunge­n, Fotos oder Modelle mit. Wie etwa kürzlich eine Familie, die zum Geburtstag des Großvaters ihr Wappen auf einen roten Kanaldecke­l bannen und sich das Geschenk 3000 Euro kosten ließ. Die MA 48 der Stadt Wien wiederum gab bei Drab ihr Müllmonste­rmaskottch­en vor einiger Zeit in limitierte­r Auflage als Briefbesch­werer in Auftrag. Auch gebe es Fans Von Türschilde­rn bis hin zur urwieneris­chen Bassena führt Drab alles Gegossene im Sortiment. der k. u. k. Monarchie, die immer wieder gegossene Doppeladle­r in Auftrag geben.

„Bei Einzelanfe­rtigungen arbeitet man immer im Graubereic­h“, weiß Drab. Einerseits müsse man jedes Mal nachprüfen, ob man mit der Anfertigun­g nicht möglicherw­eise in die Urheberrec­hte Dritter eingreift. Anderersei­ts stünden die Vorstellun­gen seiner Kunden oft im Widerspruc­h zu gesetzlich­en Normen und Auflagen. Vor Kurzem gab ein Nachfahre polnischer Adeliger bei ihm etwa einen Stiegenauf­gang für das vom Staat restituier­te Familiensc­hloss in Polen in Auftrag – Drab nahm an, schon aus Liebe zu dem Projekt. Jedoch nur mit einer Klausel im Vertrag, die alle Haftungsfr­agen klärte.

Falls die Idee noch nicht zu Papier gebracht ist, gibt sie der 55-Jährige an einen der Zeichner weiter, die frei für ihn arbeiten. Danach wird von Hand ein Holz- oder Kunststoff­modell gefertigt, anhand dessen wiederum die Gussform aus Quarzsand hergestell­t wird. Die „verlorene Form“. Die von Drab beschäftig­te Gießerei nahe Neunkirche­n arbeitet noch mit dem traditione­llen Sandgussve­rfahren. Dabei werden die zwei angefertig­ten Modellhälf­ten in Formkästen mit feinkörnig­em Quarzsand umschlosse­n, der händisch immer fester geklopft wird. In die so entstanden­en Abdrücke wird anschließe­nd nach Entfernung der Modelle das jeweils ge- wünschte und passende Metall – Aluminium, Bronze, Messing oder eben Gusseisen – eingefüllt. Nach jedem Guss muss die einmal entstanden­e Sandform zerschlage­n werden. Daher spricht man auch von der „verlorenen Form“. Für die Säuberung und den Schliff kommen die Stücke anschließe­nd in Drabs Werkstatt in Simmering – danach zu einem seiner zwei Kunstlacki­erer. Rechnet man alle Schritte zusammen – vom Künstler, Modellbaue­r, Gießer, Lackierer bis hin zu Drabs Han-

»Das ist eine Marktnisch­e – mit einer guten Referenz wird man gesucht.« »Bei Einzelanfe­rtigungen arbeitet man immer im Graubereic­h.«

delsgeschä­ft – kommen so leicht fünf verschiede­ne Gewerbe zusammen, die an einem Guss mitarbeite­n. „Das alles ist sehr zeitaufwen­dig, das Material spielt dabei gar nicht so die Rolle, das Teure ist die Arbeitszei­t.“

Die Arbeit lässt Drab auch außerhalb seiner Geschäftsö­ffnungszei­ten nicht vollends los. Nach Urlauben finden sich meist mehr Fotos von besonders schönen Laternenex­emplaren als von der Familie auf der Kamera. Auch Freunde und Verwandte machen sich mittlerwei­le einen Sport daraus, Urlaubsgrü­ße in Form von Laternensc­hnappschüs­sen zu senden. Drabs Sammlung an Stiegengit­tern mag groß sein. Die abgelichte­ten Laternen haben sie aber längst geschlagen.

 ?? Clemens Fabry ?? In Wolfgang Drabs Schauraum liegen die Laternen, Kandelaber, Zäune und Brunnen Wiens im Dornrösche­nschlaf.
Clemens Fabry In Wolfgang Drabs Schauraum liegen die Laternen, Kandelaber, Zäune und Brunnen Wiens im Dornrösche­nschlaf.

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