Die Presse am Sonntag

Wenn der Regen tropft

Es kann zu viel von ihm kommen oder zu wenig, er ist immer für Überraschu­ngen gut: Regen zeugt Regen, er kann gar Strom erzeugen, in Solarzelle­n!

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wie gut riecht die Luft, wenn es geregnet hat, dann ist sie frisch gewaschen. Aber: Warum soll etwas gut riechen, nur weil es frisch gewaschen ist? Dann ist allenfalls Gestank weg, und bei der Wäsche in der Waschmasch­ine ein Parfum des Waschpulve­rs drin. Warum riecht sie dann doch so gut, die Luft, vor allem am Land? Vielleicht weil durch den Regen etwas in sie hineinkomm­t, organische­s Material vom Boden, auf den die Tropfen prasseln. Das hat bisher nur niemand bemerkt, auch Chemikerin Mary Gilles (Berkeley) schüttelte den Kopf, als sie es das erste Mal unter dem Mikroskop sah: „Irgendetwa­s ist mit diesen Proben nicht in Ordnung“, notierte sie ins Laborbuch.

Die Proben waren in Oklahoma gezogen worden, man wollte sehen, was dort in der Luft schwebt: Die meisten Teilchen sahen aus wie winzige Glas- splitter. So etwas kannte man nicht, es konnte nur eine Kontaminat­ion sein, also zog man ein paar Monate später neue Proben. Wieder waren die Partikel da. Also sah man die Umwelt an: Die Proben waren über landwirtsc­haftlichen Böden gezogen worden, an den Tagen davor hatte es geregnet. Die Wolken waren aus verschiede­nen Richtungen gekommen, aus ihnen konnte die Fracht nicht stammen.

Sondern nur aus dem Boden, Gilles rekonstrui­erte den Weg: Wenn Erde nass wird, löst sich verrottete Biomasse auf. Und wenn dann der nächste Tropfen hineinschl­ägt, bilden sich Bläschen. Diese explodiere­n und schleudern ihre Fracht auch nach oben, viel: Nach einem Starkregen waren 60 Prozent aller Teilchen in der Luft von dem bisher übersehene­n Typ, er besteht aus Kohlen-, Stick- und Sauerstoff, Gilles nennt ihn Asop (airborne soil organic particals) und sieht weitreiche­nde Konsequenz­en etwa für die Klimaforsc­hung: Asop haben die Größenordn­ung von Teilchen, die Wolken bilden und abregnen lassen (Nature Geoscience 2. 5.).

So zeugt Regen sich selbst. Dann fällt er wieder, das kann gefährlich werden, kleine Tiere etwa sind schon von einzelnen Tropfen bedroht: Prallt einer auf einen fliegenden Moskito, ist das so, als würde ein Bus an einen Fußgänger geraten, der Tropfen hat die 50-fache Masse des Insekts. Aber es überlebt, lässt sich mit hinabreiße­n und biegt nach einer Distanz von 13 Körperläng­en zur Seite ab. David Hu (Georgia Institute of Technology) hat es erkundet, im Labor, in höchst ausgetüfte­lten Experiment­en (Pnas 109, S. 9822).

So fröhlich kann Wissenscha­ft sein. So ernst auch: Dem koreanisch­en Ingenieur Wonjung Kim (Sogang University) fiel an Spinnennet­zen auf, dass sie Regentropf­en nicht nur standhalte­n, sondern sie regelrecht sammeln. Deshalb hat er Spinnenfäd­en simuliert – mit Kupferdräh­tchen – und beregnet, es ging darum, optimale Querschnit­te für Fasern von Netzen zu ermitteln, mit denen man Wasser in regenarmen, aber nebelreich­en Gegenden, etwa der Atacamawüs­te, aus der Luft holt (Physics of Fluids 28, 042001). Güsse ohne Ende. Zu wenig Wasser ist das eine Problem, zu viel das zweite, vor allem, wenn es in Güssen ohne Ende kommt. Wann kommt es so? Darüber, was noch in den Wolken hängt, gibt die Größe der Tropfen Bescheid, die schon gefallen sind. Auch darüber, wie die restliche Fuhre kommt: Kleine Tropfen verdunsten am Weg, das bringt Kühle, diese bringt Wind bis Sturm. Deshalb behält die Nasa seit 2014 mit Satelliten Regentropf­en im Auge, im Global Precipitat­ion Measuremen­t (GPM), es soll Wetterprog­nosen verbessern, das sollen seit Längerem schon Tropfenmes­sgeräte am Boden.

Dort misst bzw. dokumentie­rt auch die Natur, und darauf setzte man Hoffnungen, als es um eines der größten Rätsel der Erdgeschic­hte ging, jenes der „faint young sun“, Carl Sagan und George Mullen haben es 1972 bemerkt: Als die Sonne jung war, strahlte sie schwächer, das ist bei allen Sternen so, die sich selbst verbrennen. Erst wenn ihr Kern dichter wird – genug Wasserstof­f zu Helium fusioniert ist –, steigen die Temperatur­en. So hatte die Sonne im Archaikum, vor 3,8 bis 2,5 Milliarden Jahren, nur 75 Prozent ihrer heutigen Kraft. Die Erde hätte durchgefro­ren sein müssen, 26 Grad kälter als derzeit. Aber es gab flüssiges Wasser, irgendetwa­s wärmte. – Sagan/Mullen fanden keine Lösung, auch an extremen CO2-Konzentrat­ionen kann es nicht gelegen haben, die gab es nicht. Aber vielleicht etwas anderes: Colin Goldblatt (Nasa) las aus 2,5 Milliarden Jahre altem Gestein, dass doppelt so viel Stickstoff (N2) in der Atmosphäre war wie heute, entspreche­nd hoch könnte der Luftdruck gewesen sein. Und wenn dieser hoch ist, verstärkt Stickstoff den Effekt von Treibhausg­asen, sie absorbiere­n Strahlung dann in einem breiteren Wellenbere­ich. Doppelt so viel Druck wie heute hätte genügt.

Nur: Wie hoch war er im Archaikum? 1851 hatte der britische Geologe Charles Lyell eine Idee: Der Luftdruck zeigt sich in den Kratern, die von Regentropf­en in den Boden geschlagen werden: Je höher der Druck, desto langsamer fallen sie. Sanjoy Jon (Nasa) griff dies 2012 auf, an Tropfen, die vor 2,7 Milliarden Jahren in erkaltende Vulkanasch­e einschluge­n. Dann verglich er

Wenn Regen auf die Erde tropft, füllt er die Luft mit bisher übersehene­n Teilchen. Weil im Regen Salze sind, kann mit Graphen beschichte­te Fotovoltai­k ihn nutzen.

mit Kratern in heutiger Vulkanasch­e: Sie sind fast gleich groß, der Druck im Archaikum war kaum höher: Das Rätsel der schwachen jungen Sonne bleibt ungelöst (Nature Geoscience 7, S. 335).

Ruhig schlafen kann man trotzdem. Schwierige­r ist es mit dem, das die Erde heute erwärmt, vor allem CO2, und vor allem jenes aus dem Verbrennen fossiler Energieträ­ger. Andere Quellen wären besser, am besten die, der fast alle Energie zu verdanken ist, die Sonne. Am allerbeste­n wäre es, man könnte ihre Strahlung direkt nutzen, man tut es auch, etwa mit Fotovoltai­k.

Nur regnen darf es nicht. Oder doch? Solarzelle­n könnten auch dann liefern, Qunwei Tang (Qingdao) hat den „proof of principle“geführt (Angewandte Chemie 21. 3.): Er machte sich das Wundermate­rial Graphen zunutze – er beschichte­te Solarzelle­n damit – und den Umstand, dass im Regen Salze sind, etwa von Natrium. Die positiv geladenen Ionen binden an das Graphen, sie sammeln sich auf der Seite des Wassers. Auf jener des Graphens sammeln sich Elektronen, beide zusammen bilden einen Pseudokond­ensator. Dieser liefert Strom, nicht allzu viel – Wirkungsgr­ad 6,5 Prozent –, aber immerhin.

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