Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
Wir Menschen nutzen Pflanzen intensiv, wir gefährden immer mehr Arten, wir tragen stark zu ihrer Verbreitung bei. Höchste Zeit, unser Verhältnis zu ihnen neu zu überdenken.
Man schätzt, dass alle irdischen Lebewesen zusammen 1800 Mrd. Tonnen wiegen. Tiere und Menschen machen mit 2,2 Mrd. bzw. 400 Mio. Tonnen nur einen Bruchteil aus; der Löwenanteil sind – neben Mikroorganismen – die Pflanzen: Jedes Jahr entstehen durch Fotosynthese 150 Mrd. Tonnen neue Biomasse!
Wie viele Pflanzenarten es gibt, ist unbekannt. Je genauer man hinschaut, umso mehr neue Arten tauchen auf. Aktuell kennt man rund 391.000 verschiedene Gefäßpflanzen, allein im Vorjahr kamen 2034 neue Arten dazu. Wie aus dem kürzlich von den Kew Royal Botanic Gardens veröffentlichten „State of the World’s Plants“-Bericht hervorgeht, nutzen wir Menschen davon nur wenige – nämlich 31.128 Arten (als Medizin, Lebensmittel, Materialund Energielieferanten usw.). Dennoch üben wir einen gigantischen Einfluss auf die Pflanzenwelt aus: Durch unsere Handlungen ist rund ein Fünftel aller Pflanzenarten in ihrem Bestand bedroht.
Andererseits tragen wir auch massiv zu ihrer Ausbreitung bei: Mindestens 13.168 Pflanzenarten haben wir auf andere Kontinente und in andere Lebensräume verfrachtet. Dort fühlen sich viele (laut Bericht 4979 Pflanzenarten) pudelwohl und überwuchern die heimische Flora. Zudem bieten wir manchen Gewächsen Bedingungen, in denen sie viel stärker wachsen, als sie es in der Natur tun würden – nämlich in landwirtschaftlichen Kulturen.
Diese Tatsache hat der US-Autor Michael Pollan mit einer auf den ersten Blick sonderbar wirkenden Frage umschrieben: Wie schafft es die Pflanze, uns Menschen so in den Dienst zu nehmen, dass wir sie kultivieren und ihr Erbgut verbreiten helfen? Er meint, dass nicht nur wir Menschen die Pflanzen domestiziert hätten, sondern auch die Pflanzen uns für ihre Ziele einspannen.
In diesem Gedanken drückt sich aus, dass sich zur Zeit ein gewisser Standortwechsel in unseren Beziehungen zu Mitlebewesen vollzieht. So boomt derzeit auch eine neue philosophische Richtung namens Pflanzen-Ethik. In einem FWF-Projekt fragt etwa die Wiener Philosophin Angela Kallhoff, ob Pflanzen einen vom Menschen unabhängigen Wert, einen Eigenwert, oder gar so etwas wie Würde haben. Sie macht sich auch Gedanken über den Zusammenhang zwischen dem „Gedeihen“(einem guten Zustand) von Pflanzen und einer Ethik des „guten Lebens“für uns Menschen – also über naturverträgliche Formen des Glücks. Gute Fragen, auf die wir Antworten finden sollten! Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.