Die Presse am Sonntag

»Jeder soll ersetzbar sein? Das ist Blödsinn«

Rekord-Nationalsp­ieler Andreas Herzog spricht zwei Wochen vor EMBeginn über Euphorie, Image und Torjäger. Das Potenzial des ÖFBTeams sei gewaltig. »Jeder ist schlagbar.«

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Wenn Andreas Herzog über den österreich­ischen Fußball und die Nationalma­nnschaft im Speziellen spricht, dann sprudeln die Worte geradezu aus ihm heraus. Herzog und das ÖFB-Team verbindet eine lange und intensive Geschichte, der Wiener hat sie wesentlich mitgeprägt. Mit 103 Länderspie­len ist der langjährig­e Kapitän Rekordhalt­er – und wird dies auch in absehbarer Zukunft bleiben. Trotz eines David Alaba, der als 22-Jähriger bereits auf stolze 44 Einsätze verweisen kann. Ob er dem Verlust seines Rekords später einmal nachweinen würde? Herzog verneint. „Ich würde es dem David sogar wünschen. Wir müssen ja froh sein, dass wir so einen Spieler haben.“

Herzog war selbst noch aktiv, als sich Österreich 1998 zuletzt aus eigener Kraft für ein Großereign­is qualifizie­ren konnte. Für ihn war es die zweite Teilnahme an einer Endrunde, schon 1990 in Italien war er Teil des WM-Kaders. Bei beiden Weltmeiste­rschaften scheiterte die heimische Auswahl bereits in der Vorrunde, Frankreich 1998 bezeichnet Herzog rückblicke­nd als „die schlimmste Erfahrung“seiner Karriere. Nicht zuletzt dank seiner spielentsc­heidenden Treffer gegen Schweden hatte sich die Mannschaft von Teamchef Herbert Prohaska für die Weltmeiste­rschaft qualifizie­rt. Herzog hoffte auf weitere Glanzlicht­er. Er träumte davon, die WM zu „seiner“WM zu machen. „Ich war 29, reif, wollte es allen zeigen.“In Erinnerung blieb letztlich die „Zehe der Nation“. Eine hartnäckig­e Verletzung hatte es Herzog schlicht nicht ermöglicht, sein Leistungsm­aximum auszuschöp­fen. Euphorie und Vorsicht. Auch wenn Herzog mittlerwei­le einen beträchtli­chen Teil des Jahres berufsbedi­ngt in Übersee verbringt – er ist in den USA als Co-Trainer der Nationalma­nnschaft und Teamchef der U23 beschäftig­t – so hat er die Entwicklun­g der rot-weiß-roten Equipe in den vergangene­n Jahren mit Argusaugen verfolgt. Es ist ein Aufstieg mit ungewöhnli­ch geringer Schwankung­sbreite, der schließlic­h in der erfolgreic­hen Qualifikat­ion für die am 10. Juni beginnende Europameis­terschaft gipfelte.

Die neu gewonnene Konstanz schürt hierzuland­e besonders große Erwartunge­n, der heimische Fan ten-

Andreas Herzog

wurde am 10. 9. 1968 in Wien geboren. Er spielte bei Rapid, Vienna, Werder Bremen, Bayern München und Los Angeles Galaxy. Im Nationalte­am bestritt Herzog 103 Spiele (26 Tore), damit ist er Rekordhalt­er (vor Toni Polster mit 95). Nach seiner aktiven Karriere heuerte er beim ÖFB an. Zunächst als Teamchef-Assistent (unter anderem bei der Heim-Euro 2008), später als U21-Coach. Seit 2011 ist Herzog beim US-Verband als Assistent von Teamchef Jürgen Klinsmann engagiert. Zuletzt betreute er zudem die U23-Auswahl, scheiterte mit dieser aber in der OlympiaQua­lifikation.

12 Tage

Noch zum Anpfiff. bis diert im Erfolgsfal­l ohnehin zur Überschwän­glichkeit. Das Erreichen des Achtelfina­les wird geradezu erwartet. Da spielt es für das Gros des Anhangs keine Rolle, dass Österreich­s Mannschaft über wenig bis gar keine Turniererf­ahrung verfügt. Doch zunächst gilt es, die Gruppenpha­se zu überstehen, Gegner dort sind Ungarn (14. Juni), Portugal (18. Juni) und Island (22. Juni). Nach der Auslosung brach hierzuland­e kollektive Erleichter­ung aus, ja sogar Anflüge von Jubelstimm­ung waren zu bemerken. „Die Leute“, sagt Herzog im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, „sind mir zu euphorisch.“Denn, und das ist unbestritt­en, auch die Ungarn, Portugiese­n und Isländer klagten nicht über dieses Los. „Jeder sieht eine Chance. Jeder spielt lieber gegen uns als gegen Deutschlan­d, Spanien oder Italien.“

Besondere Bedeutung wird traditione­ll dem Auftaktspi­el beigemesse­n. Gegen Ungarn liegt der Druck gewiss auf Seiten der Österreich­er. „Damit musst du umgehen können. Wir sollten mehr Qualität in unseren Reihen haben, die gilt es auf dem Platz zu demonstrie­ren.“Herzog versichert: „Du wirst die Ungarn vermutlich einfacher schlagen als die Portugiese­n. Gewinnst du dieses Spiel, siehst es schon mal sehr gut aus.“So sehr der Ex-Internatio­nale auch zur Vorsicht mahnt, das Potenzial des ÖFB-Teams ist auch in seinen Augen unbestritt­en groß. Allerdings, er sieht kein konkretes Herzstück, „du kannst niemanden aus dieser Mannschaft hervorhebe­n“. Am ehesten ist es wohl der Mann in der Coaching-Zone, Teamchef Marcel Koller. „Er hat immer einem Stamm vertraut. Ihm ist alles aufgegange­n.“ Schaulaufe­n. Die Euro ist für Österreich­s Spieler zweifelsoh­ne eine große Chance. Sie bietet die Möglichkei­t, sich fernab ihrer Klubs ins internatio­nale Rampenlich­t zu spielen, Scouts zu begeistern. „Wer eine Riesen-Euro spielt, dessen Marktwert wird sich gewaltig steigern“, weiß Herzog.

Spieler wie Marko Arnautovic,´ Aleksandar Dragovic´ oder Zlatko Junuzovic´ spekuliere­n insgeheim wohl mit dem nächsten großen Schritt auf der Karrierele­iter, das Image des rot-weißroten Kickers hat sich in den vergangene­n Jahren ohnehin schon nachhaltig gebessert. „Über Jahrzehnte hat man den Dänen oder Schweden vor dem Österreich­er geholt, das ist jetzt anders. Die nächsten Generation­en werden davon profitiere­n.“Doch wovon wird es am Ende des Tages abhängen, ob Österreich bei der Euro eine tragende Rolle spielt? Vieles ist Tagesverfa­ssung: Wie funktionie­rt das Kollektiv, wie einzelne Spieler? Tore entscheide­n bekanntlic­h Spiele, und ohne Torjäger bleibt jede Mannschaft irgendwann einmal auf der Strecke. Das ÖFB-Team machte bei der Heim-EM 2008 seine leidvolle Erfahrung. „Zu meiner Zeit gab es Toni Polster, heute gibt es Marc Janko. Wenn es eng wird, müssen genau diese Torjäger den Unterschie­d ausmachen“, meint Herzog.

Die Frage, wie viele Ausfälle die österreich­ische Mannschaft im Ernstfall kompensier­en könnte, ist eine gewichtige. Janko, der bei seinem Klub FC Basel zuletzt wochenlang verletzung­sbedingt fehlte und am Dienstag gegen Malta sein Comeback geben dürfte, ist ein kaum adäquat zu ersetzende­s Puzzleteil. „Wenn er ausfällt, wird es kom- pliziert“, glaubt auch Herzog. Mitunter deshalb, weil Ersatzmann Rubin Okotie sich schon einmal in besserer Form präsentier­te. David Alaba musste in beiden Qualifikat­ionsspiele­n gegen Russland passen, gewonnen wurden diese Partien trotzdem. „Aber in der Quali hat eben alles gepasst“, sagt Herzog und ergänzt: „Als Trainer musst du deinen Spielern erklären, dass jeder ersetzbar ist, aber in Wahrheit ist das natürlich ein Blödsinn. Nur: Was sollst du den Spielern anderes sagen?“

Sind alle Akteure mit an Bord, greift wie in der Qualifikat­ion ein Rad ins andere, „dann kann diese Mannschaft jeden Gegner schlagen“. Doch der Rekord-Nationalsp­ieler ist niemand, der öffentlich mit dem Titel liebäugelt. Schließlic­h könne es auch passieren, dass Österreich nicht einmal die Gruppenpha­se übersteht. Einzig: „Das wäre der Wahnsinn. Dann bekäme diese gute Generation ihren Stempel aufgedrück­t. Das geht in Österreich ja bekanntlic­h ganz schnell.“

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