»Jeder soll ersetzbar sein? Das ist Blödsinn«
Rekord-Nationalspieler Andreas Herzog spricht zwei Wochen vor EMBeginn über Euphorie, Image und Torjäger. Das Potenzial des ÖFBTeams sei gewaltig. »Jeder ist schlagbar.«
Wenn Andreas Herzog über den österreichischen Fußball und die Nationalmannschaft im Speziellen spricht, dann sprudeln die Worte geradezu aus ihm heraus. Herzog und das ÖFB-Team verbindet eine lange und intensive Geschichte, der Wiener hat sie wesentlich mitgeprägt. Mit 103 Länderspielen ist der langjährige Kapitän Rekordhalter – und wird dies auch in absehbarer Zukunft bleiben. Trotz eines David Alaba, der als 22-Jähriger bereits auf stolze 44 Einsätze verweisen kann. Ob er dem Verlust seines Rekords später einmal nachweinen würde? Herzog verneint. „Ich würde es dem David sogar wünschen. Wir müssen ja froh sein, dass wir so einen Spieler haben.“
Herzog war selbst noch aktiv, als sich Österreich 1998 zuletzt aus eigener Kraft für ein Großereignis qualifizieren konnte. Für ihn war es die zweite Teilnahme an einer Endrunde, schon 1990 in Italien war er Teil des WM-Kaders. Bei beiden Weltmeisterschaften scheiterte die heimische Auswahl bereits in der Vorrunde, Frankreich 1998 bezeichnet Herzog rückblickend als „die schlimmste Erfahrung“seiner Karriere. Nicht zuletzt dank seiner spielentscheidenden Treffer gegen Schweden hatte sich die Mannschaft von Teamchef Herbert Prohaska für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Herzog hoffte auf weitere Glanzlichter. Er träumte davon, die WM zu „seiner“WM zu machen. „Ich war 29, reif, wollte es allen zeigen.“In Erinnerung blieb letztlich die „Zehe der Nation“. Eine hartnäckige Verletzung hatte es Herzog schlicht nicht ermöglicht, sein Leistungsmaximum auszuschöpfen. Euphorie und Vorsicht. Auch wenn Herzog mittlerweile einen beträchtlichen Teil des Jahres berufsbedingt in Übersee verbringt – er ist in den USA als Co-Trainer der Nationalmannschaft und Teamchef der U23 beschäftigt – so hat er die Entwicklung der rot-weiß-roten Equipe in den vergangenen Jahren mit Argusaugen verfolgt. Es ist ein Aufstieg mit ungewöhnlich geringer Schwankungsbreite, der schließlich in der erfolgreichen Qualifikation für die am 10. Juni beginnende Europameisterschaft gipfelte.
Die neu gewonnene Konstanz schürt hierzulande besonders große Erwartungen, der heimische Fan ten-
Andreas Herzog
wurde am 10. 9. 1968 in Wien geboren. Er spielte bei Rapid, Vienna, Werder Bremen, Bayern München und Los Angeles Galaxy. Im Nationalteam bestritt Herzog 103 Spiele (26 Tore), damit ist er Rekordhalter (vor Toni Polster mit 95). Nach seiner aktiven Karriere heuerte er beim ÖFB an. Zunächst als Teamchef-Assistent (unter anderem bei der Heim-Euro 2008), später als U21-Coach. Seit 2011 ist Herzog beim US-Verband als Assistent von Teamchef Jürgen Klinsmann engagiert. Zuletzt betreute er zudem die U23-Auswahl, scheiterte mit dieser aber in der OlympiaQualifikation.
12 Tage
Noch zum Anpfiff. bis diert im Erfolgsfall ohnehin zur Überschwänglichkeit. Das Erreichen des Achtelfinales wird geradezu erwartet. Da spielt es für das Gros des Anhangs keine Rolle, dass Österreichs Mannschaft über wenig bis gar keine Turniererfahrung verfügt. Doch zunächst gilt es, die Gruppenphase zu überstehen, Gegner dort sind Ungarn (14. Juni), Portugal (18. Juni) und Island (22. Juni). Nach der Auslosung brach hierzulande kollektive Erleichterung aus, ja sogar Anflüge von Jubelstimmung waren zu bemerken. „Die Leute“, sagt Herzog im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, „sind mir zu euphorisch.“Denn, und das ist unbestritten, auch die Ungarn, Portugiesen und Isländer klagten nicht über dieses Los. „Jeder sieht eine Chance. Jeder spielt lieber gegen uns als gegen Deutschland, Spanien oder Italien.“
Besondere Bedeutung wird traditionell dem Auftaktspiel beigemessen. Gegen Ungarn liegt der Druck gewiss auf Seiten der Österreicher. „Damit musst du umgehen können. Wir sollten mehr Qualität in unseren Reihen haben, die gilt es auf dem Platz zu demonstrieren.“Herzog versichert: „Du wirst die Ungarn vermutlich einfacher schlagen als die Portugiesen. Gewinnst du dieses Spiel, siehst es schon mal sehr gut aus.“So sehr der Ex-Internationale auch zur Vorsicht mahnt, das Potenzial des ÖFB-Teams ist auch in seinen Augen unbestritten groß. Allerdings, er sieht kein konkretes Herzstück, „du kannst niemanden aus dieser Mannschaft hervorheben“. Am ehesten ist es wohl der Mann in der Coaching-Zone, Teamchef Marcel Koller. „Er hat immer einem Stamm vertraut. Ihm ist alles aufgegangen.“ Schaulaufen. Die Euro ist für Österreichs Spieler zweifelsohne eine große Chance. Sie bietet die Möglichkeit, sich fernab ihrer Klubs ins internationale Rampenlicht zu spielen, Scouts zu begeistern. „Wer eine Riesen-Euro spielt, dessen Marktwert wird sich gewaltig steigern“, weiß Herzog.
Spieler wie Marko Arnautovic,´ Aleksandar Dragovic´ oder Zlatko Junuzovic´ spekulieren insgeheim wohl mit dem nächsten großen Schritt auf der Karriereleiter, das Image des rot-weißroten Kickers hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin schon nachhaltig gebessert. „Über Jahrzehnte hat man den Dänen oder Schweden vor dem Österreicher geholt, das ist jetzt anders. Die nächsten Generationen werden davon profitieren.“Doch wovon wird es am Ende des Tages abhängen, ob Österreich bei der Euro eine tragende Rolle spielt? Vieles ist Tagesverfassung: Wie funktioniert das Kollektiv, wie einzelne Spieler? Tore entscheiden bekanntlich Spiele, und ohne Torjäger bleibt jede Mannschaft irgendwann einmal auf der Strecke. Das ÖFB-Team machte bei der Heim-EM 2008 seine leidvolle Erfahrung. „Zu meiner Zeit gab es Toni Polster, heute gibt es Marc Janko. Wenn es eng wird, müssen genau diese Torjäger den Unterschied ausmachen“, meint Herzog.
Die Frage, wie viele Ausfälle die österreichische Mannschaft im Ernstfall kompensieren könnte, ist eine gewichtige. Janko, der bei seinem Klub FC Basel zuletzt wochenlang verletzungsbedingt fehlte und am Dienstag gegen Malta sein Comeback geben dürfte, ist ein kaum adäquat zu ersetzendes Puzzleteil. „Wenn er ausfällt, wird es kom- pliziert“, glaubt auch Herzog. Mitunter deshalb, weil Ersatzmann Rubin Okotie sich schon einmal in besserer Form präsentierte. David Alaba musste in beiden Qualifikationsspielen gegen Russland passen, gewonnen wurden diese Partien trotzdem. „Aber in der Quali hat eben alles gepasst“, sagt Herzog und ergänzt: „Als Trainer musst du deinen Spielern erklären, dass jeder ersetzbar ist, aber in Wahrheit ist das natürlich ein Blödsinn. Nur: Was sollst du den Spielern anderes sagen?“
Sind alle Akteure mit an Bord, greift wie in der Qualifikation ein Rad ins andere, „dann kann diese Mannschaft jeden Gegner schlagen“. Doch der Rekord-Nationalspieler ist niemand, der öffentlich mit dem Titel liebäugelt. Schließlich könne es auch passieren, dass Österreich nicht einmal die Gruppenphase übersteht. Einzig: „Das wäre der Wahnsinn. Dann bekäme diese gute Generation ihren Stempel aufgedrückt. Das geht in Österreich ja bekanntlich ganz schnell.“