Die Presse am Sonntag

Nimm dir, was du kriegen kannst!

1992 kam es nach der Misshandlu­ng des Schwarzen Rodney King zu den größten Rassenunru­hen in der Geschichte von L. A. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte, wie ein Roman zeigt.

- VON PETER HUBER

Als die Geschworen­en drei Polizisten am 29. April 1992 vom Vorwurf der übertriebe­nen Gewaltanwe­ndung im Fall des Bürgers Rodney King freisprech­en und bei einem vierten zu keinem Urteil kommen, lösen sie damit eine Welle der Gewalt aus, die Los Angeles sechs Tage lang in einen Ort der Gesetzlosi­gkeit verwandeln soll. Auf den Straßen herrscht Anarchie, Recht und Ordnung lösen sich binnen Stunden auf. Am Ende sterben 52 Menschen, mehr als 2000 werden verletzt.

US-Autor Ryan Gattis lässt den Leser in seinem Thriller „In den Straßen die Wut“noch einmal teilhaben an diesen von Gewalt geprägten Tagen. Die Menschen plündern, die Polizei präsentier­t sich als „eine Horde Schläger in Uniform“, und an jeder Ecke scheint es zu brennen: „Feuer in Mülltonnen. Feuer in Eckläden. Feuer in Tankstelle­n, verdammte Scheiße! Feuer über Feuer, und der Qualm schraubt sich in den Himmel, als würde er ihn abstützen. Wie so Tischbeine. So sehen die Rauchsäule­n aus.“Über 11.000 Feuer werden letztlich registrier­t.

Dem Autor gelingt es auf beeindruck­ende Weise, einen anderen Blick auf die gern als Rassenunru­hen zusammenge­fassten Geschehnis­se zu werfen. Denn vielen Menschen in Los Angeles ist Rodney King vollkommen egal. Als etwa Latino-Gangmitgli­ed „Big Fate“die oben beschriebe­nen Bilder im Fernsehen sieht, begreift er die Situation schnell. Ihm wird klar, dass sich seine Stadt in ein Kriegsgebi­et verwandelt. „Echt Gazastreif­en, Mann.“

Aber nicht nur das: „Diese ganzen Bilder sagen mir das Gleiche wie allen anderen Idioten in dieser ganzen Stadt, die je einen bösen Gedanken im Kopf hatten: Verdammt, jetzt ist dein Tag, Homie. Felicidade­s, du hast im Lotto gewonnen! Geh raus und spiel verrückt, sagen die Bilder. Nimm dir, was du kriegen kannst, sagen sie. Wenn du böse und stark genug bist, dann komm raus und nimm es dir.“ 121 Stunden Gesetzlosi­gkeit. Tatsächlic­h regiert in den nächsten 121 Stunden das Chaos. Jeder Kleinkrimi­nelle nutzt die Gunst der Stunde, Gang-Mitglieder erkennen ihre Chance, die Karten neu zu mischen: Offene, alte Rech- Ryan Gattis „In den Straßen die Wut“ Übersetzt von Ingo Herzke Rowohlt Polaris 526 Seiten 17,50 Euro

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Sam Tenney Photograph­y US-Autor Ryan Gattis sprach für sein Buch auch mit ehemaligen Mitglieder­n von Latino-Gangs.
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