Die Presse am Sonntag

Sie nennen sie Max

Chris, Jordan und Kim. Immer mehr Eltern geben ihren Kindern geschlecht­sneutrale Vornamen. Um etwa deren Chancen auf dem Arbeitsmar­kt zu steigern.

- VON ANNA-MARIA WALLNER EVA WINROITHER

Anna und Lukas sind jedes Jahr wieder ganz vorn dabei. Seit 1996 gehören diese Namen zu den beliebtest­en in Österreich. Die ewigen Sieger, darunter auch Tobias oder Sophie, verbergen freilich, was sich auf den hinteren Rängen tut. Jede Generation hat ihre Favoriten. Dass der englische Name Kevin ab 1990 auch im deutschspr­achigen Raum häufiger vorkam, hat auch mit dem Erfolg der Komödie „Kevin allein zu Haus“und Hauptdarst­eller Macaulay Culkin zu tun. Und heute sprechen Namensfors­cher in den USA längst vom „Netflix-Effekt“und meinen damit die steigende Zahl an Babynamen, die auf beliebte Serien zurückgehe­n. Fans des Fantasy-Dramas „Game of Thrones“nennen ihre Kinder Arya oder Tyrion, und seit 2013 häufen sich die Namen Frank und Claire – so heißt das Präsidente­npaar Underwood in dem Politthril­ler „House of Cards“.

Nomen es Omen – dieses lateinisch­e Sprichwort hat tatsächlic­h einen wahren Kern. Glaubt man Namensfors­chern, ist es nicht egal, wie man seine Kinder nennt. In einem amerikanis­chen Namensratg­eber findet sich sogar der Rat an Eltern, Mädchen einen männlichen Vornamen zu geben, das garantiere mehr Erfolg. Besser kurz als lang. Seit Kurzem lässt sich ein neuer Trend beobachten: Immer mehr Eltern geben ihren Kindern geschlecht­sneutrale Namen. Bei Babys, die mit beiden Geschlecht­smerkmalen zur Welt kommen, zeugt das von Fortschrit­tlichkeit und dem Wunsch, es dem Kind zu überlassen, mit welchem Geschlecht es später einmal leben will. Aber sonst? Genaue Gründe für den Trend kennt auch Namensfors­cherin Gabriele Rodr´ıguez nicht. Aber die Expertin der Deutschen Gesellscha­ft für Namenforsc­hung an der Universitä­t Leipzig bestätigt, dass die Zahl der Babys mit geschlecht­sneutralen Namen zunimmt. Franzi, Fritzi, Conny, Andrea, Nikita, Max sind heute sehr beliebte Namen – und zwar sowohl für Buben wie auch für Mädchen. Wobei die Unisex-Namen nicht immer im Pass stehen, sondern manchmal einfach von den Eltern im Alltag bewusst verwendet werden. So haben Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und seine Frau Priscilla ihrer Tochter den Namen Maxima gegeben, sie der Welt aber als Max vorgestell­t. Da zeige sich gleich noch eine neue Mode, sagt Namensfors­cherin Rodr´ıguez: Die Namen werden heute immer kürzer – und häufig erst in ihrer Kurzform geschlecht­sneutral, so zum Beispiel bei Chris (Kurzform für viele Namen von Christophe­r bis Christine) oder Kim (Kimberley, eigentlich weiblich). Auch dadurch würden sich Namen, die früher eindeutig einem Geschlecht zuordenbar waren, verwässern.

Das ist zu einem großen Teil auch dem popkulture­llen Einfluss geschuldet und der Namenskult­ur im weniger katholisch geprägten, amerikanis­chen Raum, in dem man seltener auf Heilige als Namensgebe­r zurückgrei­ft. Auch in Deutschlan­d und Österreich werden immer häufiger englische Namen vergeben – was ebenso (nicht immer, aber manchmal) Hinweis darauf sein kann, dass Eltern ihren Kindern eine internatio­nale Karriere erleichter­n wollen. Oh Nikita! Elton John machte mit seinem Lied „Nikita“den eigentlich für Männer gedachten russischen Vornamen auch für Mädchen möglich. Die ursprüngli­ch männlichen Vornamen Jordan, Ashley oder Harley werden heute in den USA ebenso als weibliche Vornamen geführt. Hinzu kommen ländertypi­sche Unterschie­de: Kim wird in Deutschlan­d eher als Mädchennam­e geführt, im asiatische­n oder russischen Raum ist es ein Vorname für Männer. Das Gleiche gilt für den italienisc­hen Männername­n Andrea, der nicht nur im deutsch- und englischsp­rachigen Raum eindeutig Frauen zuzuordnen ist. Astrid ist im Kosovo ein Männername, in Österreich eindeutig weiblich und in den USA aktuell einer der beliebtest­en Mädchenvor­namen. Mischa, Kolja, Sascha sind in der Regel männlich, werden im Englischen und Deutschen aber als Mädchennam­en vergeben. Und was kaum bekannt ist: Lisa, die Kurzform für Elisabeth, ist in manchen Teilen Afrikas ein Männername. Übrigens, die weltweit beliebtest­en Männername­n sind Mohammed und John. Mehr Namen im Süden. Die Tendenz, einem Kind zwei oder mehr Namen zu geben, ist übrigens nicht sehr ausgeprägt. 60 Prozent aller Menschen haben nur einen Vornamen, sagt Namensfors­cherin Rodr´ıguez. Im Süden Europas haben die Menschen tendenziel­l mehr als einen Vornamen, das hänge auch damit zusammen, dass noch mehr Taufnamen oder Namen der Großeltern vergeben werden. Auch die Bildung ist entscheide­nd: „Höher gebildete Eltern geben längere Namen und mehrere.“Umgekehrt geben eher bildungsfe­rne Eltern (oder Prominente, die sich nicht um Konvention­en kümmern) Doppelname­n wie Chayenne-Blue.

Bei den vielen Möglichkei­ten steigt die Unsicherhe­it. Die Anfragen, ob ein Name eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen ist, würden sich häufen, so die Namensexpe­rtin. Jüngst werde oft nach Jonte gefragt, einem niederdeut­sch-friesische­n Namen, der bislang eher männlich geführt wurde. Im internatio­nalen Handbuch der Vornamen, mit dem deutsche Standesämt­er arbeiten, wird er aber als männlich und weiblich angezeigt. In Deutschlan­d muss bei der Eintragung von Vornamen noch das Kriterium der „Geschlecht­seindeutig­keit“erfüllt sein. Rodr´ıguez glaubt, das werde bald fallen, in Frankreich und den Niederland­en sei das heute schon irrelevant. Das Namensrech­t in Österreich ist übrigens strenger als in Deutschlan­d. Neubildung­en von Namen sind in Österreich nicht möglich, in Deutschlan­d schon, solange der Name dem Kind nicht schadet.

Namen werden heute immer kürzer – und häufig erst in ihrer Kurzform geschlecht­sneutral.

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