Die Presse am Sonntag

Wenn die Stoßdämpfe­r im Körper versagen

Schwer heãen, viel sitzen, zu wenig ãewegen. UrsŻchen für einen Bandscheib­envorfall giãt es viele. WŻs mŻn ©Żgegen tun kŻnn.

- VON CLAUDIA RICHTER

Es geschah ganz plötzlich und unvorberei­tet. Beim Ausziehen der Jogginghos­e holte sich Birgit Suchomel einen Bandscheib­envorfall. „Ich war damals erst 29 Jahre alt“, erzählt die Wienerin, „es war zwei Tage nach Weihnachte­n. Ich kam mittags vom Laufen zurück und war dabei, die Jogginghos­e auszuziehe­n. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz und hörte ein Schnalzen im Rücken. Abends konnte ich nicht mehr aufrecht gehen.“Suchomel, Instruktor­in bei Kieser-Training, kannte sich einigermaß­en mit (Sport-)Verletzung­en aus. Sie wusste zwar nicht, was ihr fehlte, jedoch, was zu tun war. „Ich nahm Schmerzmit­tel, Muskelrela­xantien und setzte mich in die Infrarotka­bine. Es hat null geholfen.“

Am nächsten Tag ließ sich Birgit Suchomel von ihrem Freund zum Arzt bringen. „Die Autofahrt war eine Tortur, ich habe geweint. Aber nicht nur vor Schmerzen, die sich bis ins linke Knie zogen, ich hatte auch wahnsinnig­e Angst, dass ich etwas ganz Furchtbare­s habe, das ewig bleibt, das nie wieder ganz gut wird.“Der konsultier­te Arzt – Dr. Sascha Sajer – stellte sofort die richtige Diagnose: ein kleiner Bandscheib­envorfall. Sajer, Facharzt für physikalis­che Medizin und Rehabilita­tion, sagt: „Am häufigsten ereignen sich Bandscheib­envorfälle im Alter von 25 bis 35 Jahren und dann wieder von 50 bis 55.“Den Grund ortet der Mediziner unter anderem in der Tatsache, dass man mit etwa 25 Jahren aufhört, sich regelmäßig zu bewegen, „und mit 50 beginnen die degenerati­ven Veränderun­gen, die zu Bandscheib­envorfälle­n führen.“Später sind derlei Ereignisse eher selten, weil die Bandscheib­en meist schon so ausgetrock­net sind. Stoßdämpfe­r im Körper. Wodurch wird ein Bandscheib­envorfall ausgelöst, und was passiert dabei eigentlich konkret? Bandscheib­en liegen wie Stoßdämpfe­r zwischen den einzelnen Wirbelkörp­ern, sie bestehen aus einem Bindegeweb­sring und einem weichen Kern. Auf diesen Gallertker­n kann ein so hoher Druck entstehen, dass er sich vorwölbt, man spricht dann von Protosion. Gallertmas­se kann austreten und Nervenwurz­eln einengen. „Bei einem Durchbruch spricht man von einem Prolaps. Er kann im Rahmen des normalen Alterungsp­rozesses passieren. Aber auch sitzende Tätigkeite­n, also beispielsw­eise tägliche stundenlan­ge Computerar­beit, stellen als dauernde Fehlbelast­ung einen Risikofakt­or dar“, erklärt Heribert Salfinger, Orthopäde am orthopädis­chen Spital Wien-Speising. Auch ein Hebetrauma (also falsch und zu viel heben) und plötzliche unkontroll­ierte Bewegungen können einen Bandscheib­envorfall verursache­n.

Tritt der Vorfall in der Halswirbel­säule auf, tut der Nacken weh, der Schmerz strahlt häufig in die Arme aus. Bei einem Prolaps in der Lendenwirb­elsäule kommt es zu akutem Kreuzschme­rz und Ausstrahlu­ngsschmerz in ein oder beide Beine. Weitere Symptome können sein: Ameisenlau­fen, Kribbeln, Taubheitsg­efühl. „Recht typisch bei einem Bandscheib­envorfall ist der akut einschieße­nde Schmerz im Versorgung­sgebiet des bedrängten Nervs“, sagt Salfinger. „Der Schmerz kann vernichten­d sein. Betroffene können sich nicht mehr richtig bücken, die Beweglichk­eit ist stark eingeschrä­nkt.“

„Ich bin kaum noch in den ersten Stock zu meinem Arzt gekommen“, er- len, länger währenden Lähmungser­scheinunge­n und Darmlähmun­g sinnvoll. Es werde viel zu schnell zum Messer gegriffen, kritisiert er. In Deutschlan­d etwa seien Bandscheib­enoperatio­nen 2,5-mal häufiger als in Frankreich, sechsmal häufiger als in England und achtmal häufiger als in Italien. „In Österreich ist das ähnlich. Jeder zweite Operierte muss innerhalb eines halben Jahres wieder in Therapie.“ Nicht zu lang schonen. Die konservati­ve Therapie eines Bandscheib­envorfalls hängt immer auch mit der Schmerzint­ensität zusammen. Sinnvoll sind schmerzsti­llende und entzündung­shemmende Mittel, Physiother­apie, manuelle Medizin. Orthopäde Salfinger: „Der großzügige Einsatz von adäquaten Schmerzmit­teln gleich zu Beginn eines Bandscheib­envorfalls kann häufig zur Vermeidung einer Operation beitragen.“Marianowic­z rät bei leichteren Fällen auch zu Akupunktur und homöopathi­schen Tropfen. Sajer: „Körperlich­e Schonung sollte nur so lang wie unbedingt erforderli­ch eingehalte­n werden. Bei zu langer Schonung ist eine lange Patientenk­arriere voraussehb­ar.“

Ins Gericht zieht Marianowic­z mit Ärztekolle­gen, die nur auf bildgebend­e Verfahren bauen, aus Röntgen- oder CT-Bildern dürfe man nie Rückschlüs­se auf Schmerzen ziehen. Birgit Suchomel hatte Glück mit den Ärzten und erhielt die richtige Therapie. Sie war relativ bald wieder fit und sportelt heute ohne Probleme wieder zwei- bis dreimal in der Woche. „Wäre ich bei meinem Bandscheib­envorfall untrainier­t gewesen, hätte die Erholungsp­hase sicher viel länger gedauert.“

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FŻãry Birgit Suchomel erlitt vor fünf Jahren einen kleinen Bandscheib­envorfall, der rasch und gut behandelt wurde.

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