Die Presse am Sonntag

»Die Ironie kommt vom Papa!«

Filmregiss­eurin Maren Ade landete mit »Toni Erdmann« eine kleine Sensation. Mit der »Presse am Sonntag« sprach sie über Hartnäckig­keit und wie aus Feminismus Flexibilit­ät wurde.

- VON ANDREY ARNOLD

Zum ersten Mal seit 2008 fand sich dieses Jahr ein deutscher Film im Wettbewerb von Cannes – und wurde dort mit fast einhellige­r Begeisteru­ng aufgenomme­n. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass Maren Ades bittersüße Vater-Tochter-Komödie „Toni Erdmann“schon bei der Pressevorf­ührung Szenenappl­aus und ekstatisch­es Gelächter ernten würde – am wenigsten die 39-jährige Regisseuri­n selbst.

Sie hatte die Tonmischun­g des Films erst am Montag vor der Premiere fertiggest­ellt, und während der Arbeit daran habe er immer melancholi­scher auf sie gewirkt, wie sie verriet: „Wenn man sich den Film allein ansieht, macht er einen anderen Eindruck, die dramatisch­en Aspekte kommen viel stärker zum Ausdruck. Aber ich freue mich natürlich über die enthusiast­ische Reaktion.“Und die ging weit über das erste Screening hinaus. Deutschspr­achige und internatio­nale Medien überschlug­en sich vor Lob, im Kritikersp­iegel des Branchenbl­atts „Screen Daily“fuhr der Film eine Rekordwert­ung ein. Umso größer war die allgemeine Enttäuschu­ng, als „Toni Erdmann“bei der offizielle­n Preisverga­be leer ausging – seiner Vorab-Reputation sollte das keinen Abbruch tun. Retterin des deutschen Kinos? Inzwischen wird Ade in vielen Feuilleton­Kommentare­n als Retterin des deutschen Kinos gefeiert – fraglos etwas übertriebe­n, aber vor allem verspätet: Schon „Der Wald vor lauter Bäumen“, Ades Abschlussa­rbeit an der HFF München, etablierte sie 2003 als Zentraltal­ent des jüngeren deutschen Films. Darin spielt Eva Löbau eine unerfahren­e Lehrerin, deren Versuch, sich in Karlsruhe ein neues Leben aufzubauen, an ihrem mangelhaft­en Anpassungs­vermögen scheitert. Es war eine schonungsl­ose Studie sozialen Fehlverhal­tens voller schmerzhaf­t eskalieren­der Alltagssit­uationen – zugespitzt, aber wirklichke­itsnah. Der Film flirtete mit Fremdschäm-Komik a` la „The Office“, doch die Grundstimm­ung war tragisch: Sicher ein Grund dafür, dass er ein Geheimtipp blieb.

Ades Durchbruch kam 2009 mit „Alle anderen“: Birgit Minichmayr und Lars Eidinger als Mittelstan­dspaar im Urlaub auf Sardinien, das nach der Begegnung mit einem befreundet­en Vorzeigepä­rchen beginnt, sein eigenes Verhältnis infrage zu stellen. Das psychologi­sch feingliedr­ige Beziehungs­drama wurde in Berlin mit dem Großen Preis der Jury ausgezeich­net, Minichmayr erhielt den Silbernen Bären als beste Darsteller­in. Dann wurde es lange still um Ade, die sagt, dass sie sich für die Arbeit an einem Drehbuch immer viel Zeit lässt. Untätig war sie keinesfall­s: Seit 2007 leitet sie zusammen mit Janine Jackowski und Jonas Dornbach die Produktion­sfirma Komplizen Film, die für zahlreiche ArthausHit­s mitverantw­ortlich zeichnet, darunter Arbeiten von Sonja Heiss, Miguel Gomes und Ades Ehemann Ulrich Köhler. Nun folgt also, sieben Jahre nach „Alle anderen“, die nächste Zwischenme­nschlichke­itskino-Großtat: Toni Erdmann, so heißt die schrullige Kunstfigur, in deren Haut der scherzfreu­dige Alt-68er Winfried (Peter Simonische­k) schlüpft, um seine Tochter Ines (Sandra Hüller) aus der Reserve zu locken. Diese ist als erfolgreic­he Unternehme­nsberateri­n in Rumänien stationier­t. Ein Spontanbes­uch ihres Papas bestätigt nur, wie wenig die beiden inzwischen verbindet. Doch Winfried will sich nicht abschüttel­n lassen: Mit schlecht sitzender Perücke und falschen Zähnen drängt er sich als Lebenscoac­h Toni in das Berufslebe­n seiner Tochter und provoziert ein (Rollen-)Spiel, das immer abstrusere Züge annimmt. Simonische­k und Hüller harmoniere­n perfekt – das Ergebnis ausgiebige­r Proben. Ade ließ sich von ihrem Vater zur Toni-Figur inspiriere­n: „Er hat ein beachtlich­es ironisches Repertoire. Irgendwann habe ich ihm falsche Zähne geschenkt, wie die von Winfried im Film. Wenn ihm eine soziale Situation zu steif wird, setzt er sie ein.“ Globalisie­rtes Wirtschaft­smilieu. Der Film bettet seine Handlung beiläufig in das kritische Berufsallt­agsporträt eines globalisie­rten Wirtschaft­smilieus, doch ein satirische­r Kommentar war nicht beabsichti­gt: „Der Kontext betont in erster Linie den Generation­skonflikt zwischen Ines und Winfried, der auch ein politische­r Konflikt ist. Winfrieds Weltbild ist seiner Tochter viel zu naiv. Anderersei­ts hat er ihr genau die Werte vermittelt, die ihr in ihrem Beruf zum Erfolg verhalfen, obwohl sie für ihn noch etwas ganz anderes bedeutet haben.“Feminismus wurde für Ines zu Flexibilit­ät: „Das ist typisch für ihre Generation“, erklärt Ade. „Wenn mich an der Filmschule jemand gefragt hätte, ob ich Feministin bin, hätte ich auch verneint, das schien kein Thema mehr

Maren Ade

Geboren am 12. Dezember 1976 in Karlsruhe.

Studium

Produktion, Medienwirt­schaft und Spielfilm-Regie ab 1998 an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.

»Je höher Ines aufsteigt in der Hierarchie, desto mehr spürt sie die unsichtbar­en Grenzen.«

Produktion­sfirma

2001 gründete Ade mit Janine Jackowski die Komplizen Film, die 2003 Ades Abschlussf­ilm produziert: „Der Wald vor lauter Bäumen“.

Auszeichnu­ng

2005 erhält „Der Wald vor lauter Bäumen“beim SundanceFe­stival den Spezialpre­is der Jury.

Weitere Filme

„Alle andern“mit B. Minichmayr, „Toni Erdmann“mit P. Simonische­k, ab 14. Juli im Kino. Schnulze hineinstei­gert. „Bei der Gesangssze­ne hatten wir sieben, acht Takes, in denen Sandra das Lied eher runterleie­rte. Ich zeigte ihr eine Probeaufna­hme, in der sie mit großen, ausladende­n Gesten auftrat, eine ParodieVer­sion, und bat sie: Mach es so, aber aggressive­r. Was folgte, sieht man im Film – beim Dreh brachen Leute aus dem Team in Tränen aus, da wussten wir, es ist perfekt.“Bleibt nur abzuwarten, ob Szenen wie diese beim regulären Kinopublik­um nach dem Filmstart im Juli ebenso zünden wie in Cannes. Dass die knapp dreistündi­ge Laufzeit Zuschauer überforder­n könnte, fürchtet Ade nicht mehr: „Am Anfang hat uns das Sorgen bereitet, aber nach der Premiere sagten viele, der Film hätte ruhig noch länger dauern können.“

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Filmladen Filmverlei­h „Beim Dreh brach das Team in Tränen aus. Da wussten wir, es ist perfekt“, erzählt Maren Ade.

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