Die Presse am Sonntag

»Barock« – die bizarre Geschichte eines

Was hat »barock« mit Wucher und Perücken, seltsamen Felsen und scholastis­cher Logik zu tun? Ein Kunsthisto­riker folgt den frühen Spuren dieses Wortes – und entdeckt Erstaunlic­hes.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Von „schiefen Perlen“ist in der Schule ziemlich verlässlic­h dann die Rede, wenn es um die Barockzeit geht. Da erfahren Generation­en von Jugendlich­en seit dem 19. Jahrhunder­t, dass sich die Epochenbez­eichnung vom portugiesi­schen Wort „barroco“ableitet; und dass dieses ungleichmä­ßig geformte, „schiefe“, „schiefrund­e“Perlen bezeichne.

So weit, so unklar. Der deutsche Gelehrte Johann Joachim Winckelman­n, einer der ersten Aufklärer, die im 18. Jahrhunder­t zur Überwindun­g des „Baroqueges­chmacks“aufriefen, war auch maßgeblich für die Verbreitun­g der Perlenable­itung verantwort­lich. Er schrieb sie aus einem französisc­hen Wörterbuch ab – setzte allerdings ein „vermutlich“hinzu. Diese Unsicherhe­it hat die Kunstgesch­ichte nie ganz verlassen. Im 19. Jahrhunder­t wurde aus der abschätzig­en Bezeichnun­g für als bizarr, stilwidrig, abgeschmac­kt oder „schräg“empfundene Kunstforme­n ein – nicht mehr negativer – Epochenbeg­riff, der von der Kunst auch auf Musik und Literatur übertragen wurde. Die Ursprünge des Wortes allerdings blieben nebulos. Verwirrend­e Verästelun­g. Auf dessen Spuren hat sich der Innsbrucke­r Kunsthisto­riker Markus Neuwirth begeben – so „barock“, so ausladend, assoziatio­nsverspiel­t und gelehrt, dass einem am Ende erst recht der Kopf schwirren kann. Was haben das portugiesi­sche „barroco“, das italienisc­he „barocco“, das französisc­he „baroque“, das deutsche „barock“so alles bedeutet, was assoziiert­en die Menschen damit visuell, bevor es zum strengen Stilbegrif­f kam? Das will Neuwirth herausfind­en.

Viel Zeit muss man sich nehmen für seinen prachtvoll bebilderte­n Riesenband „Barock. Kunstgesch­ichte eines Wortes“, will man ihm in alle thematisch­en Verästelun­gen folgen. Dieses Buch, schreibt der Autor eingangs, sei ihm einfach „passiert“. Dass er dem fröhlich wuchernden Eigenleben der Materialie­n und Ideen einfach folgen musste, kann man

 ?? Studien Verlag ?? Baby aus „schiefen Perlen“: Ein Kurfürst schenkte Ende des 17. Jh.s diese Wiege seiner Frau – als Ausdruck der Sehnsucht nach einem Stammhalte­r.
Studien Verlag Baby aus „schiefen Perlen“: Ein Kurfürst schenkte Ende des 17. Jh.s diese Wiege seiner Frau – als Ausdruck der Sehnsucht nach einem Stammhalte­r.
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