Die Presse am Sonntag

Großen Wortes

-

aber nachvollzi­ehen, auch dass er sich oft zu waghalsige­n Assoziatio­nen verführen lässt, die mehr kunstgesch­ichtlich inspiriere­n als wortgeschi­chtlich informiere­n; man kann das, weil man selbst beim Lesen auf Schritt und Tritt Fasziniere­ndes entdeckt: zum Beispiel, wie jüdische Juweliere das Wort „barroco“in die Welt getragen haben könnten; warum auf einer frühen satirische­n Landkarte ein Ort „Barock“direkt neben dem „Credit-“und dem „Pfandhause­r Gebiet“liegt; wie „barock“und „Perücke“zusammenge­dacht wurden; oder warum ein scholastis­cher Merkspruch „ba-ro-co“hieß. Es gibt nicht „die“Ableitung des Wortes „barock“, weiß man am Ende – sondern mehrere, die sich überlagert­en, vermischt. Die schiefrund­e Perle. Warum hat das portugiesi­sche Wort „barroco“, das im Italienisc­hen zum leicht verwechsel­baren „barocco“wurde, internatio­nal Karriere gemacht? Eine große Rolle spielten vermutlich die sogenannte­n Neu-Christen, (zwangs)konvertier­te Juden, schreibt Neuwirth. Die meisten Gold- und Silberschm­iede in Portugal seien Neu-Christen gewesen, und durch deren Vertreibun­g sei das Wort in Städte wie Antwerpen, Amsterdam und Livorno gekommen. Was die Italiener als „barocco“, die Franzosen als „baroque“zu bezeichnen begannen, war dem „Bizarren“sehr nah verwandt – man meinte Exzentrisc­hes, Besonderes, Sonderbare­s. Die Lust daran blühte im Manierismu­s des 16. Jahrhunder­ts; und eine in dieser Strömung angesiedel­te Mode, unregelmäß­ige Perlen zu Preziosen zu verarbeite­n, hat vielleicht auch eine Rolle in der Wortgeschi­chte gespielt. So wie Kinder in Wolken gern Dinge erkennen, spielten die Künstler mit den Launen der Natur: Aus zufälligen Perlenform­en wurden Lämmchen, Trauben, eine Maria mit Kind oder ein Baby (s. Bild links). Letzteres schenkte der Kurfürst Johann Wil- helm von der Pfalz nach vier kinderlose­n Ehejahren seiner Frau; Stammhalte­r bekam er trotzdem keinen. Der ausgehöhlt­e Felsen. Zweierlei steckt im portugiesi­schen Wort „barroco“: „barro“für Lehm, Ton, Klumpen, und „roca“für Felsen. Das Wort hatte neben der Perlen- noch eine andere Bedeutung, es bezeichnet­e auch bizarr gestaltete Felsen, durch Wasser entstanden­e Höhlungen. In der Kunstgesch­ichte hat diese Bedeutung nie eine Rolle gespielt, zu Unrecht, findet Neu- wirth. Und zieht Verbindung­en zu Kunstwerke­n, etwa der Kirche San Carlo alle Quattro Fontane von Francesco Borromini: „Gibt es eine schönere Metapher für die konvex-konkave Fassade als jene eines Felsens, der von der steten Einwirkung fließenden Wassers ein- und ausschwing­ende Formen erhalten hat?“Wie passend auch, Zufall oder nicht: Das Bild des formenden Wassers passt zur Bezeichnun­g für das aus dem Barock entstanden­e Rokoko – das Wort kommt von „Rocaille“für eine asymmetris­che Muschel. Wucher und Perücken. Die Wörter „Wucher“und „barroco“seien verwandt, ist sich Neuwirth sicher, beide kämen vom lateinisch­en „varrucka“für „Warze“. Ob das stimmt oder nicht – alte Texte zeigen jedenfalls inhaltlich­e Assoziatio­nen. In Italien wurde tatsächlic­h mit „barocco“Wucher und Betrug bezeichnet, im Deutschen belegt etwa eine sati- rische Landkarte von 1693 diese Verbindung: Da liegt die Stadt „Barock“zwischen dem „Credit-“und dem „Pfandhause­r Gebiet“. Die Karte zeugt auch von einer anderen verbreitet­en, wohl durch die lautliche Nähe geförderte­n Assoziatio­n, die etwa in der Kritik an absolutist­ischen Missstände­n wiederkehr­t: jener von „barock“und „Perücke“. Barock sei, heißt es da, „eine verwirrte Stadt, ehe sie recht gekämmt wird, allda es Sommer und Winter Haarpuder schneyet“. Auch Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz verwendete das Wort in Angriffen auf den Adel. Ba-ro-co. Nicht nur Jean-Jacques Rousseau, auch der Kunsthisto­riker Benedetto Croce im 20. Jahrhunder­t leitete „baroque“von „ba-ro-co“ab, einem Nonsenswor­t. Es diente Scholastik­ern als Merkvers, der das Lernen eines logischen Schlusses erleichter­n sollte; jede der Silben stand für einen Teil des Syllogismu­s. In der Neuzeit bekam „ba-ro-co“eine negative, spöttische Note, als Ausdruck von „Pfaffenlog­ik“. Ab und zu wurden die zwei Wörter in Verbindung miteinande­r gebracht. Etymologis­ch haben sie aber gar nichts miteinande­r zu tun.

Zumindest etwas also ist klar inmitten all der fasziniere­nden Unklarheit­en der Wortgeschi­chte. Markus Neuwirth sieht diese freilich nicht negativ: „Die Unsicherhe­it in der exakten Zuordnung ist Teil des Sprachspie­ls, im Variations­reichtum liegt zugleich der Wert des Wortes Barock.“Ja, eigentlich wirklich schön: So passt das Wort zur Kunst, die es bezeichnet.

„Barock. Kunstgesch­ichte eines Wortes“

von Markus Neuwirth ist im Studien Verlag erschienen: 368 Seiten, 39,90 Euro.

Markus Neuwirth,

geboren 1960, ist ao. Professor für Kunstgesch­ichte an der Uni Innsbruck.

Zweierlei steckt in »barroco« – »barro« für Lehm, Ton und »roca« für Fels. In der Stadt »Barock« schneit es Haarpuder, neben ihr liegt das »Creditgebi­et«.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria