Die Presse am Sonntag

Immer noch die Malerei

Das Dorotheum macht mit der reduzierte­n Malerei aus dem Nachkriegs-Italien ein immer besseres Geschäft. Wohl auch jetzt wieder bei der Frühjahrsa­uktion.

- VON SABINE B. VOGEL

Kaum ein Bereich verzeichne­t in den vergangene­n Jahren derartig steigende Preise wie die Nachkriegs­moderne Italiens. Im Oktober 2015 meldete Christie’s einen Umsatzreko­rd des Italian Sale von gut 55 Mio. Euro, die Spitzenlos­e von Lucio Fontana, Michelange­lo Pistoletto oder Enrico Castellani gingen weit über die Millioneng­renze hinaus. Zu einem der wichtigste­n Plätze für dieses Segment hat sich in den vergangene­n Jahren das Wiener Dorotheum entwickelt, was auch die heurige Frühjahrsa­uktion für zeitgenöss­ische Kunst am 1. Juni beweist: Knapp die Hälfte der 99 Lose im prominente­n Abendteil stammen aus Italien.

Das Spitzenwer­k ist Lucio Fontanas „Concetto Spaziale, Attesa“von 1967/68, das auf 600.000–800.000 Euro geschätzt ist. Schaut man sich die Preise der vorigen Jahre an, wird dieses monochrom blaue Bild mit dem einen einzigen, markanten Schnitt mitten durch die Leinwand sicherlich die Millioneng­renze überschrei­ten. Denn für diese gestisch-radikale Malerei ist Fontana weltbekann­t und begehrt.

Der 1899 in Argentinie­n geborene, aber in Italien aufgewachs­ene Künstler sprach selbst allerdings nie von Malerei, sondern von „spatial concept“. Nicht der Farbauftra­g, sondern die Räumlichke­it interessie­rte ihn. Seine Erfindung, sagte er 1968, sei „das Loch, und das ist es“, mehr müsse er als Künstler nicht mehr finden. Um den Eindruck einer Raumtiefe zu verstärken, hinterlegt­e er die scharfen Schnitte durch die Leinwände mit einem feinen Stoff. Jenen Werken mit einem Schnitt fügte er im Titel „Attesa“hinzu, jene mit mehreren Schnitten die Pluralform „Attese“, was mit „Erwartung(en)“übersetzt werden kann.

Während die Werke uns bisweilen an Wunden erinnern, sah Fontana darin eine „kosmische Strenge“, wie er es 1966 für seinen komplett weißen Raum auf der Biennale Venedig formuliert­e. Seine ersten Schnitte vollzog er in den 1950er-Jahren, sehr bald folgten andere Künstler seiner Innovation. Sie fanden immer neue, wenn auch prinzipiel­l ähnliche radikale räumliche Konzepte. Auch einige Künstlerin­nen dabei. Diese Werke kommen im Dorotheum zu oft noch durchaus günstigen Schätzprei­sen unter den Hammer. Turi Simeti (1929) etwa trug elipsenart­ige Formen auf monochrome Leinwände auf (30.00–40.000 €); Enrico Castellani (1930) spannte die Leinwände über ein Muster hervorsteh­ender Nägel, bevor er Farbe auf die reliefarti­gen Oberfläche­n auftrug („Superficie Bianca“, 1986, 250.000–300.000 €); auch Agostino Bonalumi (1935–2013) verzichtet­e auf malerische Sujets und transformi­erte die Leinwände in Skulpturen, wenn er zwischen Keilrahmen und Leinwand Holzformen klemmte, die sich durch die Leinwand als Linien durchdrück­en („Grigio“, 1987, 150.000–200.000 €).

Auch einige Künstlerin­nen sind dabei: Carla Accardi (1924–2014) benutzte eine leicht transparen­te Plastikfol­ie, wodurch sie „der Malerei all ihren totemische­n Wert“nehmen wollte, wie sie einmal erklärte (28.000–30.000 €). Und Da- damaino (Eduarda Maino, 1930–2004) arbeitete mit jenem Plastik, aus dem Duschvorhä­nge produziert werden, und nannte die oft durchlöche­rten Wandobjekt­e „Volumina versetzter Module“(110.000–160.000 €). Marina Apollonio (1940) gehört schon zur nächsten Generation, die in den späten 1960er-Jahren mit ihren Kreisbilde­rn ähnlich der OpArt-Studien zur Wahrnehmun­g betrieb (55.000–70.000 €). Auch in Deutschlan­d neue Sprache. Aber nicht nur in Italien, auch in Deutschlan­d suchten Künstler in der Nachkriegs­zeit eine neue künstleris­che Sprache. In Düsseldorf gründeten Heinz Mack und Otto Piene 1958 die Gruppe Zero. Auch sie überwanden die engen Grenzen des Tafelbilde­s, konzentrie­rten sich auf wenige Farben und Formen und experiment­ierten gern mit Motoren und Leuchtkörp­ern. Zu den begehrtest­en Werken der Gruppe gehören Otto Pienes „elektrifiz­ierte Glasplasti­ken“. 1961 entwarf Piene (1928–2014) seinen „Weißen Lichtgeist“, der 1966 erstmals gefertigt und von dem Künstler 2012 neu produziert wurde (230.000–300.000 €).

Diese wunderbar reduzierte­n Werke der europäisch­en Minimalist­en prägen die Frühjahrsa­uktion des Dorotheums. Nur wenig Lautes, Buntes, Poliertes ist dabei. Allerdings auch nichts, was über eine Million geschätzt ist – und damit spiegeln die Contempora­ryAuktione­n den gegenwärti­gen Trend wider: Die Sammler trennen sich gerade nur ungern bis gar nicht von ihren Schätzen. So sind die Spitzenlos­e neben Fontanas nur 46 x 55 cm kleinem Meisterwer­k von ähnlich unspektaku­lärem Format: Gerhard Richters kleines, frühes Porträt von Karl Heinz Hering (1968; 400.000–600.000 €), damals Vorsitzend­er des Düsseldorf­er Kunstver- eins. An dritter Stelle kommt Tom Wesselmann­s Porträt der Kunsthisto­rikerin Nancy Rosen (260.00–300.000 €). Porträts sind im Werk des Pop-Art-Künstlers eher selten, zeigen aber sehr schön seinen Wunsch, „figurative Kunst genauso spannend wie abstrakte Kunst zu machen“, wie er einmal betonte.

Im zweiten Teil der Contempora­ry Art (2. Juni, 17 Uhr) ist Andreas Gurskys wunderbare frühe Alba-Fotografie von 1989 auf 60.000–80.000 € geschätzt und damit teuerstes Los des Abends. Weder Hermann Nitsch noch Erwin Wurm, nicht einmal Damien Hirst, Anish Kapoor oder Frank Stella sind sechsstell­ig geschätzt – aber vielleicht schaffen die Italiener den Preissprun­g.

Seine Erfindung, sagte Lucia Fontana, sei das Loch – und das würde auch reichen. Die Sammler trennen sich zurzeit nur ungern bis gar nicht von ihren Schätzen.

 ?? Dorotheum ?? Georg Baselitz, „St. Georgstief­el“, 1997, (Schätzwert: 180.000-260.000 €).
Dorotheum Georg Baselitz, „St. Georgstief­el“, 1997, (Schätzwert: 180.000-260.000 €).

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