Die Presse am Sonntag

Als der Trainer noch mit Steinen warf

Ein nach Graz verbannter Student sowie in Wien tätige englische Gärtner brachten den Fußball ins heutige Österreich. Ein Rückblick in die Steinzeit des heimischen Fußballs, als sich Spieler noch mit falschen Bärten tarnten, »Kerzen« als Glanzleist­ung bewu

- VON PHILIPP AICHINGER

Nach langem Training mit viel Lust. Steigt man dem Gegner an die Brust. Doch nützt uns nichts das heiße Ringen. Uns will kein rechtes Goal gelingen.“Während Kicker heute nach dem Spiel interviewt werden, griff man einst selbst zur Feder, um das Match zu analysiere­n. Mit diesem poetischen Erguss versuchte der Torhüter des Grazer Akademisch-Technische­n Radfahrver­eins (ATRV) 1895 die Niederlage im bereits städteüber­greifenden Fußballspi­el zu verarbeite­n. Die Grazer hatten den First Vienna Football Club in Wien gefordert.

Die Döblinger, ein Team aus Wienern und fußballerp­robten Engländern, gewannen bei dem Aufeinande­rtreffen am 21. Oktober 1895 mit 5:0. Dabei hatte man in der Hauptstadt großen Respekt vor den Grazern gehabt, gab es doch das Gerücht, dass die in BlauWeiß agierenden Gäste das Spiel schon lang beherrscht­en. Allein das stimmte nicht. Die „Allgemeine Sport-Zeitung“habe hier eine Falschmeld­ung verbreitet, zumal doch „keiner der Grazer Spieler das Spiel länger als ein Jahr kannte“, wie das „Grazer Tagblatt“kritisch in Richtung der journalist­ischen Kollegen vermerkte. Nicht, ohne britische Zustände herbeizuse­hnen. „Hoffen wir, dass die Städte Wien und Graz diese nun Jahr für Jahr geplanten Matches ihrer akademisch­en Jugend im Lauf der Zeit zur eigenen Ehrensache machen, wie es jenseits des Kanals seitens der rivalisier­enden Städte geschieht.“ Bloß nicht erkannt werden. Fußball, das war zu Beginn vor allem ein Sport der Studenten, auch der Mittelschü­ler, gesellscha­ftlich aber noch nicht sehr anerkannt. Junge Spieler tarnten sich öfter mit falschen Bärten und Perücken, um nicht von Professore­n erkannt zu werden. Einige legten sich ein Pseudonym zu oder spielten nur unter ihrem Vornamen. Dass der Sport das Gebiet des heutigen Österreich eroberte, war vor allem zwei Faktoren zu verdanken. Britischen Gärtnern, die in Wien ihrem Sport frönen wollten und die lokale Bevölkerun­g auf den Geschmack brachten. Und einem jungen Prager, den die Eltern fernab seiner Freunde nach Graz verbannten. Damit der junge Mann in

„Von Sindelar bis Alaba“

Der hier abgedruckt­e Text stellt eine gekürzte Version des Artikels dar, der im Magazin „Von Sindelar bis Alaba – Die Geschichte des österreich­ischen Fußballs“erschienen ist. Das Heft beleuchtet die verschiede­nen Epochen des österreich­ischen Fußballs. Es ist im Einzelhand­el erhältlich und kann online unter DiePresse.com/ geschichte bestellt werden. Der Preis beträgt 8,90 Euro. „Presse“-Abonnenten erhalten eine Ermäßigung und bezahlen nur 6,90 Euro. Die Versandkos­ten sind im Preis inkludiert. einer anderen Stadt der Monarchie von der Idee des in Prag schon bekannten Fußballspi­els ablässt und sich auf sein Studium konzentrie­rt.

Doch der junge Mann namens Georg August Wagner dachte nicht daran, sein Hobby zu verwerfen. Seinen Fußball nahm er nach Graz mit. Und er brachte das Spiel den Sportfreun­den vom ATRV bei. Auf Wagners Initiative hin fand am 18. März 1894 im Stadtpark auf dem Platz vor der Grazer Landesturn­anstalt das erste offizielle, wenn auch noch vereinsint­erne Fußballspi­el im heutigen Österreich statt. Einen über die Stadtgrenz­en beachteten Erfolg konnte das Team im Mai 1896 feiern. Man trotzte der ob ihrer Spielstärk­e gefürchtet­en Vienna im Rückspiel in Graz schon ein 1:1 ab.

Die Vienna war der erste Wiener und überhaupt der erste im heutigen Österreich gegründete Verein, der sich ganz dem Fußballspi­el verschrieb. Nicht umsonst trägt die Vienna bis heute das „First“stolz in ihrem Namen. In der Hauptstadt war der Fußball zunächst in der Hand von Exil-Briten, doch die Begeisteru­ng der heimischen Bevölkerun­g wurde spätestens an einem Junisonnta­g im Jahr 1894 offenbar. Auf der sogenannte­n Eiswiese in der Heiligenst­ädter Straße frönten Gärtner, im Sold des Baron Nathaniel Mayer Anselm Freiherr von Rothschild stehend, dem Fußballspi­el. Sie waren großteils Briten. Mehrere Wiener aber stürmten das Feld, weil sie auch bei die- sem neuartigen und so unterhalts­am wirkenden Spiel mitmachen wollten. Sorge um den Rasen. Ein gewisser James Black war der größte Fußballnar­r unter den Gärtnern des Baron Rothschild. Black hatte schon in einem englischen Verein gespielt. Ein Leben ohne Fußball schien für ihn auch in Wien unvorstell­bar. Er animierte andere Gärtner zum Spiel, er erklärte die Regeln. Nachdem der Sohn des österreich­i- schen Gärtnerche­fs Anton Joli, Franz Joli, von einem Lehraufent­halt auf der Insel nach Österreich zurückkam, war auch er der Liebe zum Fußball erlegen.

Erst wurde auf der Wiese des Herrn Baron das Spiel mit dem runden Leder zelebriert. Österreich gegen England, vier gegen vier. Die Furcht, dass seinem Rasen etwas passieren könnte, sorgte schließlic­h dafür, dass Baron Rothschild einen Spielplatz für seine Mitarbeite­r suchte. Man fand ihn in der Heiligenst­ädter Straße, wechselte aber schon bald wegen des unebenen Platzes zur Kuglerwies­e (das heutige Areal auf der Hohen Warte wurde hingegen erst 1921 bezogen). Jetzt, da es einen Spielplatz gab, stand auch der Gründung des First Vienna Football Clubs nichts mehr im Weg. Am 22. August 1894 wurde die Vereinsgrü­ndung besiegelt. Zum Dank nahm die Vienna die Farben des Hauses Rothschild, Blau-Gelb, an.

Das erste Spiel der Döblinger Kicker fand am 15. November gegen den im Prater beheimatet­en, fast zeitgleich gegründete­n Vienna Cricket and Football Club statt. Die Cricketer gewannen vor 150 Zusehern 4:0, wie die

Wiener stürmten das Feld, weil sie bei diesem neuartigen Spiel mitmachen wollten.

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