Die Presse am Sonntag

Die ÖVP muss sich entscheide­n

Die Doppelstra­tegie der Volksparte­i, Christian Kern oben zu loben und unten zu schlagen, kann nicht funktionie­ren. Der Kanzler demonstrie­rt schon einmal effiziente­n Wahlkampf.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Die Szene wäre vor zehn Jahren in etwa so unwahrsche­inlich gewesen wie ein Bundespräs­ident mit einem Parteibuch in Grün oder Österreich­s Teilnahme an der Fußballeur­opameister­schaft: Ein Bundeskanz­ler und SPÖ-Chef wird von den Kärntner Sozialdemo­kraten wie ein Popstar gefeiert und spricht von seiner Freude, dass diese das Land nicht der FPÖ überlassen haben. Peter Kaisers Kärnten ist eines von nur drei verblieben­en SPÖ-geführten Ländern mit Chancen auf Verlängeru­ng. Und am Abgang Werner Faymanns war Kaiser auch nicht ganz unschuldig. Da ist ein Dankeschön durchaus angebracht.

Kern zeigte in Klagenfurt auch, dass er den Zielgruppe­nwahlkampf beherrscht. Den begeistert­en Genossen versichert­e er, dass er die Arbeitszei­tverkürzun­g zum Ziel habe. Er kritisiert­e, dass ein Silicon-Valley-Konzern wie Google hier zu wenig Steuern bezahlt und verdrehte die ÖVP-Forderung nach Kürzung der Mindestsic­herung. Er wolle höhere Löhne und keine geringere Mindestsic­herung, um mehr Anreiz zum Arbeiten zu setzen. Vermögenss­teuern und – siehe Bösewicht Google – eine Wertschöpf­ungsabgabe stehen auch wieder hoch im Kurs. Schwarzes Foul. Spielt die Volksparte­i ihr Doppelspie­l, könnten solche Auftritte Kerns schon bald häufiger werden. Wenn Kern Reinhold Mitterlehn­er bei der Kür des Rechnungsh­of-Präsidente­n wirklich angeboten hat, eine parteifrei­e Kandidatin mit entspreche­ndem Lebenslauf zu nominieren, und die ÖVP als Antwort eine schwarz-blaue Kandidatin aufstellt, ist das erstens ein Foul und zweitens ein Koalitions­bruch. Wenn Innenminis­ter Wolfgang Sobotka mit verschiede­nen Asylzahlen operiert und den neuen Kanzler ausrutsche­n lässt, wäre das eben- falls ein Bodycheck. Kerns Irrtum wird wie folgt erklärt: Er meinte Asylverfah­ren-Berechtigt­e, sagte aber Asylberech­tigte. Kleines Wort, großer Unterschie­d. Einen Irrtum gesteht man am besten gleich ein. Mit einem Zahlenspie­l hat das nur bedingt zu tun. Die K-Frage. Vor der Kür Kerns war häufig zu lesen, der neue Parteichef müsse die F-Fragen beantworte­n: nämlich den Umgang mit der FPÖ einerseits und dem Thema Flüchtling­e anderersei­ts. Kern hat beides rasch mit einer Fortsetzun­g der bisher eingeschla­genen Linie beantworte­t, eigene Nuancen dürften noch kommen. Doch nun muss sich die ÖVP die K-Frage stellen: Wie hält sie es mit Kern? Ihn loben und konstrukti­v zusammenar­beiten, wie Mitterlehn­er bisher versprach, oder jede Möglichkei­t nützen, den Neuen zu entzaubern, wie es Reinhold Lopatka von Tag eins an praktizier­t? Setzen sich die Tauben um Mitterlehn­er, die Falken um Sebastian Kurz und seine zahlreiche­n Anhänger oder gar der Kasuar Lopatka durch? (Der Kasuar ist ein flugunfähi­ger Laufvogel, der als einer der aggressivs­ten Vögel der Welt gilt. Er lebt in Australien und gilt leider als gefährdete Tierart.)

In Variante eins müssen die ÖVP-Frontleute wie einst die Vizekanzle­r unter Franz Vranitzky frustriert zusehen, wie der SPÖKanzler die wenigen Lorbeeren, die noch zu holen sind, einsteckt. Variante zwei hat andere Konsequenz­en: Sie brächte einen Wechsel von Sebastian Kurz in den Driver Seat und eine Neuwahl rasch näher. (Die kann dann auch eine echte Klärung vieler offener Fragen bringen.) Diese Frage muss die ÖVP für sich beantworte­n, sonst ist kein Neustart möglich.

Kern darf sich keine Schonfrist erwarten, dafür ist die Situation zu ernst und dürfte bald noch viel schwierige­r werden: Die soge- nannte Notverordn­ung, die rechtlich schwierige, aber politisch notwendige Reaktion auf einen bald wieder anschwelle­nden Flüchtling­sstrom – in Form von verstärkte­r Überwachun­g an der Grenze und Rückweisun­g von Flüchtling­en – setzt eine effizient arbeitende und aufeinande­r eingespiel­te Regierung voraus. Und keine, die sich ein Match um oder eben gegen die besten Popularitä­tswerte liefert.

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