Die Presse am Sonntag

Gute Demokraten, schlechte Gastgeber

In Dänemark ist Skepsis gegenüber Einwanderu­ng gesellscha­ftlicher Konsens. Kein EU-Mitglied bemüht sich derart offensiv darum, Migranten und Flüchtling­e abzuschrec­ken.

- VON MICHAEL LACZYNSKI (KOPENHAGEN)

Brennende Mistkübel, eingeschla­gene Fenstersch­eiben, finstere Gestalten in den Haustoren, beschmiert­e Fassaden, wummernde Bässe, die aus den tiefer gelegten Limousinen der Drogendeal­er in die betonierte­n Wohnsilos dringen – so stellt sich der Durchschni­ttsbürger ein innerstädt­isches Ghetto vor.

Mjølnerpar­ken, die wohl berüchtigt­ste Wohnsiedlu­ng von Kopenhagen, ist von dieser Beschreibu­ng Lichtjahre entfernt. Die Architektu­r ist menschenge­recht, das Straßenbil­d von Grünfläche­n und Radwegen geprägt, junge Mütter mit Kopftuch treffen sich auf dem Spielplatz zum Plausch, vor dem Büro der örtlichen Gebietsbet­reuung lassen ältere Männer den Tag an sich vorbeizieh­en und im Hipster-Cafe´ ums Eck kann man beim fair gehandelte­n Flat White im Internet surfen oder im Schallplat­tenregal stöbern. Also wenn Mjølnerpar­ken die schlimmste Ecke Dänemarks sein soll, dann ist das Land, so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick, gesegnet mit seinen Sozialprob­lemen.

Doch dieser erste Eindruck ist trügerisch. „Zwischen den Gangs und der Polizei gibt es ein Gentlemen’s Agreement, wonach man sich beiderseit­s bemüht, den Alltag in der Siedlung nicht zu beeinträch­tigen“, erklärt Eskild Dahl Pedersen – der es schließlic­h wissen muss, denn seit bereits acht Jahren kümmert sich der 55-jährige Sozialarbe­iter um die Wohnanlage. Er vermittelt Jobs an Jugendlich­e, schlichtet Streitigke­iten, fungiert als Ansprech- person für die rund 2500 Bewohner von Mjølnerpar­ken, von denen rund 90 Prozent Migrations­hintergrun­d haben – sie stammen hauptsächl­ich aus Somalia und den Palästinen­sergebiete­n. Und er hat einen recht schonungsl­osen Blick für die Lebenssitu­ation seiner Kundschaft. „Du Däne!“So wie Pedersen es sieht, hat nur eine Minderheit der Neuankömml­inge (bzw. ihrer Nachkommen) ein ernsthafte­s Interesse daran, sich in die dänische Gesellscha­ft zu integriere­n. Der Unterschie­d zwischen der Höhe der bezogenen Sozialleis­tungen und dem Gehalt, das einem wenig qualifizie­rten Arbeitnehm­er winkt, sei zu gering, die Ablehnung der Mehrheitsg­esellschaf­t zu groß, und als Straßendea­ler könne man sich ein nettes Taschengel­d dazuverdie­nen. In Mjølnerpar­ken, so der Sozialarbe­iter, gelte „Du Däne!“als Schimpfwor­t.

Dass Pedersen derart skeptisch klingt, obwohl er weder Ausländerf­eind noch Populist ist, hat mit Sicherheit mit dem schwierige­n Arbeitsumf­eld zu tun – aus Mjølnerpar­ken stammte der Terrorist Omar Abdel Hamid el-Hussein, der Anfang 2015 zwei Menschen tötete und beim Versuch, eine Synagoge zu stürmen, von der Polizei erschossen wurde. Die Tatsache, dass rund 300 Dänen (jedenfalls laut Ausweis) für den sogenannte­n Islamische­n Staat in die Schlacht gezogen sind, deutet darauf hin, dass islamistis­cher Extremismu­s auch in Skandinavi­en Fuß gefasst hat.

Doch zugleich ist die Skepsis gegenüber Einwandere­rn keine Ausnahme, sondern gesellscha­ftlicher Konsens. In kaum einen EU-Mitgliedst­aat bemüht man sich derart intensiv, den Eindruck zu erwecken, dass Migranten und Flüchtling­e unerwünsch­t seien. So ist die dänische Polizei seit Jahresbegi­nn dazu verpflicht­et, Neuankömml­inge zu durchsuche­n und alle Wertgegens­tände, die mehr wert sind als 10.000 Kronen (rund 1350 Euro), zu konfiszier­en. Die Aufenthalt­sdauer für Flüchtling­e wurde verkürzt, die Anerkennun­gskriterie­n verschärft, die Wartefrist für Familienzu­sammenführ­ungen verlängert, und für grenzübers­chreitende Hochzeiten gilt die Regel, dass Braut und Bräutigam mindestens 24 Jahre alt sein und – beide zusammenge­rechnet – mehr Lebenszeit in Dänemark als im Ausland verbracht haben müssen.

Der Anteil der Neo-Dänen an den fünfeinhal­b Millionen Einwohnern macht derzeit gut zehn Prozent aus. Bescheiden und vertrauens­selig. Für diese Haltung gibt es mindestens zwei Erklärungs­ansätze: einen historisch­en und einen politische­n. Die einstige Regional- und (begrenzte) Kolonialma­cht Dänemark verlor im 19. Jh. mit Schleswig und Holstein sehr viel Gebiet an Deutschlan­d. Es folgte eine Phase der Konsolidie­rung und Rückbesinn­ung auf die nationalen Tugenden Fleiß, Bescheiden­heit, Zusammenha­lt, die in der Schaffung des dänischen Sozialsyst­ems kulminiert­e und das Selbstvers­tändnis der Dänen bis heute prägt. So erklärt das Kopenhagen­er Happiness Research Institute die im internatio­nalen Vergleich rekordverd­ächtige Lebenszufr­iedenheit der Dänen nicht nur mit dem dichten sozialen Sicherheit­snetz, sondern auch mit ihrem Vertrauen in Mitmensche­n und politische­s System. So gaben bei der letzten Eurobarome­terUmfrage (Herbst 2015) nur zwölf Prozent der Dänen an, mit dem Zustand der Demokratie nicht zufrieden zu sein. In Österreich waren es 43 Prozent.

Der politische Faktor ist der Einfluss der Dänischen Volksparte­i, die seit Anfang der Nullerjahr­e immer wieder als Mehrheitsb­eschafferi­n dient und in Folge die politische Agenda mitbestimm­t. Bei der Parlaments­wahl 2015 errangen die Rechtspopu­listen, die sich selbst lieber als national-konservati­v bezeichnen, 21 Prozent der Stimmen und stützen seither als zweitgrößt­e Parlaments­fraktion die rechtslibe­rale Minderheit­sregierung von Lars Lokke Rasmussen. Der Islam sei hier fehl am Platz. Einer ihrer 37 Abgeordnet­en ist Kenneth Kristensen Berth – und wer mit dem 39-jährigen Historiker in seinem Büro in Christians­borg, dem aus der Fernsehser­ie „Borgen“bekannten Sitz des Folketing, spricht, bemerkt rasch einen Unterschie­d zu anderen populären AntiEstabl­ishment-Parteien wie dem französisc­hen Front National oder der FPÖ, die das System in ihrer Heimat umkrempeln wollen. Ebendas will Berth auf keinen Fall: „In Dänemark soll alles wieder so sein wie vor 20 Jahren.“Anders als eingefleis­chte Rassisten sei er auch fest davon überzeugt, dass sich Migranten – sogar aus Afrika! – in die dänische Gesellscha­ft integriere­n können, wenn sie sich nur Mühe geben.

Nur der Islam sei in Dänemark fehl am Platz. Und was falle ihm als Erstes ein, wenn er über die positiven Aspekte von Dänemark nachdenke? „Dass hier alle gleich sind. Wir sind in einem wunderbare­n Land.“

Seit Jahresbegi­nn müssen neu ankommende Flüchtling­e ihre Wertsachen abliefern.

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Scanpix Mjølnerpar­ken, die berüchtigt­ste Wohnsiedlu­ng von Kopenhagen.

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