Gute Demokraten, schlechte Gastgeber
In Dänemark ist Skepsis gegenüber Einwanderung gesellschaftlicher Konsens. Kein EU-Mitglied bemüht sich derart offensiv darum, Migranten und Flüchtlinge abzuschrecken.
Brennende Mistkübel, eingeschlagene Fensterscheiben, finstere Gestalten in den Haustoren, beschmierte Fassaden, wummernde Bässe, die aus den tiefer gelegten Limousinen der Drogendealer in die betonierten Wohnsilos dringen – so stellt sich der Durchschnittsbürger ein innerstädtisches Ghetto vor.
Mjølnerparken, die wohl berüchtigtste Wohnsiedlung von Kopenhagen, ist von dieser Beschreibung Lichtjahre entfernt. Die Architektur ist menschengerecht, das Straßenbild von Grünflächen und Radwegen geprägt, junge Mütter mit Kopftuch treffen sich auf dem Spielplatz zum Plausch, vor dem Büro der örtlichen Gebietsbetreuung lassen ältere Männer den Tag an sich vorbeiziehen und im Hipster-Cafe´ ums Eck kann man beim fair gehandelten Flat White im Internet surfen oder im Schallplattenregal stöbern. Also wenn Mjølnerparken die schlimmste Ecke Dänemarks sein soll, dann ist das Land, so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick, gesegnet mit seinen Sozialproblemen.
Doch dieser erste Eindruck ist trügerisch. „Zwischen den Gangs und der Polizei gibt es ein Gentlemen’s Agreement, wonach man sich beiderseits bemüht, den Alltag in der Siedlung nicht zu beeinträchtigen“, erklärt Eskild Dahl Pedersen – der es schließlich wissen muss, denn seit bereits acht Jahren kümmert sich der 55-jährige Sozialarbeiter um die Wohnanlage. Er vermittelt Jobs an Jugendliche, schlichtet Streitigkeiten, fungiert als Ansprech- person für die rund 2500 Bewohner von Mjølnerparken, von denen rund 90 Prozent Migrationshintergrund haben – sie stammen hauptsächlich aus Somalia und den Palästinensergebieten. Und er hat einen recht schonungslosen Blick für die Lebenssituation seiner Kundschaft. „Du Däne!“So wie Pedersen es sieht, hat nur eine Minderheit der Neuankömmlinge (bzw. ihrer Nachkommen) ein ernsthaftes Interesse daran, sich in die dänische Gesellschaft zu integrieren. Der Unterschied zwischen der Höhe der bezogenen Sozialleistungen und dem Gehalt, das einem wenig qualifizierten Arbeitnehmer winkt, sei zu gering, die Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft zu groß, und als Straßendealer könne man sich ein nettes Taschengeld dazuverdienen. In Mjølnerparken, so der Sozialarbeiter, gelte „Du Däne!“als Schimpfwort.
Dass Pedersen derart skeptisch klingt, obwohl er weder Ausländerfeind noch Populist ist, hat mit Sicherheit mit dem schwierigen Arbeitsumfeld zu tun – aus Mjølnerparken stammte der Terrorist Omar Abdel Hamid el-Hussein, der Anfang 2015 zwei Menschen tötete und beim Versuch, eine Synagoge zu stürmen, von der Polizei erschossen wurde. Die Tatsache, dass rund 300 Dänen (jedenfalls laut Ausweis) für den sogenannten Islamischen Staat in die Schlacht gezogen sind, deutet darauf hin, dass islamistischer Extremismus auch in Skandinavien Fuß gefasst hat.
Doch zugleich ist die Skepsis gegenüber Einwanderern keine Ausnahme, sondern gesellschaftlicher Konsens. In kaum einen EU-Mitgliedstaat bemüht man sich derart intensiv, den Eindruck zu erwecken, dass Migranten und Flüchtlinge unerwünscht seien. So ist die dänische Polizei seit Jahresbeginn dazu verpflichtet, Neuankömmlinge zu durchsuchen und alle Wertgegenstände, die mehr wert sind als 10.000 Kronen (rund 1350 Euro), zu konfiszieren. Die Aufenthaltsdauer für Flüchtlinge wurde verkürzt, die Anerkennungskriterien verschärft, die Wartefrist für Familienzusammenführungen verlängert, und für grenzüberschreitende Hochzeiten gilt die Regel, dass Braut und Bräutigam mindestens 24 Jahre alt sein und – beide zusammengerechnet – mehr Lebenszeit in Dänemark als im Ausland verbracht haben müssen.
Der Anteil der Neo-Dänen an den fünfeinhalb Millionen Einwohnern macht derzeit gut zehn Prozent aus. Bescheiden und vertrauensselig. Für diese Haltung gibt es mindestens zwei Erklärungsansätze: einen historischen und einen politischen. Die einstige Regional- und (begrenzte) Kolonialmacht Dänemark verlor im 19. Jh. mit Schleswig und Holstein sehr viel Gebiet an Deutschland. Es folgte eine Phase der Konsolidierung und Rückbesinnung auf die nationalen Tugenden Fleiß, Bescheidenheit, Zusammenhalt, die in der Schaffung des dänischen Sozialsystems kulminierte und das Selbstverständnis der Dänen bis heute prägt. So erklärt das Kopenhagener Happiness Research Institute die im internationalen Vergleich rekordverdächtige Lebenszufriedenheit der Dänen nicht nur mit dem dichten sozialen Sicherheitsnetz, sondern auch mit ihrem Vertrauen in Mitmenschen und politisches System. So gaben bei der letzten EurobarometerUmfrage (Herbst 2015) nur zwölf Prozent der Dänen an, mit dem Zustand der Demokratie nicht zufrieden zu sein. In Österreich waren es 43 Prozent.
Der politische Faktor ist der Einfluss der Dänischen Volkspartei, die seit Anfang der Nullerjahre immer wieder als Mehrheitsbeschafferin dient und in Folge die politische Agenda mitbestimmt. Bei der Parlamentswahl 2015 errangen die Rechtspopulisten, die sich selbst lieber als national-konservativ bezeichnen, 21 Prozent der Stimmen und stützen seither als zweitgrößte Parlamentsfraktion die rechtsliberale Minderheitsregierung von Lars Lokke Rasmussen. Der Islam sei hier fehl am Platz. Einer ihrer 37 Abgeordneten ist Kenneth Kristensen Berth – und wer mit dem 39-jährigen Historiker in seinem Büro in Christiansborg, dem aus der Fernsehserie „Borgen“bekannten Sitz des Folketing, spricht, bemerkt rasch einen Unterschied zu anderen populären AntiEstablishment-Parteien wie dem französischen Front National oder der FPÖ, die das System in ihrer Heimat umkrempeln wollen. Ebendas will Berth auf keinen Fall: „In Dänemark soll alles wieder so sein wie vor 20 Jahren.“Anders als eingefleischte Rassisten sei er auch fest davon überzeugt, dass sich Migranten – sogar aus Afrika! – in die dänische Gesellschaft integrieren können, wenn sie sich nur Mühe geben.
Nur der Islam sei in Dänemark fehl am Platz. Und was falle ihm als Erstes ein, wenn er über die positiven Aspekte von Dänemark nachdenke? „Dass hier alle gleich sind. Wir sind in einem wunderbaren Land.“
Seit Jahresbeginn müssen neu ankommende Flüchtlinge ihre Wertsachen abliefern.