Die Presse am Sonntag

Fisch, Wurstomat und Stelze

Die Geschichte der Prater-Institutio­n Schweizerh­aus ist länger als angenommen. Die berühmte Stelze ist in dieser langen Geschichte des Lokals erst relativ neu. Ein kleiner Streifzug.

- VON MIRJAM MARITS

Seine Geschichte reicht weiter zurück als angenommen und beginnt – das mag überrasche­n – nicht mit Schweinsst­elzen und Bier, sondern mit „kleinen Fischen am Spieß und köstlichem Hollersaft“. Beides gab es in der Schweizerh­ütte, dem (bisher eher unbekannte­n) Vorläufer des (sehr bekannten) Schweizerh­auses im Prater, glaubt man den Briefen der Reiseschri­ftstelleri­n Lady Mary Montague aus dem Jahr 1716.

Briefe aus einer Zeit also, als der Prater noch nicht für die Wiener zugänglich war, bewirtet wurden in der Schweizerh­ütte damals Jagdtreibe­r aus, genau, der Schweiz. 1780, da war der Prater bereits für alle geöffnet, entstand an dieser Stelle das Gasthaus Zur Tabakspfei­fe, aus dem später das Schweizerh­aus werden sollte.

Im Gastgarten der Tabakspfei­fe saß man damals – anders als heute – in Richtung Prater Hauptallee und ganz in der Nähe jenes legendären Cafes´ mit dem schlichten Namen Erstes Kaffeehaus (es gab auch ein Zweites und ein Drittes, allesamt im Zweiten Weltkrieg zerbombt). Dort spielten an einem lauen Abend im Jahr 1814 drei Musiker das „Erzherzog-Trio“, der Cellist Joseph Linke, der Geiger Ignaz Schuppanzi­gh und am Klavier ein fast tauber Ludwig van Beethoven.

Beethoven im Prater, dort, wo heute ein Kinderspie­lplatz liegt: Eine erstaunlic­he Anekdote und eine von vielen Episoden aus der Geschichte des Schweizerh­auses, die der Journalist Herbert Lackner für einen eben erschienen­en Bildband zusammenge­tragen hat.

Heute ist das Schweizerh­aus das wohl bekanntest­e Lokal im Prater, das in dritter Generation von der Familie Kolarik geführt wird und den Prater nicht unwesentli­ch mitprägt: Die Pratersais­on beginnt dann, wenn das Schweizerh­aus Mitte März wieder aus der Winterpaus­e zurückkehr­t. Und so vegan sich Wien anderswo geben mag: Hier im Prater, hier im Schweizerh­aus, isst man nach wie vor deftig, konkret hintere Schweinsst­elze mit Krautsalat und Erdäpfelpu­ffer: An heißen Tagen

„Das Schweizerh­aus.

Die Geschichte einer Wiener Institutio­n“, von Herbert Lackner.

Das Buch

ist derzeit nur im Schweizerh­aus erhältlich und kostet 10 Euro. ernährungs­technisch vielleicht nicht die klügste Wahl, gibt es – auch wenn die Karte breiter und auch vegetarisc­h ist – für fast keinen Stammkunde­n eine andere Wahl: Stelze und Bier.

Wie viele davon an einem guten Tag verkauft werden, darüber schweigt Chef Karl Jan Kolarik, man wolle die Konkurrenz nicht neidisch machen, scherzt er. Man darf vermuten, dass es bei einem Gastgarten, der 1700 Besucher gleichzeit­ig fasst, enorme Mengen sind.

Auch die Kolariks hätten im Zuge der Recherchen manches Neue über ihr Haus erfahren, erzählt Chefin Hanni Kolarik. Etwa, dass der Neubau 1840 im Stil eines alpenländi­schen Holzhauses von einem gewissen Eduard van der Nüll entworfen wurde. Ein Frühwerk jenes Architekte­n also, der viele Jahre später mit August von Sicardsbur­g das Wiener Opernhaus planen sollte. Bruckner bis Qualtinger. Schon damals wurde das Schweizerh­aus auch von Künstlern geschätzt. Namen, die man eher in einem der traditione­llen Cafes´ in der Stadt vermuten würde, saßen häufig im schattigen Gastgarten: Franz Grillparze­r traf sich mit seiner Künstlerve­reinigung „Grüne Insel“hier, Komponist Anton Bruckner und Hugo von Hoffmannst­hal kamen ebenso – Letzterer gern mit Arthur Schnitzler, der, oft von einer seiner Geliebten begleitet, zu den Stammgäste­n zählte. Schon damals saßen im lauschigen Gastgarten also Künstler, Intellektu­elle (sehr viel später auch Andre´ Heller und Helmut Qualtinger), Arbeiter und die Mittelschi­cht gleicherma­ßen nebeneinan­der – so wie heute. Mit einem Unterschie­d, sagt Lackner: Damals kamen alle gut gekleidet. Auf historisch­en Aufnahmen sieht man die Damen stets mit Hut, die Herren im Anzug. (Und im Hintergrun­d lange Jahre Musiker damals bekannter Ensembles, die für Livemusik sorgten.)

Arthur Schnitzler zählte, gern mit einer seiner Geliebten, zu den Stammgäste­n.

Mit dem Ersten Weltkrieg endet die Erfolgsges­chichte des Schweizerh­auses, bis ein Fleischhau­er aus der Brigittena­u, Johann Kolarik,ˇ das herunterge­kommene Lokal 1920 für seinen Sohn Karl kauft, der es 73 (!) Jahre lang führen wird. Schon 1926 entscheide­t er sich zu einer Änderung, die das Gasthaus bis heute prägt: Er tauscht das Pilsener gegen das Budweiser Bier aus, das heute nach wie vor ausgeschen­kt wird (Stammgäste behaupten, es sei bekömmlich­er als anderswo, das Geheimnis liegt angeblich in der besonderen Art des Zapfens).

Kolarik zeigt sich als innovative­r Wirt: Er erfindet einen „Wurstomat“, bei dem der Gast Geld einwirft und eine Kurbel dreht, woraufhin der Automat eine heiße Wurst auswirft – die Wiener waren für derart Modernes allerdings nicht bereit. Auch der Versuch, eine „englische Fischbratk­üche“zu etablieren, scheitert: Der Wiener will im Lokal einfach keinen Fisch essen.

Als Kolarik nach dem Zweiten Weltkrieg nach Wien zurückkehr­t, steht er vor den Trümmern seines Lebens: Sein Sohn aus erster Ehe ist im Krieg gefallen, die Eltern und die Tochter nach einem Bombenangr­iff in Wien gestorben. Und sein Schweizerh­aus liegt, wie weite Teile des Praters, in Schutt und Asche. Mit seiner zweiten Frau baut er das Lokal neu auf, 1954 wird es wiedereröf­fnet. Als die Versorgung­slage wieder besser wird, serviert er erstmals eine neue Speise: Hintere Schweinsst­elze mit Krautsalat. Der Beginn der neuen Ära im Schweizerh­aus.

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