Die Presse am Sonntag

Die Region, die nur sehr langsam zusammenwä­chst

Die EuropŻregi­on Centrope hŻt mit vielen Visionen ãegonnen. Heute giãt es zwŻr viele KooperŻtio­nen im kulturelle­n un© wirtschŻft­lichen Bereich. Aãer Żls große I©ee schlummert Centrope, SprŻchãŻrr­ieren un© politische Grenzen verschwin©en nicht.

- VON GERHARD BITZAN

Mitte dieser Woche wurde bei der Schiffsanl­egestelle am Wiener Donaukanal groß gefeiert. Vertreter von Wirtschaft und Stadt fanden sich ein, um das zehnjährig­e Jubiläum des Twin City Liners zu begehen. Und tatsächlic­h ist dieses Schiffspro­jekt – ein Schnellkat­amaran, der in 75 Minuten auf der Donau von Wien in das slowakisch­e Bratislava gleitet – eine Erfolgssto­ry. 1,2 Millionen Passagiere wurden in diesen zehn Jahren zwischen den beiden Städten befördert, darunter viele Touristen, die die Chance nutzten, zwei EU-Hauptstädt­e innerhalb kurzer Zeit besuchen zu können. Seit heuer gibt es eine neue Anlegestel­le in Bratislava (Pressburg), die noch näher an der Altstadt liegt.

Der Twin City Liner ist das Top-Ergebnis einer Vision, die um die Jahrtausen­dwende entwickelt wurde: Da Wien und Bratislava nur 55 Kilometer Luftlinie auseinande­rliegen, sollten diese beiden Städte (Twin Cities) der Nukleus einer Region werden, die nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und dem anstehende­n EU-Beitritt von Tschechien, der Slowakei und Ungarn zu einer neuen wirtschaft­lich erfolgreic­hen Region Europas zusammenwa­chsen soll. Der Name Centrope (Central Europe) ging schließlic­h aus einem Schülerwet­tbewerb hervor.

Am 22. September 2003 war es dann soweit: Im Schloss Kittsee im Burgenland traf sich höchste politische Prominenz aus 14 Ländern und Städ- ten – aus den Bundesländ­ern Wien, Niederöste­rreich und Burgenland, aus Südtschech­ien, der Westslowak­ei und Westungarn. Das Ziel war eine politische Deklaratio­n, mit der eine neue grenzübers­chreitende Europaregi­on aus der Taufe gehoben werden soll.

Am Anfang war die Euphorie noch groß – bei allen Beteiligte­n in allen Ländern. Von Europas vitalem Herzen wurde da gesprochen, und bei Umfragen in der Slowakei und in Österreich sprachen sich die Menschen für engere Kontakte aus. In einem Ende 2005 verfassten „Zukunftsbi­ld Centrope“gab es hochfliege­nde Pläne: 2015 sollte die Region das „Zentrum eines neuen europäisch­en Wirtschaft­sraums sein, der sich von der Ostsee bis zur nördlichen Adria“erstrecke. Zur Euphorie trug wohl auch bei, dass am Anfang üppige EU-Förderunge­n winkten.

Einige Zeit später wurde das Thema schon nüchterner behandelt und als „Vernunfteh­e“bezeichnet. Dann wiederum waren östliche Partnerlän­der wegen der Dominanz Wiens verschnupf­t. Im Rathaus kann man wieder hören, dass zuletzt der Input etwa aus der Slowakei zu wünschen übrig ließ. Das habe auch mit neuen Regierungs­strukturen zu tun. Und sicher hat neuerdings auch die Flüchtling­sthematik dazu beigetrage­n, dass die Grenze nicht zu offen sein soll.

Besonders kritisch zeigt sich der Literaturw­issenschaf­tler Stephan Teichgräbe­r, der unter anderem Literaturf­estivals mit Theatergru­ppen in den Visegrad-´Staaten organisier­t. „Centrope ist eine ziemliche Totgeburt“, meint er. Und es werde heute sehr stiefmütte­rlich behandelt. Das liege einerseits an der mangelnden Organisati­onsstruktu­r und vor allem an der fehlenden Sprachkomp­etenz – besonders von der österreich­ischen Seite. Dabei hätte es großes Potenzial.

Für die Region Centrope ist im Wiener Rathaus die MA 27, die Abtei-

Centrope-Pl´ne 2005: ein WirtschŻft­srŻum von ©er Ostsee ãis zur A©riŻ.

lung für europäisch­e Angelegenh­eiten, zuständig. Abteilungs­chef Martin Posposchil­l weist die Kritik zurück. „Wir verwalten derzeit 320 Projekte“, betont er und zählt einige Beispiele für gute Kooperatio­n auf. Etwa, dass das MAK, das Museum für angewandte Kunst, mit Brünn ein großes Projekt über gemeinsame Architektu­r entwickelt­e. Oder dass der wissenscha­ftliche Austausch zwischen Brünn, das sich als Uni-Standort profiliere­n will, und der Uni Wien gut funktionie­re. In Brünn, das heuer den Vorsitz in der CentropeGr­uppe führt, fand 2014 auch der letzte große Gipfel der Regionalpo­litiker statt.

Als absolut positives Beispiel nennt Pospischil­l auch die 2012 gebaute Fußgänger- und Radfahrbrü­cke über die March zwischen Schloss Hof und Dev´ınska Nova´ Ves in der Slowakei. Angesichts der Tatsache, dass es früher einmal 18 Brücken über die March gab und heute nur zwei, sei dies eines der bedeutends­ten Infrastruk­turprojekt­e.

Freilich gibt es auch die andere Seite: Bei Angern hätte 2014 eine Straßenbrü­cke über die March gebaut werden sollen, dort, wo es derzeit nur eine Fähre gibt. Die EU hätte weitgehend gefördert – und doch wandten sich die Anrainer sowohl auf österreich­ischer als auch auf slowakisch­er Seite in Befragunge­n dagegen.

Etwas anders erlebt den Kontakt an der Grenze Gabriele Nabinger, die Bürgermeis­terin von Kittsee, dem „Geburtsort“von Centrope, der direkt an der Grenze liegt. Weil die Wohnpreise in Bratislava in den vergangene­n Jahren stark anstiegen, zogen immer mehr Slowaken ins österreich­ische Kittsee. 20 Minuten sind es von dort ins Zentrum von Pressburg. Kittsee war 2012 die am schnellste­n wachsende Gemeinde Österreich­s. „Viele junge Fami- lien sind gekommen, das ist toll – aber wir haben jetzt hier den größten Kindergart­en des Burgenland­es mit 200 Kindern.“Das werfe organisato­rische und sprachlich­e Probleme auf. Denn die Kinder müssen auch Deutsch lernen und gingen dann in die Schule. Für Nabinger stehen also eher die direkten Kontakte im Vordergrun­d.

Ein anderes Thema ist die Infrastruk­tur in der Centrope-Region. „Wir profitiere­n sehr von der Bahn WienBratis­lava“, sagt Nabinger. Die wichtigen Straßen- oder Bahnentsch­eidungen werden jedoch meist auf Bundesoder sogar EU-Ebene getroffen. Sicher ist, dass im Verkehrsbe­reich vieles nicht so gelaufen ist, wie man es sich zu Beginn vorgestell­t hat. Verbesseru­ngen bei Bahn und Straßen, ja. Aber zusammenge­wachsen auf dem Verkehrsse­ktor ist die Region noch lange nicht.

Und die wichtige Wirtschaft? Immerhin ist Bratislava mittlerwei­le in die zehn reichsten EU-Regionen aufgerückt (2014, sechste Stelle), während etwa Wien auf den 17. Platz abgerutsch­t ist. „Die Centrope-Region hat ein riesiges Potenzial“, sagt Patrick Sagmeister, der bis vor Kurzem Handelsdel­egierter in Bratislava war. Es laufe jedoch vieles im direkten Kontakt von Firmen, sozusagen im Mikrokosmo­s. Aber man müsse und könne noch viel tun, um dieses schlummern­de Potenzial zu heben.

Kittsee wur©e zur Żm schnellste­n wŻchsen©en Gemein©e Österreich­s.

 ?? Clemens FŻãry ?? Gabriele Nabinger, Bürgermeis­terin von Kittsee, steht täglich in direktem Kontakt mit den slowakisch­en Nachbarn.
Clemens FŻãry Gabriele Nabinger, Bürgermeis­terin von Kittsee, steht täglich in direktem Kontakt mit den slowakisch­en Nachbarn.

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