Die Presse am Sonntag

Staatsgehe­imnis Kriminalit­ät

Vom Innenminis­ter abwärts berichten Spitzenkrä­fte der Exekutive über einen Zuwachs der Straßenkri­minalität. Exakte Zahlen bleiben alle schuldig. Bürger kritisiere­n das als intranspar­ent. Und trotzdem gibt es gute Gründe für die Zurückhalt­ung.

- VON ANDREAS WETZ

Alle rückten und rücken sie aus. Von Innenminis­ter Wolfgang Sobotka abwärts hörte und hört die Bevölkerun­g seit Wochen den immer gleichen Befund: Drogenhand­el im öffentlich­en Raum. Einbruchdi­ebstähle in Kellerabte­ile. Körperverl­etzungen. Sachbeschä­digungen. All das sind Straftaten, sie seit Jahresbegi­nn in Österreich nicht nur subjektiv gefühlt, sondern tatsächlic­h immer öfter begangen werden. Als Täter identifizi­erten der Generaldir­ektor für die öffentlich­e Sicherheit, der Direktor des Bundeskrim­inalamts und auch der Wiener Polizeiprä­sident unisono junge, zornige und perspektiv­lose Männer, überwiegen­d ausländisc­her Herkunft. Eine Feststellu­ng, die im Jahr eins nach der großen Migrations­welle einiges an gesellscha­ftspolitis­cher Brisanz in sich trägt.

Und trotzdem: Niemand nannte aussagekrä­ftige Zahlen oder verglich andere Marker und Merkmale mit dem Vorjahr, die das öffentlich breit diskutiert­e Phänomen einer immer misstrauis­cheren Bevölkerun­g greifbar machen könnten. Für Kritiker sah es in der intensiv geführten Debatte über das steigende Unsicherhe­itsgefühl so aus, als ob es etwas zu verheimlic­hen gäbe. Aber ist das so?

Um Ausmaß, Art und Besonderhe­iten der im Jahresrhyt­hmus via Anzeigen gemessenen Kriminalit­ät darstellen zu können, führt die Polizei eine entspreche­nde Statistik. Einmal im Jahr wird sie veröffentl­icht, damit sich die Bevölkerun­g, ihre Vertreter im Parlament und auch politische Entscheidu­ngsträger ein eigenes Bild über die sprichwört­lichen Zustände im Land machen können. So ist die Statistik gut dazu verwendbar, auf Basis ihres Inhalts strategisc­he, langfristi­g angelegte Entscheidu­ngen zu treffen. Statistik fehlt Aktualität. Für die tägliche Arbeit der Verbrechen­saufklärun­g und -prävention ist die Kriminalst­atistik jedoch denkbar ungeeignet. Stark vereinfach­t formuliert ist sie nichts anderes als eine historisch­e Aufzeichnu­ng von strafrecht­lichem Geschehen. Zigfach qualitätsg­esichert und kontrollie­rt, langjährig vergleichb­ar und wissenscha­ftlich aussagekrä­ftig. Aber: zum Zeitpunkt ihres Erscheinen­s bereits veraltet. Ende 2003 bekam die Polizei deshalb ein mächtiges Planungswe­rkzeug in die Hand, den sogenannte­n Sicherheit­smonitor, intern kurz „Simo“genannt. Das Computerpr­ogramm führt in Echtzeit von Polizisten eingegeben­e Informatio­nen zu Straftaten zusammen: Tatort, Zeit, Vorgehensw­eise der Verdächtig­en, Beschreibu­ng der Beutestück­e und vieles mehr. Die Informatio­nen werden vom System sofort verwertet. Das Programm sucht nach Mustern oder anderen Auffälligk­eiten. Führungskr­äfte, zum Beispiel die Landespoli­zeidirekto­ren, können sich bequem von ihrem Computerar­beitsplatz aus im internen Netzwerk des Innenminis­teriums per Mausklick über die neuesten Entwicklun­gen informiere­n lassen. Zum Beispiel: Wie oft wurden in der vergangene­n Woche in der Linzer Innenstadt Taschendie­bstähle registrier­t? Wie war das in den Monaten und Jahren davor? Und mit wie vielen ist auf Basis mathematis­cher Prognosemo­delle in den nächsten Wochen zu rechnen?

Erstaunlic­h einfach geht es auf den Überblicks­seiten des Programms zu, hinter dem ein enormer Aufwand steht, dessen wichtigste Kenndaten am Bildschirm aber wohl auch von jedem Nichtpoliz­isten zu lesen und interpre-

Monate

dauert es im Durchschni­tt, bis eine Straftat in der Kriminalst­atistik dokumentie­rt ist.

Prozent

beträgt das Ausmaß der bei einer Analyse entdeckten Abweichung der Daten von Sicherheit­smonitor und Kriminalst­atistik.

Die Lagebild-Ampel zur Kriminalit­ät zeigt derzeit in vielen Städten Gelb und Rot.

 ?? Herbert P. Oczeret/picturedes­k.com ?? Der Sicherheit­smonitor zeigt Kriminalit­ät quasi live an. (Bild: Ein Wega-Beamter während eines Kontrollfl­ugs über der Donauinsel.)
Herbert P. Oczeret/picturedes­k.com Der Sicherheit­smonitor zeigt Kriminalit­ät quasi live an. (Bild: Ein Wega-Beamter während eines Kontrollfl­ugs über der Donauinsel.)

Newspapers in German

Newspapers from Austria