Staatsgeheimnis Kriminalität
Vom Innenminister abwärts berichten Spitzenkräfte der Exekutive über einen Zuwachs der Straßenkriminalität. Exakte Zahlen bleiben alle schuldig. Bürger kritisieren das als intransparent. Und trotzdem gibt es gute Gründe für die Zurückhaltung.
Alle rückten und rücken sie aus. Von Innenminister Wolfgang Sobotka abwärts hörte und hört die Bevölkerung seit Wochen den immer gleichen Befund: Drogenhandel im öffentlichen Raum. Einbruchdiebstähle in Kellerabteile. Körperverletzungen. Sachbeschädigungen. All das sind Straftaten, sie seit Jahresbeginn in Österreich nicht nur subjektiv gefühlt, sondern tatsächlich immer öfter begangen werden. Als Täter identifizierten der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, der Direktor des Bundeskriminalamts und auch der Wiener Polizeipräsident unisono junge, zornige und perspektivlose Männer, überwiegend ausländischer Herkunft. Eine Feststellung, die im Jahr eins nach der großen Migrationswelle einiges an gesellschaftspolitischer Brisanz in sich trägt.
Und trotzdem: Niemand nannte aussagekräftige Zahlen oder verglich andere Marker und Merkmale mit dem Vorjahr, die das öffentlich breit diskutierte Phänomen einer immer misstrauischeren Bevölkerung greifbar machen könnten. Für Kritiker sah es in der intensiv geführten Debatte über das steigende Unsicherheitsgefühl so aus, als ob es etwas zu verheimlichen gäbe. Aber ist das so?
Um Ausmaß, Art und Besonderheiten der im Jahresrhythmus via Anzeigen gemessenen Kriminalität darstellen zu können, führt die Polizei eine entsprechende Statistik. Einmal im Jahr wird sie veröffentlicht, damit sich die Bevölkerung, ihre Vertreter im Parlament und auch politische Entscheidungsträger ein eigenes Bild über die sprichwörtlichen Zustände im Land machen können. So ist die Statistik gut dazu verwendbar, auf Basis ihres Inhalts strategische, langfristig angelegte Entscheidungen zu treffen. Statistik fehlt Aktualität. Für die tägliche Arbeit der Verbrechensaufklärung und -prävention ist die Kriminalstatistik jedoch denkbar ungeeignet. Stark vereinfacht formuliert ist sie nichts anderes als eine historische Aufzeichnung von strafrechtlichem Geschehen. Zigfach qualitätsgesichert und kontrolliert, langjährig vergleichbar und wissenschaftlich aussagekräftig. Aber: zum Zeitpunkt ihres Erscheinens bereits veraltet. Ende 2003 bekam die Polizei deshalb ein mächtiges Planungswerkzeug in die Hand, den sogenannten Sicherheitsmonitor, intern kurz „Simo“genannt. Das Computerprogramm führt in Echtzeit von Polizisten eingegebene Informationen zu Straftaten zusammen: Tatort, Zeit, Vorgehensweise der Verdächtigen, Beschreibung der Beutestücke und vieles mehr. Die Informationen werden vom System sofort verwertet. Das Programm sucht nach Mustern oder anderen Auffälligkeiten. Führungskräfte, zum Beispiel die Landespolizeidirektoren, können sich bequem von ihrem Computerarbeitsplatz aus im internen Netzwerk des Innenministeriums per Mausklick über die neuesten Entwicklungen informieren lassen. Zum Beispiel: Wie oft wurden in der vergangenen Woche in der Linzer Innenstadt Taschendiebstähle registriert? Wie war das in den Monaten und Jahren davor? Und mit wie vielen ist auf Basis mathematischer Prognosemodelle in den nächsten Wochen zu rechnen?
Erstaunlich einfach geht es auf den Überblicksseiten des Programms zu, hinter dem ein enormer Aufwand steht, dessen wichtigste Kenndaten am Bildschirm aber wohl auch von jedem Nichtpolizisten zu lesen und interpre-
Monate
dauert es im Durchschnitt, bis eine Straftat in der Kriminalstatistik dokumentiert ist.
Prozent
beträgt das Ausmaß der bei einer Analyse entdeckten Abweichung der Daten von Sicherheitsmonitor und Kriminalstatistik.
Die Lagebild-Ampel zur Kriminalität zeigt derzeit in vielen Städten Gelb und Rot.