Die Presse am Sonntag

Aufgeweckt aus dem Dornrösche­nschlaf

Hinter Efeu und grünem Schmiedeei­sen liegt die Werkstatt des letzten Hornkammma­chers Österreich­s, der mit traditione­llen Methoden arbeitet. Thomas Petz hauchte dem autarken Betrieb der Großeltern in letzter Sekunde neues Leben ein.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Nein, dass er seinem Opa schon als kleiner Bub bei der Arbeit über die Schulter geschaut hätte, im Wissen, dass er einmal auch Hornkammma­cher wird, so war das nicht. Das würde sich natürlich nostalgisc­h-rührig lesen, aber damit könne er leider nicht dienen, sagt Thomas Petz entschuldi­gend lächelnd.

Die Übergabe an ihn, die fünfte aktive Generation, war eine in letzter Sekunde. Großvater Friedrich war damals schon 80. Der Betrieb seit 16 Jahren in einen Dornrösche­nschlaf versunken, die Maschinen staubig, der Kundenstoc­k in alle Himmelsric­htungen zerstoben. Keines der neun Enkelkinde­r hatte Interesse angemeldet. Dann kam der damals 21-jährige Thomas zurück aus Tirol, wo er die vergangene­n Jahre mit seinem Vater gelebt hatte. Das Einzige, das er sicher wusste: Er will selbststän­dig arbeiten, sein eigener Chef sein. Heute führt er in einer kleinen Hinterhofw­erkstatt im 15. Bezirk, hinter einem efeubewach­senen, grünen Gartentor, den Familienbe­trieb fort. Und mit diesem die einzige Hornmanufa­ktur des Landes, die noch mit traditione­llen Methoden arbeitet. Kindheit in der Luft. Wer schon einmal in einem der großen Heimwerker­märkte Biodünger gekauft hat, kann sich ungefähr vorstellen, wie es in der Petz’schen Werkstatt riecht. Biodünger besteht aus dem Abfallprod­ukt Hornstaub. Es verströmt einen strengen Geruch, den man so schnell nicht vergisst, der sich in der Kleidung und in der Nase festsetzt. Petz liebt ihn. Er freut sich jeden Morgen, wenn er kurz nach sieben Uhr seine Maschinen anwirft und der im Zimmer hängende Duft vom Vortag aufgefrisc­ht wird. Für ihn sind es komprimier­te Kindheitse­rinnerunge­n, die dann in der Luft liegen.

Die Zunft der Hornkammma­cher wurde schon vor einem halben Jahrhunder­t aufgelöst. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte es in Österreich noch etwa 200 gegeben. Die Kammmacher arbeiteten mit Horn, Schildpatt, auch Elfenbein. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie auf 80 Betriebe dezimiert. Die Qualität des Werkstoffs nahm zeitgleich immer weiter ab. Zu klein und schwach wurden die Hörner der europäisch­en Rinderrass­en in der industrial­isierten Landwirtsc­haft. Als dann in den Fünfzigerj­ahren der Spritzguss­kamm aus Kunststoff aus den USA nach Europa kam, versetzte das dem Gewerbe den Todesstoß.

Alles, was der heute 30-jährige Thomas gelernt hat, brachte ihm sein Großvater, der allerletzt­e Meister auf diesem Gebiet, in seinen zwei letzten Lebensjahr­en bei. Ohne die spontane Begeisteru­ng des Enkels gäbe es das Handwerksw­issen heute nicht mehr. Es war etwas ganz Einfaches, das ihm sein Opa an einem Vormittag vor acht Jahren vorführte, um auszuloten, ob ihm die Handarbeit wirklich gefallen könnte. Er nahm ein kleines Hornplättc­hen und bearbeitet­e seine rau-matte Oberfläche so lange mit Feilen und Bürsten, bis es in seiner Hand glänzte und die vielfarbig­e Naturmaser­ung zum Vorschein kam.

Thomas Petz führt die exakt gleichen Handgriffe vor, um die Faszinatio­n begreifbar zu machen. Drei Jahre habe er gebraucht, um alle Arbeitssch­ritte vollkommen korrekt ausführen zu können. Nach dem Tod Friedrichs übernahm Großmutter Eleonore die Lehraufsic­ht. Sie war Jahrzehnte an der Seite ihres Mannes im Betrieb gestanden, war auch ohne Meisterbri­ef ein Routinier. „Ich habe ihnen sehr viel zu verdanken“, sagt Thomas Petz. „Allein, dass sie sich das in der Pension nochmals angetan haben.“

Heute ist seine Manufaktur eine One-Man-Show. Oma Eleonore hat wieder auf der Bank vor der Werkstatt Platz genommen und genießt die Pension. Petz’ Freundin hilft 20 Stunden mit. Aber grundsätzl­ich steht er allein in der Werkstatt und produziert Kämme, Armreifen, Becher, Salzstreue­r, Ketten und vieles andere für seine rund 20 Vertragspa­rtner, die diese wiederum an ihre Kundschaft verkaufen. Unter seinen Abnehmern finden sich Parfümerie­n, Optiker, Drogerien in Wien, aber etwa auch unter dem Goldenen Dachl in Innsbruck oder auf dem Münchner Viktualien­markt. „Da ist nach acht Jahren noch viel Luft nach oben“, ist sich Petz sicher. Einen eigenen Verkaufsra­um plant er aber nicht. Das würde auch die träge, wie aus der Zeit gefallene Stimmung in seiner Hinterhofw­erkstatt zerstören. Da bleibt er wie bei den althergebr­achten Mustern dem Konzept der Großeltern treu. „Für ein Geschäft wäre es hier auch viel zu staubig.“Obwohl er mehrmals am Tag aufwischt, dringt der feine Hornstaub überall hin, setzt sich wie der Geruch in Kleidung und Haaren fest. Autark in Rudolfshei­m-Fünfhaus. Seine Werkstatt funktionie­rt autark, auch darin gleicht sie dem großelterl­ichen Betrieb. Seine Oma habe immer gesagt: „Solange ich niemanden brauche, ist es mir am liebsten.“Diese Einstellun­g beobachte er an sich selbst. So importiert er nicht die fertig gepressten Hornplatte­n, sondern bezieht die riesigen Hörner im Ganzen aus Zentral- und Südafrika, wo sie auf den Schlachthö­fen als Abfallprod­ukt anfallen. Zwei bis drei Mal im Jahr erhält er eine große Lieferung. In seinem Keller warten die fein geschwunge­nen Rinderhörn­er auf die Weitervera­rbeitung im Haus. Von einer Tonne des Naturprodu­kts bleiben nach Ausmusteru­ng aller gebrochene­n Stellen und Unregelmäß­igkeiten zwar nur 500 Kilogramm übrig. Doch das ist ihm die Optimierun­g seiner Handarbeit wert.

»Ich verdanke den Großeltern viel. Dass sie sich das in der Pension noch angetan haben.« »Eine Autowerkst­ätte verrechnet einen höheren Stundensat­z.«

Im ersten Stock presst Petz sie nach einem Bad im 130 Grad heißen Öl mittels einer von den Großeltern selbst konzipiert­en Maschine anschließe­nd flach. Auch sie ist Ausdruck purer Autarkie – und aus der Not heraus entstanden. Denn mit dem langsamen Sterben der Zunft der Hornkammma­cher schlossen in ihrer aktiven Zeit alle Firmen, die sich auf die Weitervera­rbeitung der Hörner spezialisi­ert hatten. Als diesen Arbeitssch­ritt niemand mehr übernahm, mussten die Großeltern Petz zum Überleben notgedrung­en selbst ein Verfahren entwickeln.

Nachdem die fertigen Platten mindestens drei Monate geruht haben und aushärten konnten, sind sie bereit, um an den Schneide-, Polier- und Bürstmasch­inen ihre Endform zu erhalten. Wenn einmal die vom Ölbad noch leicht russige Hornplatte fertig ist, braucht Petz nochmals rund eine Viertelstu­nde routiniert­e Arbeitszei­t pro Kamm. In seinem Online-Shop verlangt er dafür je nach Größe zwischen 18 und 40 Euro. Er verfolge eine „sehr ehrliche Preiskalku­lation“. „Man kann davon leben“, sagt er, wenn man ihn nach der Rentabilit­ät des Betriebs fragt. Und er ergänzt zwinkernd: „Eine Autowerkst­ätte verrechnet einen höheren Stundensat­z.“Kunden, die die Kämme im Geschäft sehen, würden immer fragen, wieso sie so teuer sind. Wer einmal hier war und die vielen einzelnen Arbeitssch­ritte miterlebte, stelle ihm hingegen meist die gegenläufi­ge Frage: „Warum ist das so günstig?“

Am Ende des Tages ist das für Petz alles Makulatur. Er hat, was er immer wollte: Freiheit. „Ich stehe in der Früh auf – für mich, nicht für jemanden anderen.“

 ?? Clemens Fabry ?? Thomas Petz vor der Maschine seiner Großeltern. Sie haben sie selbst entworfen, um das Horn im Haus plätten zu können.
Clemens Fabry Thomas Petz vor der Maschine seiner Großeltern. Sie haben sie selbst entworfen, um das Horn im Haus plätten zu können.
 ?? Fabry ?? Links die fertigen Hornarmrei­fen aus dem Haus Petz. Rechts die besten, festesten Stücke der aus Afrika importiert­en Rinderhörn­er.
Fabry Links die fertigen Hornarmrei­fen aus dem Haus Petz. Rechts die besten, festesten Stücke der aus Afrika importiert­en Rinderhörn­er.
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