Die Herren der Nacht
Vor 64 Millionen Jahren eroberten die Fledermäuse die Lüfte. Die dazu nötigen Flügel helfen auch bei der Orientierung im Stockfinsteren.
Nehmet Herz und Leber von einer Fledermaus, thut es unter das Blei, wenn man Kugeln gießt, so soll man treffen können, was man will.“Das riet ein Zauberlexikon 1759, man wusste immer schon, dass die Herren der Nacht vorzügliche Jäger sind. Wie bewerkstelligten sie das im Stockfinsteren? Viele vermuteten, sie hätten den Teufel im Leib, aber ein Gottesmann hielt es mit der Wissenschaft: 1793 spannte Lazzaro Spallanzani, Priester in Pavia, in einem Zimmer kreuz und quer Drähte und hängte Glöckchen daran. Dann zog er die Vorhänge zu, dicht, und ließ Waldkäuze fliegen. Die Glocken bimmelten unentwegt. Dann ließ er Fledermäuse fliegen, alles blieb still.
Gab es doch Restlicht, hatten sie extrem feine Augen? Spallanzani, ein Forscher seiner Zeit, stach sie ihnen aus: Kein Glöckchen rührte sich. Er ver- schloss ihnen Nasen und Mäuler, immer noch nichts. Erst als er ihnen dicke Hauben über die Ohren stülpte, kam Gebimmel: Fledermäuse sehen mit den Ohren! Zwar erwog Spallanzani einen alternativen Vorschlag des französischen Naturforschers Georges Cuvier – die Tiere hätten einen „Fernsinn“an den Flügeln –, aber das war eher eine Verneigung vor dem großen Namen, er verfolgte die Idee nicht weiter.
Seine eigene wurde 150 Jahre später bestätigt, vom US-Zoologen Donald Griffin. Er bemerkte, dass Fledermäuse mit aktivem Sonar arbeiten, Schall senden – aus dem Maul, manche auch aus der Nase – und sich aus dem Echo ein Bild von ihrer Umwelt und von Beute darin machen. Das machen sie im Ultraschall, gottlob, selbst Winzlinge von vier Gramm schreien mit 128 Dezibel – so dröhnt ein startender Jet aus der Nähe. Menschen hören das nur mit Spezialmikrofonen – damit hat Veronica Zamora-Guiterrez (Cambridge) gerade ein Schallarchiv von 59 Arten angelegt, die in Mexiko unterwegs sind (Methods in Ecology and Evolution 14. 4.). Fledermäuse vernehmen die Töne wohl, auch die aller anderen, sie müssen sich darauf einstellen, heben bei Bedarf die eigene Stimme, um sich selbst aus der Kakofonie herauszuhören (Proc. Roy. Soc. B. 274, S. 651).
Jene, hinter denen sie her sind, vernehmen es auch, manche Nachtfalter haben zu ihrem Schutz Ohren entwickelt. Sie halten dagegen, auch mit Schall, er soll die Fledermäuse verwirren bzw. warnen, dass da etwas Ungenießbares fliegt. So halten es manche Bärenspinner, die Gifte im Leib haben. Bei einigen hat ein moderner Spallanzani, Nicolas Dowdy (Wake Forest University), die Körperteile entfernt, mit denen sie Schall erzeugen, dann ließ er Fledermäuse auf sie los: Sie wurden viel häufiger Beute (PLoS ONE 20. 4.). Aber wenn sie gegenhalten können, haben sie oft Erfolg, so oft, dass viele Fledermäuse im Lauf ihrer Geschichte von ihrer ersten Beute, Insekten, auf Frösche, Fische gar, umgestiegen sind. Dazu mussten sie ihren Fressapparat zum Zermalmen der Knochen bzw. Kleinarbeiten der Gräten umbauen. Sharlene Santana (University of Washington) hat alle Details rekonstruiert (Roy. Soc. Proc. B 11. 5.). Zwei Revolutionen. In solche Feinheiten dringt die Fledermausforschung heute vor. Nur beim gröbsten aller Rätsel steht sie an: Fledermäuse erhoben sich vor etwa 64 Millionen Jahren in die Lüfte, da lernten sie fliegen; zugleich mussten sie lernen, sich zu orientieren, die Echolokation zu entwickeln (für sie bauten sie exakt das gleiche Gen an der gleichen Stelle um, wie das vor 46 Millionen Jahren jene Tiere taten, die vom Land nicht in die Lüfte, sondern ins Wasser auswichen: die Wale). Zwei Revolutionen auf einen Schlag? Schwer vorstellbar! Also setzte man zunächst auf „echolocation first“: Fledermäuse seien auf Bäume hinauf- und auf den Ästen nach vorn geklettert, wo sie vorbeifliegende Insekten orteten und nach ihnen schnappten – mit den Vorderbeinen, die immer länger wurden. Nicht lang genug: Sie sprangen los, die Flughäute zwischen den Fingern kamen allmählich zum sichereren Herabgleiten.
Aber das geht nicht: Der Lärm braucht so viel Energie, dass er von Maul und Nase allein nicht erzeugt werden kann. Die Flügel helfen, ihre Muskeln ermöglichten die Echolokation. Also doch „flight first“? Darauf deuten auch die mit 52 Millionen Jahren ältesten Fossilien. Das geht auch nicht, wie hätten die Tiere sich orientieren sollen? Catch 22! Einen Ausweg schlug John Speakman (Aberdeen) vor: Die ersten Fledermäuse seien nicht in der Nacht in den Himmel gestiegen, sondern am Tag. Und sie seien ins Lichtlose geflüchtet, als andere Jäger kamen: Raubvögel (Mammal Review 31, S. 111).
Aber Eulen gibt es schon auch, und in der Mittsommernacht des Nordens, in der es immer hell ist, kommen Fledermäuse mit Raubvögeln zurecht. Warum also ins Dunkel? Christian Voigt (Berlin) hat noch eine Idee (Proc. Roy. Soc. B 278, S. 2311): Die Nacht ist nicht nur düster, sie ist auch kühl. Fledermäuse werden beim Fliegen heiß, sie strahlen die Wärme über die Flügel ab. Diese sind ungeschützt – sie haben keine Federn wie Vögel – und dunkel obendrein, Sonnenlicht können sie nicht brauchen. Ab in die Nacht!
Wie auch immer: Sie fliegen. Und sie orientieren sich. Aber nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Flügeln. Cuvier hatte so unrecht nicht: Auf den Flügeln sitzen Härchen, und an ihnen Mechanorezeptoren – Merkel-Zellen, benannt nach ihrem Entdecker –, sie reagieren auf die Verwirbelungen der Luft durch die Flügelschläge und die Umgebung. Damit korrigieren Fledermäuse ständig ihren Flug. Ellen Lumpkin (New York) hat gerade die Physiologie erhellt (Cell Reports, 30. 4.). Und John Zook (Ohio University) hat früher – wieder in einem Experiment a la Spallanzani – gezeigt, was passiert, wenn die Härchen weg sind (Science 310, S. 1260): Er entfernte sie – mit Enthaarungscreme! –, die Tiere konnten nur noch geradeaus fliegen und Hindernissen nicht ausweichen.
Finden sie endlich doch Ruhe, vom Fliegen und den Experimenten, müssen sie noch ein Kunststück vollbringen: Sie landen mit den Beinen nach oben, müssen sich drehen. Wie? Das hat Kenneth Breuer (Brown University) mit Hochgeschwindigkeitskameras verfolgt (PLoS Biology 13:e1002297): Sie werfen sich mit den Flügeln herum, nicht mit besonderen Schlägen, sondern mit dem schieren Gewicht – sie sind schwer.
Forschung früher: Wenn man ihnen die Augen aussticht, sehen sie doch! Forschung heute: Wenn man ihnen die Flügel enthaart, verlieren sie die Orientierung.