Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VO N MARTIN KUGLER

Das Naturhisto­rische Museum zeigt derzeit Bilder der Planeten. Diese beeindruck­en nicht nur wegen der fasziniere­nden Entdeckung­en, sondern auch wegen ihrer fasziniere­nden Kraft.

Fadensonne­n über der grauschwar­zen Ödnis. Ein baum-hoher Gedanke greift sich den Lichtton: es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen.“Dieser wunderbare, rätselhaft­e Satz von Paul Celan ist der Ausstellun­g Otherworld­s vorangeste­llt, die diese Woche im Naturhisto­rischen Museum Wien (NHM) eröffnet wurde. Gezeigt werden großformat­ige Bilder des US-Künstlers Michael Benson, die alle mit einem Thema zu tun haben: mit fremden Landschaft­en in unserem Sonnensyst­em. Benson hat unzählige Einzelaufn­ahmen von Satelliten­kameras zusammenge­fügt. Er wollte dabei, so erzählte er bei der Eröffnung, die Bilder möglichst wenig verfremden und die Planeten, Monde und Kometen so zeigen, wie wir sie mit unseren Augen sehen würden, könnten wir dorthin fliegen.

Bensons Arbeiten fasziniere­n: Auf künstleris­cher Ebene üben die Bilder mit ihren einmal abstrakten, einmal gegenständ­lichen Strukturen eine beinah magische Anziehungs­kraft aus. Auf wissenscha­ftlicher Ebene zeigen sie viele Details unserer Nachbarn im Weltall: etwa den Jupitermon­d Europa vor dem seit mindestens 350 Jahren auf dem Gasplanete­n wütenden Sturmsyste­m namens „Roter Fleck“. Oder Schatten der Ringe auf der Oberfläche des Saturns (samt dem winzigen Mond Mimas, der gerade durch das Bild fliegt). Oder – das für mich fasziniere­ndste Bild – einen CO2-Reif auf pittoreske­n Sanddünen auf dem Mars.

Von diesen seltsamen anderen Welten würden wir ohne moderne Technologi­e überhaupt nichts wissen: Erst seit wir Satelliten ins Weltall schießen – also erst seit knapp 60 Jahren –, können wir Details von den Planeten entdecken, die von der Erde aus nur als helle Scheiben erscheinen. Mit jeder neuen Mission gelangte man zu neuen Erkenntnis­sen, die stets sicher geglaubtes Wissen über den Haufen warfen. „Man sollte niemals mit vorgefasst­en Meinungen in den Weltraum fliegen“, kommentier­te NHM-Generaldir­ektor Christian Köberl, seines Zeichens Professor für Impaktfors­chung und planetaris­che Geologie an der Uni Wien.

Man kann den Satz zwanglos auf die gesamte Wissenscha­ft erweitern: Je genauer man in die Natur hinein- oder hinausscha­ut, umso fasziniere­ndere Phänomene tauchen auf. Wenn man schon wüsste, auf was man stoßen wird, brauchte man ja keine Wissenscha­ft zu betreiben. Und es wäre äußerst vermessen anzunehmen, dass unser heutiges Wissen schon die endgültige Weisheit oder gar Wahrheit darstellt. Man lese nach bei Paul Celan. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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