Die Presse am Sonntag

Das Ansehen der Seleccio´n

Spanien gewann die Euro 2008, triumphier­te bei der WM 2010 und jubelte bei der Euro 2012 in Polen und der Ukraine. Ist »La Furia Roja«, der Titelverte­idiger, aber weiterhin eine Macht? Im Klubfußbal­l dominieren die Iberer weiterhin.

- VON SENTA WINTNER

Wir haben sicher nicht die Verpflicht­ung, den Titel zu gewinnen. Aber wir haben den Traum, es schaffen zu können.“Spaniens Teamchef, Vicente del Bosque, kennt die hohen Erwartunge­n der eigenen Fans nur zu gut, nicht weniger als den dritten EMTitel in Folge erwarten sie. Schließlic­h wurden unter seiner Ägide bereits große Erfolge gefeiert: Nachdem Luis Aragones die Spanier bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz zum ersten Titel seit 44 Jahren geführt hatte, triumphier­te die Mannschaft unter Nachfolger del Bosque auch bei der WM 2010 und der EM 2012. In Frankreich soll sich der Titelverte­idiger nun als erste Mannschaft zum dritten Mal in Folge zum Europameis­ter küren. „Es wird kein leichtes Unterfange­n, aber wir werden es versuchen“, erklärte der 65-Jährige, der nach dem Turnier zurücktret­en wird.

Die Medien und etliche Fans hätten del Bosques Abschied gern bereits 2014 gesehen, nachdem bei der WM in Brasilien Spaniens Nimbus der Unschlagba­rkeit auf schmerzvol­le Art und Weise zerstört worden war. Die Seleccion´ schlittert­e gleich zum Auftakt gegen die Niederland­e in ein 1:5-Debakel und musste sich schließlic­h nach der Vorrunde verabschie­den. Aus „La Roja“(die Rote) wurde „La Rota“(die Kaputte), spottete damals nicht nur die Tageszeitu­ng „El Pais“.

Del Bosque ertrug den öffentlich­en Aufschrei in seiner gewohnt ruhigen, fast stoischen Art. „Wir müssen uns trotz dieses Desasters daran erinnern, dass wir immer noch Europameis­ter sind“, betonte der 2011 vom König zum Marques´ (Markgraf ) Geadelte. Die EM-Qualifikat­ion meisterte Spanien – in einer vergleichs­weise leichten Gruppe – souverän, nach der 1:2-Niederlage in der Slowakei am zweiten Spieltag wurden alle folgenden acht Partien ohne ein einziges Gegentor gewonnen. Allerdings vermissten Experten wie Fans den spielerisc­hen Glanz vergangene­r Tage. Im Umbruch? Die bei der WM 2014 gnadenlos aufgedeckt­en Schwachste­llen konnte del Bosque bis heute nicht vollständi­g ausmerzen. Im Gegensatz zu den Klubmannsc­haften hinkt Spanien bei der Weiterentw­icklung des einst so erfolgreic­hen Tiki-Taka-Kurzpasssp­iels hinterher, außerdem ist der personelle Umbruch noch nicht abgeschlos­sen. Wurde dem Teamchef in der Vergangenh­eit zu wenig Mut zu Veränderun­g und Jugend nachgesagt, versuchte er diesen Vorwurf in den vergangene­n beiden Jahren mit Nachdruck zu entkräften. Nicht weniger als 18 Spieler kamen nach der WM zu ihrem Nationalte­amdebüt, doch nur die wenigsten konnten sich etablieren. So bilden nach wie vor die Weltmeiste­r von 2010 das Grundgerüs­t der Mannschaft, heißen die Stützen weiter Gerard Pique,´ Sergio Ramos, Andres Iniesta oder Sergio Busquets.

Zudem ist seit dem Rücktritt von David Villa kein echter Torjäger mehr in Sicht. In Frankreich ruhen die Hoffnungen auf Juventus-Stürmer Alvaro Morata und Oldie Aritz Aduriz. Der Stürmer von Athletic Bilbao war mit 20 Toren der treffsiche­rste Spanier in der Primera Division und erhält nun mit 35 Jahren erstmals bei einem Großturnie­r die Chance. Prominente Namen wie Diego Costa (Chelsea) oder Fernando Torres (Atletico´ Madrid) sucht man dafür vergeblich. Aber auch Real Madrid, del Bosques ehemaliger Klub und aktueller Champions-League-Sieger, dürfte sich gehörig über seine Auswahl wundern. Denn mit Ramos und Vasquez sind nur zwei „Königliche“im 23-Mann-Kader vertreten. Auch Sau´l N˜´ıguez, 21, oder Isco, 24, fehlen. Sie bleiben beide zu Hause. Barcelona stellt ebenfalls nur fünf Spieler, und nun stellt sich Spanien die Frage, ob das eventuell die (logische) Folge der Triumphe im Europacup ist. Der spanische Fußball dominiert Europa, das belegen ChampionsL­eague-Sieger Real und EuropaLeag­ue-Triumphato­r Sevilla. Kein einziger Vertreter der Primera Division schied im Europacup vor dem Semifinale gegen einen nicht spanischen Gegner aus – das könnte zulasten der Seleccion´ gehen, so die Befürchtun­g. Die Spieler von Atletico,´ Barcelona und Real, sind sie überspielt, ausgebrann­t? Vicente del Bosque wird es wissen. Immer wieder Iker Casillas. Aber auch die Torhüterpo­sition sorgt für heftige Diskussion­en. Trotz einiger Fehlgriffe erhielt Iker Casillas, 35, in der Qualifikat­ion zumeist den Vorzug gegenüber dem aufstreben­den David de Gea, 24, von Manchester United. Die endgültige Entscheidu­ng über die Nummer eins soll erst kurz vor der EM fallen. Casillas ist mit der fünften EM-Teilnahme nach 2000, 2004, 2008 und 2012 Rekordspie­ler.

Mit Ramos und Vasquez sind nur zwei Spieler von Real Madrid im 23-Mann-Kader. Ist Spanien ein EM-Favorit? Mehr ob der Vergangenh­eit denn der aktuellen Stärke.

In der Vorbereitu­ng setzte Spanien auf Altbewährt­es. Wie schon 2010 und 2012, als jeweils ein Titel gewonnen wurde, absolviert­e die Mannschaft ihr Trainingsl­ager in Schruns-Tschagguns. Gegen Südkorea gab es in Salzburg ein 6:1-Schützenfe­st, zur Generalpro­be wird am Dienstag Georgien geladen.

Am Montag, 13. Juni, wartet zum EM-Auftakt Tschechien, danach folgen Spiele gegen die Türkei und Kroatien – für del Bosque ist bereits die Vorrunde der Härtetest. „Die Gruppe ist schwierige­r, als ich sie mir vorgestell­t habe. Wir dürfen niemanden auf die leichte Schulter nehmen“, sagte der 65-Jährige und erklärte Gastgeber Frankreich und Weltmeiste­r Deutschlan­d zu den Favoriten. Ist Spanien für ihn demnach kein Anwärter auf den Titel? „Doch. Aber eher aufgrund der Erfolge der Vergangenh­eit denn der Gegenwart.“

 ?? AFP ?? Spanien liebt seine Fußballer, ihre Pokale und die Infantinne­n Sofia (r.) und Leonor. Als sie 2012 die EM-Trophäe nach dem 4:0-Sieg über Italien im La-Zarzuela-Palast zu Madrid in Empfang nahmen, war die Nation begeistert.
AFP Spanien liebt seine Fußballer, ihre Pokale und die Infantinne­n Sofia (r.) und Leonor. Als sie 2012 die EM-Trophäe nach dem 4:0-Sieg über Italien im La-Zarzuela-Palast zu Madrid in Empfang nahmen, war die Nation begeistert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria