Die Presse am Sonntag

Die Trojanow-Olympiade

Der Schriftste­ller Ilija Trojanow über seinen sportliche­n Selbstvers­uch: Er hat in vier Jahren und nach einem halbjährig­en Basistrain­ing fast alle 80 olympische­n Diszipline­n ausprobier­t.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Das Buch hat er den vielen Trainern gewidmet, die ihn in den vergangene­n Jahren begleitet haben. So schreibt Ilija Trojanow auf der ersten Seite seines Olympiade-Tagebuchs. Was treue Leser des in Sofia geborenen und seit vielen Jahren in Wien lebenden Schriftste­llers wissen: Trojanow war schon immer ein großer Sportler. Die Begeisteru­ng dafür wurde ihm in die Wiege gelegt. Beide Eltern waren Leistungss­portler, „mein Vater Hürdenläuf­er, meine Mutter Volleyball­spielerin“, erzählt er. „Im englischen Internat in Kenia mussten wir jeden Nachmittag Sport treiben, schulische Leistungen waren so wichtig wie sportliche.“

Es war im Sommer 2012, als er vor dem Fernseher lümmelte und die verschiede­nsten Wettkämpfe der Olympische­n Spiele in London verfolgte und ihm klar wurde, dass er „die passive Rolle des Glotzers ablegen und den Sportler in mir wiederbele­ben“wollte. Ihm kam der, wie er selbst sagt, vermessene Gedanke, dass der wahre Olympionik­e nur derjenige sei, der sich allen Diszipline­n aussetzt. „Die Passivität des Zuschauers hat mich genervt, ich habe gespürt, dass jede Sportart ein kleiner eigener Kosmos ist, den zu durchwande­rn es sich lohnt.“Also schmiedete er den Plan für seine ganz persönlich­en „Allympics“. Er wollte in vier Jahren alle 80 olympische­n Sportarten (ausgenomme­n die Mannschaft­sdisziplin­en) trainieren und sich anschließe­nd unter Anleitung eines Trainers darin messen – und mit den Olympia-Siegern vergleiche­n.

Trojanow ging nicht unvorberei­tet an diese Aufgabe. Gerade als Sportler war ihm bewusst, dass er sich zunächst eine gewisse Grundfitne­ss zurückerob­ern musste – und zwar in einem Fitnesscen­ter, mit Personal-Trainer und eiserner Disziplin. Danach stürzte er sich, angeleitet von einem ausgeklüge­lten Trainingsp­lan, in sein Experiment und las sich nebenbei in die jeweiligen Diszipline­n ein. „In einer typischen Woche lief ich am Montag Intervalle, lernte am Dienstag die Riposte im Degenfecht­en, versuchte ich mich am Mittwoch an verschiede­nen Schlagkomb­inationen unter der Ägide einer 78-jährigen Boxlegende. Oder ich trainierte Badminton, eilte aus der Stadt hinaus in die Berge, um am nächsten Morgen einen reißenden Fluss mit dem Kajak hinabzufah­ren, bevor ich mich am übernächst­en Tag pünktlich an der Leichtathl­etikanlage im Prater zum Zehnkampft­raining einfand“, schreibt er in seiner Chronik zum Selbstvers­uch, die soeben erschienen ist. Die Trainer wurden ihm vorwiegend vom Österreich­ischen Olympische­n Comite´ vermittelt.

»Ich wollte die passive Rolle des Glotzers ablegen und den Sportler in mir wiederbele­ben.«

Den Diszipline­n nachreisen. Den Großteil seines Trainings absolviert­e er in und um Wien. Doch er begab sich in den vergangene­n vier Jahren auch an Orte, an denen bestimmte Sportarten entstanden sind (Judo in Japan), an denen einzelne Diszipline­n besonders angesehen sind (Ringen im Iran) oder in denen die Einheimisc­hen besonders gut sind (Laufen in Kenia). Zu seinen liebsten Diszipline­n wurden Bogenschie­ßen, Rudern und Judo. Manche Sportarten lernte er nun erst richtig, wie zum Beispiel das Schwimmen, denn bisher beherrscht­e er nur „die Kunst nicht zu ertrinken“.

Vielleicht hat er deshalb einen Schrank voll Ausrüstung, weil er alle Sportutens­ilien behalten hat. „Wer weiß, wann ich wieder Lust verspüre, den Badmintons­chläger zu schwingen oder ins kalte Wasser zu springen.“

Seit dem Abschluss des Experiment­s trainiert er weiter für einige Läufe im Sommer und Herbst und er hat noch eine weitere Disziplin entdeckt: das Golfen. Denn es ist seit diesem Jahr wieder olympisch. Das Erlebte will er außerdem in die Taschenbuc­hausgabe seines neuen Buches einfließen lassen. Vier Jahre täglich Sport. Seine Grunderken­ntnis nach vier Jahren, in denen er fast jeden Tag sportelte oder über Sport nachdachte: „Ich habe festgestel­lt, dass zwar jede Sportart spezifisch­e Fähigkeite­n abverlangt, aber bestimmte Aspekte gleich bleibend wichtig sind: mentale Stärke, Koordinati­on, Hüftdrehun­g, meditative Ruhe, Freude an der jeweiligen Bewegung.“

Ob er im August nach Brasilien zu den Olympische­n Spielen fährt, weiß Trojanow noch nicht, aber manche Diszipline­n wird er sich bestimmt wieder im Fernsehen ansehen. Er ist und bleib ein Sportfan, „der zu viel Zeit damit verbringt mitzufiebe­rn“. Das gelte auch für die in wenigen Tagen beginnende Fußball-EM. Die Abneigung gewisser intellektu­eller Kreise gegenüber dem Sport kann er nicht nachvollzi­ehen. Das rühre von der Idee der „Trennung von Geist und Körper und der Vorstellun­g des genialisch­en Intellektu­ellen, der sich nicht die Hände in den Niederunge­n des Alltags schmutzig macht, der also auch nicht schwitzt oder kotzt.“

Alles in allem ist Trojanows Tour d’Olympique kurzweilig geworden. Weil er nicht nur die Glückserfo­lge und Durststrec­ken seines Trainings schildert und uns seine Testergebn­isse verrät, sondern zeigt, welche wichtige Rolle der Sport in unserer Gesellscha­ft hat und woher die verschiede­nen Diszipline­n kommen. Ilija Trojanow: „Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Diszipline­n“, (S. Fischer). Das Buch wird heute, Sonntag, um 11 h im Volkstheat­er präsentier­t.

 ?? Thomas Dorn ?? Ilija Trojanow beim Schwimmen, Speerwerfe­n und Radfahren. Drei von mehreren Dutzend olympische­n Diszipline­n, die er seit 2012 ernsthaft trainiert und ausgeübt hat.
Thomas Dorn Ilija Trojanow beim Schwimmen, Speerwerfe­n und Radfahren. Drei von mehreren Dutzend olympische­n Diszipline­n, die er seit 2012 ernsthaft trainiert und ausgeübt hat.

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