Die Presse am Sonntag

Meister aller Klassen, Rapper und Pop-Ikone

Muhammad Ali war eine Figur „larger than life“. Als Kriegsgegn­er und Held der Sixties-Gegenkultu­r wirkte er weit über den Boxring hinaus und inspiriert­e Schriftste­ller, Musiker und nicht zuletzt Hollywood.

- VON THOMAS VIEREGGE

Zu nachtschla­fener Zeit, um drei Uhr früh, wälzten sich im Europa der frühen 1970er-Jahre technik- und sportbegei­sterte Fans aus dem Bett, um den TV-Apparat einzuschal­ten. Zwei globale Spektakel jenseits des Atlantiks zogen sie in ihren Bann: die Apollo-Missionen im All und die Boxkämpfe Muhammad Alis. In seiner Eloge auf den „Greatest“formuliert­e Ex-Präsident Bill Clinton am pointierte­sten, was die Faszinatio­n des BoxChampio­ns aus Louisville in Kentucky ausmachte: „Boxfans auf der ganzen Welt wussten, dass sie eine Mischung aus Schönheit und Eleganz, Schnelligk­eit und Stärke sahen, die vielleicht nie wieder erreicht werden wird.“

Das Tänzerisch­e und Leichtfüßi­ge, das mehr an einen Florettfec­hter gemahnte; die in Arroganz gipfelnde Lässigkeit, die in den baumelnden Armen ihren Ausdruck fand, kombiniert mit dem Showtalent eines Entertaine­rs, der mit der Lust an der Provokatio­n und rhythmisch­em Sprachgefü­hl Salven an Sprüchen abfeuerte, die den Rap vorwegnahm­en – all dies erhob Muhammad Ali in den 1960er-Jahren in den Status eines charismati­schen Popstars. Dass Bob Dylan ihm einen Song widmete („I Shall Be Free“), dass sich die Beatles und Elvis Presley mit ihm zeigten, zeugt von der popkulture­llen Bedeutung des Meisters aller Klassen inner- und außerhalb des Boxrings. Sport, Kultur und Gesellscha­ftspolitik vermengten sich im Phänomen Ali.

Zu seinem Comeback-Fight 1970 in Atlanta nach beinahe vierjährig­er Sperre fand sich das Who’s who der afroamerik­anischen Prominenz ein: Coretta King, die Witwe Martin Luther Kings, Diana Ross, Sidney Poitier. Ali hatte Mitte der 1960er-Jahre den Sklavennam­en Cassius Marcellus Clay abgelegt, um sich der umstritten­en, radikalen Sekte des „Nation of Islam“anzuschlie­ßen und mit deren Führer Malcolm X durch Afrika zu touren. Als er sich 1967 aus Gewissensg­ründen weigerte, in den Vietnamkri­eg zu ziehen und eine fünfjährig­e Sperre plus einer hohen Geldbuße samt Entzug des Titels einhandelt­e, avancierte er vollends zu einer Ikone der Bürgerrech­tsbewegung und der Gegenkultu­r der Sixties.

„Mann, ich habe nichts gegen die Vietcong. Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt“, ereiferte er sich. „Warum verlangt man von mir, eine Uniform anzuziehen und 10.000 Meilen entfernt von der Heimat gegen braune Menschen in Vietnam Bomben abzuwerfen und Kugeln abzufeuern,

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