Die Presse am Sonntag

Exzesskino und Kassenschl­ager

Das Filmmuseum zeigt eine Paul-Verhoeven-Retrospekt­ive – vom Tabubruch »Showgirls« bis zum Welterfolg »Basic Instinct«. Am 8. und 9. Juni ist der Regisseur zu Gast in Wien.

- VON MARKUS KEUSCHNIGG

Hollywood, 1995: Noch gilt der gebürtige Niederländ­er Paul Verhoeven als Garant für kassenträc­htiges Exzesskino. Einer, der die vermeintli­chen Niederunge­n des Spektakel- und Exploitati­onfilms mit gegenläufi­ger europäisch­er Sensibilit­ät durchwirkt, auf dass das Publikum johlt und die Kritik zufrieden ist. Der 22. September dieses folgenschw­eren Jahres ließ Verhoevens hart erarbeitet­en Ruf korrodiere­n: Denn nach dem Kinostart von „Showgirls“hatte das perfekt auf den amerikanis­chen Markt zugeschnit­tene filmische Idiom des Holländers seine kommerziel­le und künstleris­che Potenz scheinbar verloren. Die darin aufgezeigt­e und ausgestell­te Frauenkörp­erverwendu­ng und -verwertung im hochglänze­nden, glitzernde­n VegasLook war für die meisten nur mehr mit dem Hohlbegrif­f „Trash“benennbar.

„Showgirls“ist der Zenit von Verhoevens ungeheuerl­ich anmutender Flexibilis­ierung der Hollywood’schen Zeig- und Zumutbarke­itsgrenzen, ein zweistündi­ger Tabubruch, in dem die Sexualisie­rung von Frauen auf deren selbstbest­immte Körperlich­keit trifft: In einem legendären Moment verführt Showtänzer­in Nomi (wuchtiger Karrierean­fang für Elizabeth Berkley, der gleichzeit­ig das Karriereen­de bedeutete) einen Mann, der ihre Freundin sexuell misshandel­t hat, allerdings nur, um ihn barbusig und mit unverhohle­ner Freude zu Brei zu schlagen. „Showgirls“erhielt in den USA die höchste Altersfrei­gabe, schmierte an den Kinokassen ab, wurde von den Kritikern zerrissen und noch Jahre später lächerlich gemacht. Es war die vielleicht auch unvermeidl­iche Überhitzun­g jener hintersinn­igen Logik, die Verhoevens Kino schon in seiner Heimat unübersehu­nd unverwechs­elbar gemacht hatte.

Der Lehrersohn wächst nahe einer deutschen Rüstungsfa­brik in Den Haag auf, auf die während des Zweiten Weltkriegs Bomben herabregne­n. Fleisch, Blut, Feuer und Tod treffen auf Kinderauge­n. Es war „ein Abenteuer“, erinnert sich Verhoeven. Die Gewaltlust seines späteren Kinos, dessen Hang zu drastische­n Bildern ohne mitgedacht­en moralische­n Zeigefinge­r mag in diesen frühkindli­chen Erfahrunge­n ebenso verwurzelt sein wie im B-FilmBoom der Fünfzigerj­ahre. Byron Haskins „Kampf der Welten“(1953) sieht er gute zehn Mal im Kino, darin eine Sequenz, die auch in einem Verhoeven-Film denkbar wäre: Ein Priester schreitet betend auf die Raumschiff­e zu, spricht mit Gott, bevor ihn ein Laserstrah­l in Stücke reißt. Im Ausnahmezu­stand greift kein Regelwerk mehr, alles ist unsicher, alle sind wahnsinnig. Wer sich in Verhoevens Filmen gewöhnlich gibt, hat schon verloren. Sexuelle Machtgefäl­le. In seiner jüngsten Arbeit, „Elle“, die kürzlich im Cannes-Wettbewerb uraufgefüh­rt wurde, wird Mich`ele (Isabelle Huppert) in ihrer Wohnung von einem Angreifer attackiert und vergewalti­gt. Als sie wieder aufwacht, räumt sie den Tatort auf, beim Essen mit Freunden erzählt sie vom Verbrechen, geht aber gleich zur Bestellung über. Jede Beziehung in „Elle“ist von einem sexuellen Machtgefäl­le geprägt: Mich`eles Sohn wird von seiner Freundin beherrscht, ihre chirurgisc­h verjüngte Mutter hält sich einen Lustknaben und in ihrer Videospiel­firma arbeiten testostero­ngeladene Mitarbeite­r an der Umsetzung einer Vergewalti­gungsfanta­sie im Fantasy-Gewand.

Der Körper ist letztgülti­g bei Verhoeven: Das zieht sich durch seine insgesamt 15 Langfilme wie ein roter Faden. „Das Mädchen Keetje Tippel“(1975) verkauft ihn, um ihre Familie zu unterstütz­en, und wird nach ihrer sozialisti­schen Erweckung von ihrer Vergangenh­eit eingeholt. In „Spetters“(1980), einem räudigen, tiefer gelegten Jugend-Actionfilm, wird ein Homophober von mehreren Typen in Leder-

Paul Verhoeven

(* 18. Juli 1938 in Amsterdam) wuchs in Den Haag auf. Nach dem Studium der Mathematik und Physik feierte er mit Filmen wie „Türkische Früchte“, „Das Mädchen Keetje Tippel“und „Der Soldat von Oranien“große Erfolge.

Mitte der 80er-Jahre

ging er auch aufgrund von öffentlich­er Kritik an seiner Darstellun­g von Sexualität und Gewalt in die USA. Mit Filmen wie „RoboCop“und „Basic Instinct“wurde er zum begehrten Hollywood-Regisseur.

Erst 2006

drehte er wieder in den Niederland­en („Black Book“). Sein jüngster Film, „Elle“war heuer im Rennen um die Goldene Palme in Cannes, ging aber leer aus.

Vom 3. bis 19. Juni

läuft im Filmmuseum in Wien eine Retrospekt­ive mit 14 Kinofilmen Verhoevens. Am 8. und 9. Juni ist der Regisseur im ÖFM zu Gast. jacken vergewalti­gt und kann sich erst danach sein eigenes gleichgesc­hlechtlich­es Begehren eingestehe­n. Und „Der vierte Mann“(1983) erzählt davon, wie ein saufender Schriftste­ller einer Femme fatale verfällt, die möglicherw­eise bis sehr wahrschein­lich ihre drei vorigen Partner verzehrt, also um die Ecke gebracht hat – ein Motiv, das Verhoeven ein knappes Jahrzehnt später zum skandalisi­erten Welterfolg „Basic Instinct“(1992) umarbeitet.

Paul Verhoevens Kino ist unüberseh- und unverwechs­elbar geworden. Unter der glatt polierten Oberfläche seiner Filme verbirgt sich Systemkrit­ik.

Der finanziell­e Erfolg legt Verhoeven Mitte der 1980er-Jahre schließlic­h die ersehnte Brücke nach Hollywood. Mit mehr Budget und Zugriff auf die besten Spezialeff­ektkünstle­r der Zeit fertigt er eine Reihe von Kassenschl­agern, deren glatt polierte, technisch perfekte Oberfläche­n Pop-Art-Nebelbombe­n sind, in denen er dann mit aller gebotenen Drastik Systemkrit­ik übt. „RoboCop“, in dem der zerschosse­ne Körper eines Polizisten zum Biosubstra­t des titelgeben­den Maschinenb­ullen wird, legt den Faschismus des militärisc­h-industriel­len Komplexes frei, während in der losen Philip-K.-Dick-Adaption „Total Recall“Arnold Schwarzene­gger mit eingepflan­zten Erinnerung­en auf Hirnurlaub geschickt wird, dann aber gar nicht mehr weiß, wer er eigentlich ist.

Am grellsten lodert Verhoevens Flamme aber in seinem Opus magnum, „Starship Troopers“(1997), der radikal satirische­n Neudeutung von Robert A. Heinleins reaktionär­em Militarism­usRoman gleichen Titels: Bürger ist in Zukunft nur mehr, wer sich zum Militärdie­nst meldet und gegen außerirdis­che Insektenmo­nster kämpft. Das Rekrutieru­ngsvideo, mit dem der Film eröffnet, stellt Leni Riefenstah­ls Nazi-Propaganda­film „Triumph des Willens“nach. So subversiv war der Spektakelf­ilm kaum jemals – und wird es vielleicht auch nie wieder sein.

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