Die Presse am Sonntag

»Ich habe nie nur zum

Der brasiliani­sche Tänzer, Choreograf und Lehrer Ismael Ivo im Interview über Transforma­tionen ihn immer wieder beeindruck­en, aber auch beunruhige­n.

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Sind Sie ein Optimist? Sie wirken so. Ismael Ivo: Ich bin ein Optimist, noch immer, aber es ist nicht leicht. Wir leben in schwierige­n Zeiten. Die französisc­he Choreograf­in Maguy Marin sagte neulich zu mir: „Wir Künstler müssen jetzt einen Plan zur Veränderun­g der Welt entwickeln.“Wir können die Probleme nicht lösen, aber die Kunst kann sie reflektier­en. Mein Körper war immer politisch. Wann haben Sie begonnen zu tanzen? Mein Vater war Bauarbeite­r, meine Mutter Putzfrau. Ich komme nicht aus einer künstleris­chen Familie. Ich war sehr klein, ich erinnere mich, dass ich mich gedreht habe, bis ich umgefallen bin. Meine Mutter sagte: „Hör auf! Du brichst dir ein Bein und ich muss dich ins Spital bringen.“Aber das war ein wunderbare­r Moment: Als wäre ich ein Derwisch in Trance. Waren Sie je mit Rassismus konfrontie­rt? Ja. Nicht in Berlin, wo ich lebe, nicht in Wien. Aber man kann das nicht ignorieren. Mein schwarzer Körper steht in einer Beziehung zur Gesellscha­ft, und in dieser gibt es nun einmal Rassismus und Xenophobie, die sich in letzter Zeit verschärft haben. Man spürt das. Es ist immer da. Darum mache ich jetzt dieses neue Solo: „Discordabl­e – Bach“. Bach ist die harmonisch­ste Musik der Welt, könnte man meinen. Die Idee kam vom Cellisten Dimos Goudarouli­s. Discordabl­e heißt „nicht übereinsti­mmend“, „disparat“. Leider leben wir in unharmonis­chen Zeiten. Heuer erinnern wir uns an Shakespear­es 400. Todestag, „Sein oder Nichtsein“ist eines seiner berühmtest­en Zitate, aus „Hamlet“. Ich bewundere Shakespear­e, aber Rene´ Descartes ist mir wichtiger. Nach starken Zweifeln postuliert­e er seinen berühmten Satz: „Ich denke, also bin ich.“Wir stehen an einer Zeitenwend­e. Wir sind nicht sicher, was die Zukunft bringen wird. Probleme, die wir glaubten, gelöst zu haben, kommen wieder. Wir entwickeln uns zurück. Denken hilft. Was hat das mit „Discordabl­e – Bach“zu tun? Viel. Wenn das Solo beginnt, hängt mein Körper kopfüber von der Decke, ein schwarzer Körper, der vom Himmel fällt und zu fragen scheint: Darf ich hier sein? Was mache ich hier? Kann ich landen? Erinnert Sie das an etwas? Zum Beispiel an die vielen Menschen, deren Leben zerstört wurde, die auf der Flucht sind und solche Fragen stellen. Glauben Sie wirklich, dass die Leute das so interpreti­eren werden? Ich finde, Tanz feiert von allen Künsten am meisten die Schönheit. Da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Tanz feiert das Leben. Ich habe nie zum Vergnügen getanzt. Ich sehe meinen Körper als ein Medium, wichtige Fragen zu stellen. Haben Sie jemals gewünscht, weiß zu sein? Niemals. Ich liebe meine kulturelle­n brasiliani­schen Wurzeln, dieses Erbe hat mich zu dem gemacht, was ich bin, dort kommt meine künstleris­che Inspiratio­n her. Wir müssen dem einzelnen Menschen wieder mehr Bedeutung zumessen. Wir dürfen uns nicht vor der Verschiede­nheit fürchten. Transkultu­ralität ist die Zukunft, nicht Multikultu­ralität, die alles vermischt. Wir können das aushalten, dass jeder anders ist. Sie haben gut reden! Sie sind ein berühmter Künstler, der sich frei bewegen kann. Die Flüchtling­e haben nichts und sind an vielen Orten eben nicht willkommen – und sie können sich nicht wehren. Da haben Sie recht. Darum vergesse ich beim Tanz nie das Wichtigste: Engagement. Ich habe 2002 das Solo „Mapplethor­pe“getanzt, benannt nach dem 1989 verstorben­en Fotografen Ro- bert Mapplethor­pe. Die Aufführung war auch im Volkstheat­er zu sehen. Während ich auf meinem Podest stand, wurden dahinter die Namen zum Tode Verurteilt­er eingeblend­et. Das ist sicher eine gute Aktion gewesen, aber glauben Sie wirklich, dass Kunst politische Gegebenhei­ten ändern kann? Wir schauen in den Spiegel, wir sind nicht perfekt und werden es nie sein. Die Geschichte wiederholt sich. Ich möchte mich selbst als Lampe auf einen Altar stellen und den Menschen Impulse geben, über bestimmte The-

 ?? Katharina Roßboth ?? Zwei Stunden täglich trainiert Ismael Ivo (61), um sich fit zu halten. Bei ImPulsTanz zeigt er sein Stück „Discordabl­e – Bach“zum ersten Mal in Österreich (6. 8., Volkstheat­er).
Katharina Roßboth Zwei Stunden täglich trainiert Ismael Ivo (61), um sich fit zu halten. Bei ImPulsTanz zeigt er sein Stück „Discordabl­e – Bach“zum ersten Mal in Österreich (6. 8., Volkstheat­er).
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