Die Presse am Sonntag

Vergnügen getanzt«

Seine Eltern, Trance, Optimismus und Rassismus, sagt er, sei immer gegenwärti­g. Europa, dessen

- VON BARBARA PETSCH

1955

Ismael Ivo wird in S˜ao Paulo in Brasilien geboren. Er studiert in Brasilien Drama und Tanz-Events. 1983 wird er nach New York eingeladen.

1984

gründet Ivo gemeinsam mit Karl Regensburg­er das ImPulsTanz-Festival in Wien, inzwischen Europas größtes Tanzfestiv­al. Heuer werden 65 Produktion­en gezeigt (Vorverkauf ab 1. Juni). Regensburg­er ist Intendant, Ivo künstleris­cher Berater. Bei ImPulsTanz betreut Ivo das Ausbildung­sprogramm Biblioteca do Corpo.

2005–2012

war Ivo Direktor der Tanz-Biennale von Venedig.

Am 6. August

ist „Discordabl­e – Bach“mit Ismael Ivo am Volkstheat­er zu sehen. men nachzudenk­en. Ich möchte mein Publikum sensibilis­ieren. Im ersten Moment, wenn ein Fremder auftaucht, zucken die Leute zurück. Aber ich öffne mich ihnen, daher öffnen sie sich auch mir. Mir kommt vor, dass wir in kälteren Zeiten leben als nach dem Krieg, als die Katastroph­e noch für viele sehr direkt präsent war. Das Grauen kann jederzeit passieren, man hatte es gerade am eigenen Leib erlebt. Wir leben in einer kalten Zeit. Das ist richtig. „Discordabl­e – Bach“soll ein Beitrag sein, wie wir das ändern können. Es geht nicht um eine Predigt, wir müssen verstehen, dass wir nicht in allem übereinsti­mmen, aber eben deswegen gegenüber anderen nicht unangenehm und unsympathi­sch werden müssen. Pina Bausch sagte einmal: „Tanzen, tanzen, tanzen, damit wir nicht verloren gehen.“ Wie viele Stunden am Tag üben Sie? Tanz ist eine Lebensform, oder? Sie können nicht in ein Wirtshaus gehen und ein Gulasch essen. Nein. Ich gehe aber auch nicht zum ganz strengen Training. Ich muss jeden Tag mindestens zwei Stunden üben, damit der Körper in Form bleibt, ich möchte ja weiterhin auf der Bühne stehen. Ich rauche nicht, ich trinke keinen Alkohol. Das habe ich nie getan. Ich bin ein Träumer, das war ich immer, das werde ich immer sein. Der Tanz bringt einen in eine andere Dimension des Seins. Es gibt einen unglaublic­hen Hype um den Tanz. Als Sie das Festival ImPulsTanz 1984 mit Karl Regensburg­er in Wien gegründet haben, war das nicht so. Musik- und Sprechthea­ter waren die dominanten Kunstforme­n. Was ist da passiert? So viele Tanzevents, Filme, Kurse gibt es inzwischen. Ja. Das stimmt. Es war eine Art Evolution. Karl Regensburg­er und ich liebten das Genre, wir wussten gar nicht, dass sich das Festival derart toll entwickeln würde. Vor Kurzem hatte ich 25 Chinesen zu Gast, ich habe einen Vortrag gehalten, denn sie wollten wissen, wie wir das machen. Wir versuchen auch immer, essenziell­e Fragen zu stellen. Heuer zum Beispiel haben wir auf dem Plakat die Frage: What lifts your mind? Was erschütter­t deine Ansichten, deinen Glauben? Wir haben uns nicht auf unserem Erfolg ausgeruht, wir gehen weiter und sprechen die neuen Generation­en an. Wir sind eine Plattform, wo junge Leute ihre Konzepte entwickeln können. Wir bespielen auch immer neue Räume wie heuer erstmals das Leopold-Museum. Tanz in Museen kommt sehr gut an. Sind Sie religiös? Ich komme aus einer katholisch­en Familie. Aber ich habe mich immer sehr für afrikanisc­h-brasiliani­sche Mythologie und für Rituale interessie­rt. Da war ich schon als Kind dabei. Ich liebe auch sehr Meditation und habe mich mit Buddhismus beschäftig­t. Ich möchte neugierig bleiben. Mich hat zum Beispiel der Wiener Aktionismu­s stark fasziniert, der auch ins Programm von ImPulsTanz eingefloss­en ist. Ich finde Berührungs­punkte zwischen Hermann Nitsch und Marina Abramovic.´ An der Berliner Volksbühne haben Johann Kresnik, Gottfried Helnwein und ich „Die 120 Tage von Sodom“nach Marquis de Sade und Pasolini gemacht. Was ist das Wichtigste beim Tanz: Charisma, Talent oder Handwerk? Es gibt etwas, das du nicht lernen kannst. Du stellst fest, du hast ein bestimmtes Talent, in das investiers­t du, du liest, studierst, trainierst. Ich sage meinen Studenten immer: Ich kann euch anleiten, euch sagen, wie und wo ihr Inspiratio­n findet, aber das Entscheide­nde ist, was auf der Bühne stattfinde­t, und das ist eine Interaktio­n mit dem Publikum. Das ist so seit der Antike, darum sitzen wir im Dunkeln und erwarten etwas . . . Hat es auch mit Spirituali­tät zu tun? Tanz ist eine Zeremonie, die Macht hat. Die Kunst kommunizie­rt mit unserem Unbewusste­n. Wir verlassen unsere Alltagswel­t und lassen uns nähren von etwas anderem, das außerhalb von uns ist. Viele Tänzer können von ihrer Kunst nicht leben. Und schon gar nicht können sie Ismael Ivo werden. Das ist auch nicht mein Wunsch. Ich glaube, das Materielle sollte man nicht überbewert­en. Wichtig ist, dass man daran glaubt, dass man etwas zu sagen hat. Ausstrahlu­ng und Charisma kann man nicht beim Billa kaufen. Was mögen Sie an Europa? Ich mag Europa, weil seine Menschen immer wieder neue Übersetzun­gen für ihr Leben und ihre Situation finden. Sie geben neuen Gedanken Raum. Brasilien bleibt immer Brasilien. Man sagt, die Afrikaner neigten mehr dazu, glücklich zu sein, und sie seien stärker mit der Natur verbunden als die Europäer. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Sicher ist, dass wir die Unterschie­de zwischen uns allen als einen Vorteil erkennen müssen. „Discordabl­e – Bach“soll den Dialog fördern. Bach ist wie Gott.

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