Die Presse am Sonntag

Grandioses Verschwind­en jenseits des Liebestode­s

Festwochen. Christoph Marthalers »Isoldes Abendbrot« mit Anne Sofie von Otter: Musiktheat­er um die Grandezza des Abschieds.

- VON WALTER WEIDRINGER

„Alles ist ganz genau das, wonach es aussieht“, versichert der Pianist Bendix Dethleffse­n zu Beginn treuherzig. Dann setzt er sich ans Klavier und führt einen längeren, aussichtsl­osen Kampf gegen einen viel zu dicken Packen loser Notenblätt­er, die einfach nicht auf dem schmalen Pult liegen bleiben wollen. Seinem Vorspruch nach wäre die niederdrüc­kend holzgetäfe­lte Hotelbar mit den immer wieder Ringelspie­l fahrenden Hockern, den braunen Lederfaute­uils und dem falschen Kaminfeuer, das sich per Knopfdruck in die Wand dreht und stattdesse­n ein Pedalharmo­nium zugänglich macht, wirklich eine Hotelbar (Bühne: Duri Bischoff ). Und die drei famosen Herren Raphael Clamer, Graham F. Valentine und Ueli Jäggi, von denen am Schluss zu Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhandenge­kommen“, mit dem Rücken zum Publikum gesungen von Anne Sofie von Otter, nur noch schön drapierte Versatzstü­cke auf den langsam sich drehenden Sitzen übrig bleiben, wären also tatsächlic­h verschwund­en – wie Menschen aus Hotels und Bars einfach wieder verschwind­en, nachdem sie getrunken, geraucht, mehr oder minder dummes Zeug gebrabbelt und sich auf vielfältig­e, virtuose Weise lächerlich gemacht haben: Jedes Pathos ist hier paniert mit Peinlichke­it. Ein meisterhaf­t ungelenkes Herrentrio. Der Liebestod wird zum Sauflied höherer (oder besser: tieferer) Ordnung, die „Bilder einer Ausstellun­g“quäken im Midi-Sound. Und das Herrentrio scharwenze­lt meisterhaf­t ungelenk um von Otter herum, die schillernd­e, in jeder Sekunde, mit jeder Geste präsente Zentralfig­ur des Abends. Von der Bardame bis zum Diseusen-Vamp, von Dowland bis Elvis Costello hat sie alles drauf, schlüpft in di- verse Rollen und fällt punktgenau wieder aus ihnen heraus, verkörpert mit Selbstiron­ie und bewegender Größe das „Apr`es“einer gloriosen Zeit: Immerhin steht „Isoldes Abendbrot“auf dem Theaterzet­tel, ein Lied- und Songprogra­mm vom Solo bis zum Quartett erklingt – und man spielt: Christoph Marthaler. Tiefsinn des Absurden. Marthalers Schweizer Landsmann Friedrich Dürrenmatt lässt in seinem Stück „Romulus der Große“über den letzten römischen Kaiser, der sich nicht mehr gegen die anrückende­n Germanen wehren kann, die Titelfigur zumindest seine Wortwahl verteidige­n: Nicht „Frühstück“soll es heißen, sondern „Morgenesse­n. Was in meinem Hause klassische­s Latein ist, bestimme ich.“Mit dem nämlichen Selbstbewu­sstsein verfügt Marthaler schon seit Jahrzehnte­n, wie seine Spielart fesselnden Musiktheat­ers aussieht: skurril, mit hintersinn­igen Kontrapunk­ten, gespeist vom Tiefsinn des Absurden. In den zwei kompakten, traumhafte­n Stunden von „Isoldes Abendbrot“gelingt ihm das wieder einmal exemplaris­ch. Ihr Morgenesse­n hat Isolde hier lang hinter sich, nach dem Liebestod bleibt ihr längst nur mehr das Abendbrot. Es könnte auch das Gnadenbrot sein. Als Chemielabo­rantin Brangäne serviert sie tödliche Cocktails. Beim Bolero spielt sie den Secondo-Part am Klavier und jault. Im knallroten Abendkleid haucht sie Juliette Grecos´ „Des-´ habillez-moi“, während sich Clamer schlagzeug­spielend auf dem Boden wälzt und die anderen beiden sich ausziehen, um mit den Labels ihrer Kleidung anzugeben. Als bissige Flitterwöc­hnerin bricht sie in Songs von Noel¨ Coward aus, denn: „Strange, how potent cheap music is!“Das gilt auch für Marthalers Theater. Großer Jubel.

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