Kunst als Klebstoff
Auftragskunst dient international als Klebstoff für soziale und wirtschaftliche Vorhaben: in Berlin, der Türkei oder im Ruhrgebiet.
Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass Kunst als Investition gilt. Diese Bewertung funktioniert nur, weil Kunst einen hohen Grad an Erlebnis- und Diskursqualitäten bietet – besonders, wenn sie für spezielle Orte beauftragt wird. Denn Kunst schafft Zusammenhänge. Cem Yegül spricht daher auch von „Kunst als Klebstoff“– eine Beschreibung, die gerade in so unterschiedlichen Zusammenhängen wie einem Festival in der Türkei, einem Flussumbau im Ruhrgebiet und der sehr experimentell angelegten neunten Berlin Biennale zutrifft.
Yegül ist Mitbegründer des Cappadoxia-Festivals, einer außergewöhnlichen Veranstaltung in der bizarren Landschaft im türkischen Anatolien. Tausende von Höhlen sind hier in das weiche Tuffgestein gegraben, vermutlich erstmals vor 8000 Jahren. Ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. siedelten sich hier Christen an. Sie schufen rund 3000 Höhlenkirchen und an die 30 unterirdische Städte. Die größte in Derinkuya umfasst 2500 Quadratmeter auf acht Geschoßen – und man schätzt, dass damit erst ein Viertel der ursprünglichen Stadt frei gelegt ist. Besonders prägnant sind die sogenannten Feenkamine, wie die durch Wind und Regen verformten Erdpyramiden hier heißen.
Vor dieser Kulisse fanden vier Tage lang 75 Veranstaltungen an 18 Orten statt, ein Festival für alle Sinne, dem eine Ausstellung mit zwölf Künstlern als Klebstoff das zentrale Thema gibt: „Let’s cultivate our garden“. Noch bis 12. Juni lassen Künstler in ihren Werken die Erde atmen, beschwören die Sonne, studieren Pflanzen, Farben. Kuratorin Fulya Erdemci plädiert für sanften Tourismus, Hinwendung zur Natur. Besonders beeindruckend sind die beiden Werke in den Feenkaminen von Nilbar Güres und Ayse Erkmen. Güres, die in Wien Kunst studiert hat, setzt in die Höhlenöffnung fabelhaft gestaltete Tiere: einen Löwen und eine Gazelle. In der animistisch geprägten Tradition der oft als unislamisch kritisierten Aleviten sitzen die beiden Feinde harmonisch nebeneinander – ein Wunschtraum, den Güres hier eindrucksvoll inszeniert. In der Ferne dahinter sieht man einen riesigen, knallroten Plastikring (s. Abb.), der wie ein Piercing einen Feenkamin schmückt – Ayse Erkmen hat damit ein starkes Zeichen einer respektvollen An- eignung dieser Landschaft gesetzt. Ähnlich wie in Cappadoxia dient auch auf der Triennale Emscherkunst die Kunst als Klebstoff zwischen Natur und Kultur. 2010 gegründet, findet heuer die dritte Triennale statt. Quer durch das Ruhrgebiet führt die 50 km lange Route, an der 24 Werke auf sieben Kunstarealen zu sehen sind, darunter ältere wie Mark Dions „Gesellschaft für AmateurOrnithologen“: Ein ehemaliger Gastank wird zur Beobachtungsstation für Vögel umgewandelt. Heuer entstanden 15 neue Werke, darunter Massimo Bartolinis weißes Quadrat mit einem schwarzen Pool: eine Anspielung auf die Idee der Moderne, die Welt mit künstlerischen Mitteln neu zu gestalten. Hintergrund von Emscherkunst ist der Umbau der Emscher von einer Abwasserkloake zu einem naturnahen Fluss. Rund fünf Mrd. Euro sind für den mehrere Jahrzehnte dauernden Umbau budgetiert. Am Ende werden einzelne Areale und umgewidmete Industriebauten einen großen Landschaftspark ergeben. Den Zusammenhalt verkörpern die Skulpturen. Virtuelle Berlin Biennale. Gänzlich andere Verklebungen muss die Kunst auf der Berlin Biennale bewerkstelligen. Denn das vierköpfige Kuratorenteam DIS aus New York thematisiert die Verbindungen zwischen virtueller und realer Realität. Ihr Motto dabei: „Die Gegenwart fühlt sich zukünftiger an als je zuvor“– und wer könnte das besser in Bilder übersetzen als Künstler? Allein 40 Neuproduktionen entstanden für diese Hyperlinklandschaft, wie DIS ihre „erste und letzte Biennale“nennen. Auffällig: Verlinkt wird hier gern Kunst und Kommerz. So sind die Werke in der Akademie der Künste wie in einem Kaufhaus inszeniert, vom T-Shirt-Verkauf beim Eingang, Mode auf der Rampe bis zur Möbelabteilung mit Bett und Wohnzimmer, alles natürlich mit Kunstanspruch. Hier und da stehen verstreut kuriose Skulpturen – ein bewusstes Verwirrspiel, das viele Werken prägt: Wo ist die Grenze zwischen Startup und Kunst?
Eigens beauftragte Skulpturen halten den neuen Landschaftspark zusammen. Bei der Berlin Biennale fragt man sich: Wo ist die Grenze zwischen Start-up und Kunst?
Manche Werke treffen grandios den Nerv unserer Zeit wie Hito Steyerls Filme über 3-D-Animationen und den im Irak vermuteten Turm zu Babel – zwei Wege, die Kontrolle über das Universum zu übernehmen. An fünf Orte führt die Biennale, dazu ist ein Soundtrack entstanden, damit uns „die Biennale nicht mehr aus dem Kopf geht“. Hier soll Kunst die virtuelle und die räumlich-physische Welt, Ökonomie und Kreativität zusammenkitten – anders als in Cappadoxia und an der Emscher wirkt dieser Klebstoff auf der Berlin Biennale aber kaum.
Cappadoxia bis 12. 6., Emscherkunst und Berlin Biennale bis 18. 9.