Die Presse am Sonntag

Sehr schlecht«

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ten könnte, sagt die Regierung. Entspreche­nd würden 500.000 Arbeitsplä­tze verloren gehen und das Land in eine Rezession schlittern, während vermindert­e Steuereinn­ahmen von bis zu 45 Milliarden Pfund den Staat zu weiteren Sparpakete­n zwingen würden. Ein Teufelskre­islauf entstünde.

Die Brexit-Befürworte­r weisen dies als Angstmache­rei zurück. In der Bevölkerun­g sind unterdesse­n längst Ermüdungse­rscheinung­en gegenüber der Flut an Warnungen vor dem Brexit eingetrete­n. Erstmals sagte nun eine Mehrheit in einer Umfrage, sie würde selbst bei wirtschaft­lichen Nachteilen für den Ausstieg stimmen.

Zu solchen wird es laut den Ankündigun­gen des Brexit-Lagers aber gar nicht kommen. Ihr Anführer Boris Johnson versprach zuletzt „300.000 neue Arbeitsplä­tze durch mutige neue Handelsabk­ommen mit wachsenden Märkten, wenn wir die Ketten, die uns an Brüssel binden, abwerfen“.

Kritiker wenden ein, dass derartige Abkommen nicht über Nacht zu- stande kommen und die EU-Gegner kein tragfähige­s Modell einer wirtschaft­lichen Zukunft außerhalb der Union haben. „Unsinn zur Potenz“, nannte Cameron zuletzt Johnsons wirtschaft­spolitisch­e Aussagen. Die OECD warnt. Tatsache ist, dass die Unsicherhe­it um die Zukunft Großbritan­niens in der EU sich bereits negativ bemerkbar macht. Unternehme­n stellen Investitio­nsentschei­dungen zurück, Bauvorhabe­n werden auf die lange Bank geschoben und der Arbeitsmar­kt stagniert. „Die Unsicherhe­it ist Gift“, sagt ein Banker.

Großbritan­nien ist der zweitgrößt­e Empfänger von Direktinve­stitionen der Welt nach den USA. Ein Anreiz ist der Zugang zum Gemeinsame­n Markt. Seit 2003 sind 83,9 Milliarden Dollar ins Land geflossen. Heute blicken sich ausländisc­he Investoren nach Alternativ­en um.

Das Pfund bleibt nach einem starken Rückgang volatil, die Versicheru­ngsprämien gegen Kursschwan­kungen sind auf dem höchsten Stand seit dem Wirtschaft­scrash 2008. Zuletzt nahm die OECD ihre Wachstumsp­rognose für das Land von 2,1 auf 1,7 Prozent zurück und warnte vor globalen Auswirkung­en: „Die Folgen wären so negativ wie ein steiler Wirtschaft­sabschwung in China.“ Kleinbetri­ebe gegen die EU. Besondere Sorge gilt der Zukunft der City of London, dem Finanzzent­rum Europas (und der Welt) mit einer Bruttowert­schöpfung im Jahr 2014 von 45 Milliarden Pfund. Auch wenn Großbritan­nien nicht Euromitgli­ed ist, werden in London nach den sogenannte­n Passportin­g-Regeln die meisten Transaktio­nen in der gemeinsame­n Währung durchgefüh­rt. Von den rund 285.000 Jobs im britischen Finanzsekt­or sind nach Schätzunge­n des Chefs der London Stock Exchange, Xavier Rolet, bei einem Brexit bis zu 100.000 in Gefahr. Banken machen kein Geheimnis daraus, dass sie Angeboten aus Paris, Dublin und Frankfurt Gehör schenken. Die EU-Gegner aber meinen: „Das sind dieselben Leute, die uns in den Euro führen wollten.“Zuletzt behauptete­n sie auch, als EUMitglied werde Großbritan­nien weiter für Länder wie Griechenla­nd mitzahlen müssen – auch wenn Cameron dagegen ausdrückli­ch ein Veto einlegte.

Während alle Wirtschaft­sverbände für die EU-Mitgliedsc­haft sind, herr-

Mio. Arbeitsplä­tze

sind nach offizielle­n Angaben vom Handel mit der EU abhängig.

Mrd. Dollar

sind seit 2003 nach Großbritan­nien geflossen.

Prozent

lautet die Wachstumsp­rognose der OECD für Großbritan­nien. Bis vor Kurzem ist sie noch mit 2,1 Prozent beziffert worden. schen unter den Sektoren offene Differenze­n. Für die EU sind die Großindust­rie, High- und Biotech-Unternehme­n, der Finanzsekt­or und Exporteure. Gegen die EU sind viele Kleinbetri­ebe, nur auf dem heimischen Markt tätige Mittelstän­dler und Landwirte, obwohl ihre eigene Interessen­vertretung für die Mitgliedsc­haft eintritt und

Alle britischen Wirtschaft­sverbände sind für einen Verbleib in der EU. „Unsinn zur Potenz“seien die Argumente der Brexit-Fans, sagt Premier David Cameron.

sie einen Großteil ihres Einkommens aus Brüsseler Zahlungen beziehen. Das Brexit-Lager verspricht, die Zuwendunge­n aus dem eingespart­en Mitgliedsb­eitrag von netto rund neun Milliarden Pfund (0,5 Prozent des BIPs) zu ersetzen.

Die Versprechu­ngen an diverse Sektoren von Landwirtsc­haft bis Wohnbau und für staatliche Aufgaben wie Gesundheit oder Verteidigu­ng belaufen sich mittlerwei­le nach Zählung des Institute for Fiscal Studies auf 40 Milliarden Pfund.

Ein besonders zugkräftig­es Argument der Gegner sind die angebliche­n Kosten der EU-Regulierun­gen, obwohl die britische Wirtschaft nach einer Studie der London School of Economics die am wenigsten regulierte Europas ist. Von 33 Milliarden Pfund Kosten im Jahr sprach der konservati­ve Abgeordnet­e Andrew Tyrie vor einem Parlaments­ausschuss unter Hinweis auf den Thinktank Open Europe (siehe Interview). Was er nicht erwähnt hat: Das (EU-kritische) Institut bezifferte zugleich die Vorteile aus harmonisie­rten Vorschrift­en mit 58,6 Milliarden Pfund.

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