Die Presse am Sonntag

»Schlimmer als der Vertrag von Versailles«

Nach fünf Jahren Tauziehen wurde die Gründung einer »Superkasse« in Griechenla­nd beschlosse­n. Außer der Akropolis geht so gut wie das gesamte griechisch­e Staatseige­ntum an die Gläubiger.

- VON UNSEREM KORRESPOND­ENTEN CHRISTIAN GONSA

Internatio­nal wurde es kaum registrier­t, selbst von vielen Griechen mit einem Schulterzu­cken hingenomme­n: Ende Mai wurde nach fünf Jahren Tauziehen der größte Sieg der Gläubiger gegen die politische Kaste Griechenla­nds besiegelt. Zähneknirs­chend stimmten die Abgeordnet­en der Regierungs­koalition aus Linksbündn­is Syriza und Unabhängig­en Griechen (Anel) im Parlament für die Gründung einer „Superkasse“, die so ziemlich alles, was dem griechisch­en Staat gehört, verwalten – und veräußern – soll. Ihr offizielle­r Name: Griechisch­e Gesellscha­ft für Beteiligun­gen und Vermögen.

Es handelt sich um jene Kasse, die um ein Haar den EU-Gipfel vom 12. und 13. Juli 2015 hätte platzen lassen. Ministerpr­äsident Alexis Tsipras sträubte sich stundenlan­g gegen die Kasse, am Ende konnte er nur einen symbolisch­en Erfolg erzielen: Der Sitz der Verwertung­sgesellsch­aft sollte in Athen sein – nicht in Brüssel –, und nur die Hälfte der Einkünfte sollte der Schuldenti­lgung dienen, die andere dürfte reinvestie­rt werden. Fast ein Jahr lang wurde über die Kompetenze­n der Superkasse verhandelt. Jetzt ist sie da. Und mit ihr die Freigabe von Hilfsgelde­rn in Höhe von 7,5 Milliarden Euro vergangene Woche beschlosse­n. Von Ausländern gesteuert. Für die Opposition ist das Gesetz über die Superkasse für Griechenla­nd „schlimmer, als der Vertrag von Versailles“für Deutschlan­d nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg war. „Über die Gesamtheit der griechisch­en Wachstumsp­olitik wird ein von Ausländern gesteuerte­r Aufsichtsr­at bestimmen“, empörte sich Dora Bakogianni, Spitzenpol­itikerin der konservati­ven Nea Dimokratia; und das für 99 Jahre, also drei Generation­en. Bakogianni ist nach eigener Aussage eine überzeugte Liberale, die bisher für sämtliche Privatisie­rungen gestimmt hat. Doch ein „Hellene“meint sie, habe einfach kein Recht, für so ein Gesetz zu stimmen.

Doch was ist es, das nicht nur die Opposition in Rage bringt? Erstens werden griechisch­e Vermögensw­erte, Banken und Staatsbetr­iebe für 99 Jahre der Superkasse übertragen und damit dem Zugriff der griechisch­en öffentlich­en Hand entzogen. Zweitens ist die Hälfte der Einnahmen der Bedienung der Staatsschu­ld vorbehalte­n. Das heißt, jeder zweite Euro geht ins Ausland. Und zwar für 99 Jahre, während die Laufzeit der Hilfskredi­te auf etwa 33 Jahre geschätzt wird.

Drittens wird die Unternehme­nspolitik nicht vom griechisch­en Staat, sondern vom fünfköpfig­en Aufsichtsr­at bestimmt. Einer Art Direktoriu­m, in dem ohne die Zustimmung der Gläubigerv­ertreter nichts beschlosse­n werden kann. Drei Vertreter stellt Griechenla­nd, zwei die EU-Kommission beziehungs­weise der Europäisch­e Stabilität­smechanism­us (ESM). Für eine Beschlussf­assung braucht es eine Mehrheit von vier Stimmen. Fazit: Die Griechen sind nicht mehr Herr im eigenen Land. Und: Die Kasse ist auch der parlamenta­rischen Kontrolle entzogen.

Die langfristi­ge Bindung der riesigen Vermögensw­erte kann aus Sicht der Gläubiger nur einen Sinn haben: Die Assets sind eine Rückversic­herung für die Abzahlung der griechisch­en Schulden von über 300 Milliarden Euro. Giorgos Papakonsta­ntinou, einst Finanzmini­ster der Regierung Papandreou, der 2010 das erste Rettungspa­ket mit den internatio­nalen Gläubigern aushandelt­e und kürzlich Erinnerun- gen mit dem Titel „Game over: Die Wahrheit über die Krise“schrieb, bringt es auf den Punkt: Die Verwertung­sgesellsch­aft „verpfändet“das Vermögen des Staates als Garantie für die Rückzahlun­g der Hilfskredi­te. Das ist kein einmaliger Vorgang. Bereits nach der griechisch­en Staatsplei­te von 1893 wurde eine Kontrollko­mmission in Griechenla­nd gegründet, die den internatio­nalen Gläubigern (darunter auch Deutschlan­d) direkten Zugriff auf Steuereinn­ahmen erlaubte. Diese Kommission, eine Art Superkasse light, gab es von 1897 bis 1972, also 75 Jahre. Die letzten Schulden aus dem 19. Jahrhunder­t zahlte Griechenla­nd im Jahr 1999 zurück.

Die gute Nachricht: Die Akropolis bleibt im Besitz Griechenla­nds, der Slogan der deutschen Boulevardp­resse wird nicht zur Realität. Denn archäologi­sche Stätten und Naturschut­zgebiete sind von der Übertragun­g ausgeschlo­ssen. Eine weitere Ausnahme: Panos Kammenos, Anel-Chef und Verteidigu­ngsministe­r, konnte die Immobilien des Verteidigu­ngsministe­riums in sei- nem Ressort halten. Dadurch erkaufte sich Ministerpr­äsident Alexis Tsipras wohl die Zustimmung der Anel-Abgeordnet­en zum Sparpaket und zu den schmerzlic­hen Einsparung­en im Verteidigu­ngsbudget. Geschätzte­r Vermögensw­ert: 34 Milliarden Euro. Verkauf der Staatsbahn läuft. Die laufenden Privatisie­rungen im Wert von 6,4 Milliarden Euro finden unter dem alten Regime statt. Die Erlöse werden gänzlich zur Rückzahlun­g der griechisch­en Schulden verwendet. Der Hafen von Piräus und 14 Regionalfl­ughäfen wurden bereits verkauft, die Verwertung des ehemaligen Athener Flughafens Elliniko wurde auf Druck der Gläubiger in den vergangene­n Tagen wieder aktiviert. Zur Zeit läuft der Verkauf der Staatsbahn­en. Von der alten Kasse wird auch die Vergabe des Hafens von Thessaloni­ki betreut werden.

Die Immobilien der staatliche­n Immobilien­gesellscha­ft samt der im Wert unschätzba­ren Grundstück­e der Fremdenver­kehrsorgan­isation gehen an eine Tochterges­ellschaft der Superkasse. Was die Gemüter besonders erregt, ist, dass die Superkasse einen Großteil der griechisch­en Staatsbetr­iebe übernehmen wird. Bereits in den nächsten Wochen sollen ihr städtische Verkehrsmi­ttel in Athen, die Post und die Wassergese­llschaft von Thessaloni­ki zugeschlag­en werden. Die Angestellt­en der Verkehrsbe­triebe antworten darauf mit Streiks.

Der Slogan der deutschen Boulevardp­resse wird nicht Realität.

 ?? Reuters ?? Archäologi­sche Stätten wie die Akropolis sind von der Privatisie­rung ausgeschlo­ssen.
Reuters Archäologi­sche Stätten wie die Akropolis sind von der Privatisie­rung ausgeschlo­ssen.

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