»Wir haben vor niemandem Angst!«
Islands Fußballer sind in ihrer Heimat zu wahren Helden aufgestiegen. Der 28-jährige Birkir Bjarnason schoss das historische erste Tor bei einer EM. Nun wird weitergeträumt.
Birkir, Birkir, Birkir! Der isländische TV-Kommentator kann das eben Geschehene noch kaum in Worte fassen, er lässt seinen Emotionen freien Lauf. Es ist ein historischer Moment für den isländischen Fußball, diese 50. Minute im Spiel zwischen Island und Portugal. Flanke, Volleyabnahme, Tor. Birkir Bjarnason trifft zum 1:1-Ausgleich gegen den Favoriten, eine Fußball-Nation jubelt: über das Tor und wenig später auch über den ersten Punktgewinn Islands bei einem Großereignis.
Dabei glich schon die Qualifikation für die Euro einem Märchen, das vor nicht allzu langer Zeit niemand in Island für möglich gehalten hätte. Die Nationalmannschaft war ein Punktelieferant, ein gern gesehener Gast, nicht wirklich ernst zu nehmend. Im Juni 2016 zeigt sich ein völlig anderes Bild. Noch nie zuvor nahm ein Land mit weniger Einwohnern (330.000) an einer Europameisterschaft teil. Doch nun, nach dem verheißungsvollem Auftakt in dieses Turnier, träumt der einstige Fußballzwerg von weiteren Heldentaten.
Birkir Bjarnason hält sie für möglich. Der Mittelfeldspieler, 28, spricht im Interview mit der „Presse am Sonntag“über die Gründe des Aufschwungs, eine goldene Generation isländischer Fußballer und das bevorstehende Duell mit Österreich. Sie haben sich mit Island erstmals für ein Fußballgroßereignis qualifiziert, zum Auftakt gegen Portugal beim 1:1 einen Punkt erkämpft. Sind Fußballnationalspieler in Ihrer Heimat nun Helden? Birkir Bjarnason: Ja, das sind wir. Das Image des Nationalteams in Island ist gewaltig, die Menschen sind aufgeregt, sie verfolgen unseren Weg aufmerksam. Vor fünf, sechs Jahren war das noch ganz anders. Die Mannschaft hatte die falsche Mentalität, es musste sich etwas ändern. Dann kam Lars Lagerbäck. Was hat er nach Island gebracht, was vorher nicht da war? Sehr viel Struktur und Erfahrung. Er hatte sich schon mit Schweden für Großereignisse qualifiziert. Um ganz ehrlich zu sein: Genau das haben wir gebraucht. Uns fehlte es an dieser spe- ziellen Erfahrung, wir waren zuvor ja noch nie irgendwo dabei. Und: Lagerbäck hat diese ruhige, besonnene Art. Sie tut uns gut. Niederlande, Türkei, Tschechien – das Team hat in der Qualifikation große Nationen geschlagen, dann das Remis gegen Portugal. Hat Island eine goldene Generation? Genau so nennt man uns, seit wir uns vor fünf Jahren erstmals für die U21-Europameisterschaft qualifiziert haben. Viele von uns spielen bereits seit der U17 zusammen. Dieses Team hat vor niemandem Angst, weil es eine großartige Einheit ist. Also waren Sie von der erfolgreichen EMQualifikation gar nicht überrascht? Absolut nicht. Wir haben uns in den vergangenen Jahren großartig entwickelt, hätten uns beinahe für die WM 2014 qualifiziert. Dass wir uns im Playoff gegen Kroatien nicht durchsetzen konnten, war eine kleine Enttäuschung. Aber wir wussten, wohin unser Weg führen soll. Die Euro war unser nächstes großes Ziel. Was ist denn in Frankreich bei dieser EM noch alles möglich?
Birkir Bjarnason
wurde am 27. Mai 1988 in Akureyri, mit 18.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Islands, geboren. Seinen ersten Vertrag als Profi unterschrieb Bjarnason beim norwegischen Klub Viking Stavanger. Weitere Stationen: Bodø/Glimt (Leihe), Standard Lüttich, Pescara Calcio und Sampdoria Genua. Vor einem Jahr wechselte der Mittelfeldspieler von Italien in die Schweiz. Beim wurde er Teamkollege von ÖFB-Stürmer Marc Janko und erzielte in 29 Ligaspielen zehn Tore. Mit Basel wurde Bjarnason erstmals in seiner Karriere Meister.
FC Basel
Am Ende des Tages werden wir immer der Außenseiter sein, aber wir mögen diese Ausgangslage. Portugal und Österreich haben tolle Mannschaften, das zeigt schon die Weltrangliste. Dennnoch, unser Ziel ist der Aufstieg ins Achtelfinale. Ich glaube, wir haben ziemlich gute Chancen. Dänemark wurde 1992 sensationell Europameister. Kann Island das Dänemark dieser EM werden? Ich werde nicht sagen, dass das kleine Island eine Chance hat, dieses Turnier zu gewinnen. Aber im Fußball kann tatsächlich alles passieren. Sollten wir einen Lauf haben, können wir sehr weit kommen. Aber eine Titelprämie haben Sie ausverhandelt, oder? Natürlich haben wir das (lacht). Hat Ihr Team einen Star, jemanden, der aus dem Kollektiv heraussticht? Viele würden jetzt Gylfi Sigurðsson sagen, wahrscheinlich ist er das auch. Die größte Stärke des Teams bleibt aber das Team selbst. Was ist dieser Tage eigentlich in Island los? Naja, das ganze Land sieht uns zu. Ich kann mir vorstellen, dass die Insel leer ist, man nur Touristen sieht. Können Sie sich in Ihrer Heimat denn noch frei bewegen? Ja, es ist in Ordnung, so wie es ist. Die Popularität war schon vor der Qualifikation für die EM sehr groß. Man wird oft erkannt, aber mein Leben ist das gleiche geblieben. In Island sind die Menschen lockerer und immer umgänglich. Am Mittwoch treffen Sie beim Spiel gegen Österreich im Stade de France voraussichtlich auch auf Ihren Basel-Klubkollegen Marc Janko. Das macht dieses Duell noch spezieller, oder? Definitiv. Er ist ein großartiger Spieler, und ich habe gehört, dass seine Torquote im Nationalteam beeindruckend sein soll. Marc ist ein toller Mensch, wir verstehen uns wirklich gut, haben seit der Auslosung über dieses Spiel gesprochen. Das wird lustig. Ist Janko die größte Gefahr für Island? Er ist eine der größten, wenn nicht die größte. Wir werden ihn im Vorfeld des Spiels ausreichend studieren.