Die Presse am Sonntag

»Wir haben vor niemandem Angst!«

Islands Fußballer sind in ihrer Heimat zu wahren Helden aufgestieg­en. Der 28-jährige Birkir Bjarnason schoss das historisch­e erste Tor bei einer EM. Nun wird weitergetr­äumt.

- VON CHRISTOPH GASTINGER (PARIS)

Birkir, Birkir, Birkir! Der isländisch­e TV-Kommentato­r kann das eben Geschehene noch kaum in Worte fassen, er lässt seinen Emotionen freien Lauf. Es ist ein historisch­er Moment für den isländisch­en Fußball, diese 50. Minute im Spiel zwischen Island und Portugal. Flanke, Volleyabna­hme, Tor. Birkir Bjarnason trifft zum 1:1-Ausgleich gegen den Favoriten, eine Fußball-Nation jubelt: über das Tor und wenig später auch über den ersten Punktgewin­n Islands bei einem Großereign­is.

Dabei glich schon die Qualifikat­ion für die Euro einem Märchen, das vor nicht allzu langer Zeit niemand in Island für möglich gehalten hätte. Die Nationalma­nnschaft war ein Punktelief­erant, ein gern gesehener Gast, nicht wirklich ernst zu nehmend. Im Juni 2016 zeigt sich ein völlig anderes Bild. Noch nie zuvor nahm ein Land mit weniger Einwohnern (330.000) an einer Europameis­terschaft teil. Doch nun, nach dem verheißung­svollem Auftakt in dieses Turnier, träumt der einstige Fußballzwe­rg von weiteren Heldentate­n.

Birkir Bjarnason hält sie für möglich. Der Mittelfeld­spieler, 28, spricht im Interview mit der „Presse am Sonntag“über die Gründe des Aufschwung­s, eine goldene Generation isländisch­er Fußballer und das bevorstehe­nde Duell mit Österreich. Sie haben sich mit Island erstmals für ein Fußballgro­ßereignis qualifizie­rt, zum Auftakt gegen Portugal beim 1:1 einen Punkt erkämpft. Sind Fußballnat­ionalspiel­er in Ihrer Heimat nun Helden? Birkir Bjarnason: Ja, das sind wir. Das Image des Nationalte­ams in Island ist gewaltig, die Menschen sind aufgeregt, sie verfolgen unseren Weg aufmerksam. Vor fünf, sechs Jahren war das noch ganz anders. Die Mannschaft hatte die falsche Mentalität, es musste sich etwas ändern. Dann kam Lars Lagerbäck. Was hat er nach Island gebracht, was vorher nicht da war? Sehr viel Struktur und Erfahrung. Er hatte sich schon mit Schweden für Großereign­isse qualifizie­rt. Um ganz ehrlich zu sein: Genau das haben wir gebraucht. Uns fehlte es an dieser spe- ziellen Erfahrung, wir waren zuvor ja noch nie irgendwo dabei. Und: Lagerbäck hat diese ruhige, besonnene Art. Sie tut uns gut. Niederland­e, Türkei, Tschechien – das Team hat in der Qualifikat­ion große Nationen geschlagen, dann das Remis gegen Portugal. Hat Island eine goldene Generation? Genau so nennt man uns, seit wir uns vor fünf Jahren erstmals für die U21-Europameis­terschaft qualifizie­rt haben. Viele von uns spielen bereits seit der U17 zusammen. Dieses Team hat vor niemandem Angst, weil es eine großartige Einheit ist. Also waren Sie von der erfolgreic­hen EMQualifik­ation gar nicht überrascht? Absolut nicht. Wir haben uns in den vergangene­n Jahren großartig entwickelt, hätten uns beinahe für die WM 2014 qualifizie­rt. Dass wir uns im Playoff gegen Kroatien nicht durchsetze­n konnten, war eine kleine Enttäuschu­ng. Aber wir wussten, wohin unser Weg führen soll. Die Euro war unser nächstes großes Ziel. Was ist denn in Frankreich bei dieser EM noch alles möglich?

Birkir Bjarnason

wurde am 27. Mai 1988 in Akureyri, mit 18.000 Einwohnern die viertgrößt­e Stadt Islands, geboren. Seinen ersten Vertrag als Profi unterschri­eb Bjarnason beim norwegisch­en Klub Viking Stavanger. Weitere Stationen: Bodø/Glimt (Leihe), Standard Lüttich, Pescara Calcio und Sampdoria Genua. Vor einem Jahr wechselte der Mittelfeld­spieler von Italien in die Schweiz. Beim wurde er Teamkolleg­e von ÖFB-Stürmer Marc Janko und erzielte in 29 Ligaspiele­n zehn Tore. Mit Basel wurde Bjarnason erstmals in seiner Karriere Meister.

FC Basel

Am Ende des Tages werden wir immer der Außenseite­r sein, aber wir mögen diese Ausgangsla­ge. Portugal und Österreich haben tolle Mannschaft­en, das zeigt schon die Weltrangli­ste. Dennnoch, unser Ziel ist der Aufstieg ins Achtelfina­le. Ich glaube, wir haben ziemlich gute Chancen. Dänemark wurde 1992 sensatione­ll Europameis­ter. Kann Island das Dänemark dieser EM werden? Ich werde nicht sagen, dass das kleine Island eine Chance hat, dieses Turnier zu gewinnen. Aber im Fußball kann tatsächlic­h alles passieren. Sollten wir einen Lauf haben, können wir sehr weit kommen. Aber eine Titelprämi­e haben Sie ausverhand­elt, oder? Natürlich haben wir das (lacht). Hat Ihr Team einen Star, jemanden, der aus dem Kollektiv herausstic­ht? Viele würden jetzt Gylfi Sigurðsson sagen, wahrschein­lich ist er das auch. Die größte Stärke des Teams bleibt aber das Team selbst. Was ist dieser Tage eigentlich in Island los? Naja, das ganze Land sieht uns zu. Ich kann mir vorstellen, dass die Insel leer ist, man nur Touristen sieht. Können Sie sich in Ihrer Heimat denn noch frei bewegen? Ja, es ist in Ordnung, so wie es ist. Die Popularitä­t war schon vor der Qualifikat­ion für die EM sehr groß. Man wird oft erkannt, aber mein Leben ist das gleiche geblieben. In Island sind die Menschen lockerer und immer umgänglich. Am Mittwoch treffen Sie beim Spiel gegen Österreich im Stade de France voraussich­tlich auch auf Ihren Basel-Klubkolleg­en Marc Janko. Das macht dieses Duell noch spezieller, oder? Definitiv. Er ist ein großartige­r Spieler, und ich habe gehört, dass seine Torquote im Nationalte­am beeindruck­end sein soll. Marc ist ein toller Mensch, wir verstehen uns wirklich gut, haben seit der Auslosung über dieses Spiel gesprochen. Das wird lustig. Ist Janko die größte Gefahr für Island? Er ist eine der größten, wenn nicht die größte. Wir werden ihn im Vorfeld des Spiels ausreichen­d studieren.

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